geboren am 10. Juli 1943
erschossen am 26. April 1963
im Teltowkanal
am Außenring zwischen Kleinmachnow (Kreis Potsdam-Land) und Berlin-Zehlendorf
Peter Mädler ist nur noch ungefähr zehn Meter von der Grenze entfernt. Einer der Posten fordert ihn auf, aus dem Wasser zu kommen. Peter Mädler ruft den beiden Grenzern zu: "Nicht schießen!" und schwimmt weiter Richtung West-Berlin. Ohne zuvor einen Warnschuss abzugeben, feuert der Posten 30 Schüsse in seine Richtung ab.Als am 13. August 1961 die Grenze zwischen West- und Ost-Berlin abgeriegelt wird, ist Peter Mädler 18 Jahre alt. Am 10. Juli 1943 in Opperau nahe Breslau, dem heutigen Wroclaw, geboren, wird er vermutlich durch die Kriegswirren schon in frühen Kindheitsjahren von seinen leiblichen Eltern getrennt. Um 1950 adoptiert ihn das in Hoyerswerda lebende Ehepaar Mädler. Der Adoptivvater arbeitet als Lagerverwalter, die Adoptivmutter ist Hausfrau. Dem Bericht eines Jugendfreundes zufolge erfährt Peter Mädler Anfang der 1960er Jahre, dass leibliche Verwandte von ihm in Westdeutschland leben. Vermutlich plant er deshalb seine Flucht, die er jedoch erst nach Beendigung seiner Ausbildung realisieren will. [1] Doch der Bau der Mauer durchkreuzt seine Pläne. Peter Mädler nimmt zunächst Abstand von seinem Vorhaben; doch im April 1963 treibt es ihn zur Tat: Er will die Flucht nach West-Berlin wagen.
Peter Mädler wächst bei seinen Adoptiveltern in Hoyerswerda auf, wo er bis zur 8. Klasse die Schule besucht. 1958 beginnt er eine Lehre als Elektromonteur in der Betriebsberufsschule des nahe gelegenen Kraftwerkes Lauta in Lauterberg, die er am 30. August 1961 erfolgreich beendet. Erinnerungen seines Jugendfreundes zufolge fällt Peter Mädler durch sein Äußeres auf. So trägt er während der Zeit seiner Lehrausbildung als Erster platinblonde Haare. Er ist ein guter Schüler, dem zugleich Mädchen wichtiger sind als politisches Engagement. Zumindest während seiner Lehrausbildung tritt er nicht der FDJ bei. Unmittelbar nach dem Mauerbau sollen er und die anderen Lehrlinge des Kraftwerkes sich als FDJ-Aufgebot zum Dienst in der NVA verpflichten. Unter den Jugendlichen gibt es offensichtlich deutliche Abneigung dagegen. Wie andere Lehrlinge verweigert auch Peter Mädler die Unterschrift unter die von ihm geforderte Verpflichtungserklärung. Nach Beendigung der Lehre arbeitet er im Kraftwerk Lübbenau als Schichtelektriker, bis er im Dezember 1961 zum Geräte- und Reglerwerk Teltow wechselt. [2] Ob dieser Orts- und Arbeitsplatzwechsel gezielt zur Vorbereitung der Flucht nach West-Berlin erfolgt, ist nicht bekannt. Jedoch kann er vom Dach des Teltower Betriebsgeländes den Kleinmachnower Grenzabschnitt am Teltow-Kanal einsehen. Seinen Arbeitskollegen und seinen Pflegeeltern gegenüber erwähnt er nichts von seinen Fluchtplänen. [3]
In der Nacht zum 26. April 1963 nähert sich der junge Mann im Schutz der Dunkelheit den Grenzsicherungsanlagen in der Nähe des Erlenwegs am Teltow-Kanal. Um die Drahtsperre zu überwinden, durchtrennt er die beiden unteren Drähte mit einem Seitenschneider. Am Kanalufer angekommen, lässt er seine Kleidung an der Böschung zurück. Er legt sich einen Ledergürtel um, an dem er den Seitenschneider und einen Plastikbeutel mit seiner Brieftasche und seinen Ausweispapieren befestigt. Dann steigt er in den Teltow-Kanal, um schwimmend nach West-Berlin zu gelangen. Die im Kanal verlaufende Sperre überwindet er ohne große Mühe. Vorsichtig schwimmt er entlang des nördlichen Ufers in Richtung Hafeneinfahrt, in deren ummittelbarer Nähe sich ein Wachturm befindet. Es ist 4.45 Uhr. Die auf dem Turm eingesetzten Grenzposten haben nur noch wenige Minuten Dienst, als sie den Schwimmer bemerken. Er ist nur noch ungefähr zehn Meter von der Grenze entfernt. Einer der Posten fordert ihn auf, aus dem Wasser zu kommen. Peter Mädler ruft den beiden Grenzern zu: "Nicht schießen!" und schwimmt weiter Richtung West-Berlin. Ohne zuvor einen Warnschuss abzugeben, feuert der Posten 30 Schüsse in seine Richtung ab. Peter Mädler bleibt unverletzt, taucht unter und versucht weiter Richtung Grenze zu gelangen. Mittlerweile ist der zweite Grenzsoldat vom Wachturm herabgestiegen und hält am Ufer nach dem Flüchtling Ausschau. Dieser taucht unmittelbar vor der im Wasser verlaufenden Grenze wieder an der Oberfläche auf. Der Grenzposten gibt drei gezielte Einzelschüsse ab. Tödlich getroffen versinkt Peter Mädler im Wasser. Um das Wiederauftauchen des Flüchtlings abzuwarten, übersteigt einer der Posten einen Sperrzaun. Doch der Flüchtling bleibt verschwunden. Erst nach umfangreichen Suchmaßnahmen birgt die Feuerwehr am Nachmittag des 26. April 1963 gegen 16.46 Uhr seinen Leichnam an der Einfahrt zum Teltower Hafen. [4]
Noch am gleichen Tag hebt der Kommandeur der Grenzabteilung in seinem Bericht "das richtige, entschlossene und aktive Handeln" der Grenzposten hervor; sie werden dafür mit der "Medaille für vorbildlichen Grenzdienst" ausgezeichnet. [5]
Erst 32 Jahre später wird das Handeln der Posten geahndet. Die ehemaligen Grenzsoldaten werden vom Landgericht Potsdam wegen Totschlags zu Freiheitsstrafen von einem Jahr und drei Monaten auf Bewährung verurteilt. Dabei wird es als unerheblich angesehen, dass die Schüsse des einen Grenzsoldaten Peter Mädler nicht trafen, da auch er dessen Tod billigend in Kauf genommen habe. [6]
Auf der West-Berliner Seite des Kanals hören die Anwohner der Teltow-Werft in den frühen Morgenstunden die Schüsse der Grenzsoldaten. Den Fluchthergang selber sehen sie nicht. Da einer der Anwohner am Nachmittag des gleichen Tages die Bergung des toten Flüchtlings beobachtet und meint, eine uniformierte Leiche zu erkennen, wird im Folgenden von der West-Berliner Polizei wie auch von der Presse angenommen, dass der tote Flüchtling ein Grenzsoldat gewesen sei. [7] Andere Anwohner wollen beobachtet haben, dass die Grenzposten auch auf West-Berliner Gebiet in Ufernähe nach dem Flüchtling suchen. [8]
Die West-Berliner Presse berichtet wenige Tage danach über den Vorfall und kritisiert die Untätigkeit der West-Berliner Polizei, die Angaben der Anwohner zufolge den Geschehnissen zunächst wenig Beachtung geschenkt habe. [9] Auch die Berliner CDU geht der Angelegenheit nach. Sie stellt im Abgeordnetenhaus eine "Kleine Anfrage" und möchte wissen, ob die Vorwürfe in der Presse der Wahrheit entsprechen und welche Folgerungen der Senat daraus zu ziehen gedenkt. [10] Als Konsequenz aus dem Vorfall wird im Grenzgebiet an der Teltow-Werft ein verstärkter Streifendienst eingesetzt und gegen die betreffenden Polizeibeamten ein Disziplinarverfahren eingeleitet. [11]
Nach Angaben eines Jugendfreundes wird der Leichnam von Peter Mädler in einem Urnengrab auf dem Waldfriedhof in Hoyerswerda beigesetzt. Das Grab existiert nicht mehr, es wurde eingeebnet. [12] In West-Berlin gerät der unbekannte tote Flüchtling auch in späteren Jahren nicht in Vergessenheit. Zum 10. Jahrestag des Mauerbaus wird für ihn ein Mahnkreuz am Gleisdreieck Steinstücken aufgestellt. [13] Heute erinnert in Kleinmachnow ein Gedenkstein für die Opfer der Teilung Deutschlands insbesondere an die Flüchtlinge, die wie Peter Mädler an der Grenze in Kleinmachnow ums Leben gekommen sind.
An den Gedenkstelen für Peter Mädler und Karl-Heinz Kube an der Knesebeckbrücke in Teltow kommen alljährlich zum 13. August Stadtverordnete, Mitarbeiter der Stadtverwaltung sowie Angehörige und Freunde zusammen, um Kränze und Blumen niederzulegen.
Text: Lydia Dollmann
Peter Mädler wächst bei seinen Adoptiveltern in Hoyerswerda auf, wo er bis zur 8. Klasse die Schule besucht. 1958 beginnt er eine Lehre als Elektromonteur in der Betriebsberufsschule des nahe gelegenen Kraftwerkes Lauta in Lauterberg, die er am 30. August 1961 erfolgreich beendet. Erinnerungen seines Jugendfreundes zufolge fällt Peter Mädler durch sein Äußeres auf. So trägt er während der Zeit seiner Lehrausbildung als Erster platinblonde Haare. Er ist ein guter Schüler, dem zugleich Mädchen wichtiger sind als politisches Engagement. Zumindest während seiner Lehrausbildung tritt er nicht der FDJ bei. Unmittelbar nach dem Mauerbau sollen er und die anderen Lehrlinge des Kraftwerkes sich als FDJ-Aufgebot zum Dienst in der NVA verpflichten. Unter den Jugendlichen gibt es offensichtlich deutliche Abneigung dagegen. Wie andere Lehrlinge verweigert auch Peter Mädler die Unterschrift unter die von ihm geforderte Verpflichtungserklärung. Nach Beendigung der Lehre arbeitet er im Kraftwerk Lübbenau als Schichtelektriker, bis er im Dezember 1961 zum Geräte- und Reglerwerk Teltow wechselt. [2] Ob dieser Orts- und Arbeitsplatzwechsel gezielt zur Vorbereitung der Flucht nach West-Berlin erfolgt, ist nicht bekannt. Jedoch kann er vom Dach des Teltower Betriebsgeländes den Kleinmachnower Grenzabschnitt am Teltow-Kanal einsehen. Seinen Arbeitskollegen und seinen Pflegeeltern gegenüber erwähnt er nichts von seinen Fluchtplänen. [3]
In der Nacht zum 26. April 1963 nähert sich der junge Mann im Schutz der Dunkelheit den Grenzsicherungsanlagen in der Nähe des Erlenwegs am Teltow-Kanal. Um die Drahtsperre zu überwinden, durchtrennt er die beiden unteren Drähte mit einem Seitenschneider. Am Kanalufer angekommen, lässt er seine Kleidung an der Böschung zurück. Er legt sich einen Ledergürtel um, an dem er den Seitenschneider und einen Plastikbeutel mit seiner Brieftasche und seinen Ausweispapieren befestigt. Dann steigt er in den Teltow-Kanal, um schwimmend nach West-Berlin zu gelangen. Die im Kanal verlaufende Sperre überwindet er ohne große Mühe. Vorsichtig schwimmt er entlang des nördlichen Ufers in Richtung Hafeneinfahrt, in deren ummittelbarer Nähe sich ein Wachturm befindet. Es ist 4.45 Uhr. Die auf dem Turm eingesetzten Grenzposten haben nur noch wenige Minuten Dienst, als sie den Schwimmer bemerken. Er ist nur noch ungefähr zehn Meter von der Grenze entfernt. Einer der Posten fordert ihn auf, aus dem Wasser zu kommen. Peter Mädler ruft den beiden Grenzern zu: "Nicht schießen!" und schwimmt weiter Richtung West-Berlin. Ohne zuvor einen Warnschuss abzugeben, feuert der Posten 30 Schüsse in seine Richtung ab. Peter Mädler bleibt unverletzt, taucht unter und versucht weiter Richtung Grenze zu gelangen. Mittlerweile ist der zweite Grenzsoldat vom Wachturm herabgestiegen und hält am Ufer nach dem Flüchtling Ausschau. Dieser taucht unmittelbar vor der im Wasser verlaufenden Grenze wieder an der Oberfläche auf. Der Grenzposten gibt drei gezielte Einzelschüsse ab. Tödlich getroffen versinkt Peter Mädler im Wasser. Um das Wiederauftauchen des Flüchtlings abzuwarten, übersteigt einer der Posten einen Sperrzaun. Doch der Flüchtling bleibt verschwunden. Erst nach umfangreichen Suchmaßnahmen birgt die Feuerwehr am Nachmittag des 26. April 1963 gegen 16.46 Uhr seinen Leichnam an der Einfahrt zum Teltower Hafen. [4]
Noch am gleichen Tag hebt der Kommandeur der Grenzabteilung in seinem Bericht "das richtige, entschlossene und aktive Handeln" der Grenzposten hervor; sie werden dafür mit der "Medaille für vorbildlichen Grenzdienst" ausgezeichnet. [5]
Erst 32 Jahre später wird das Handeln der Posten geahndet. Die ehemaligen Grenzsoldaten werden vom Landgericht Potsdam wegen Totschlags zu Freiheitsstrafen von einem Jahr und drei Monaten auf Bewährung verurteilt. Dabei wird es als unerheblich angesehen, dass die Schüsse des einen Grenzsoldaten Peter Mädler nicht trafen, da auch er dessen Tod billigend in Kauf genommen habe. [6]
Auf der West-Berliner Seite des Kanals hören die Anwohner der Teltow-Werft in den frühen Morgenstunden die Schüsse der Grenzsoldaten. Den Fluchthergang selber sehen sie nicht. Da einer der Anwohner am Nachmittag des gleichen Tages die Bergung des toten Flüchtlings beobachtet und meint, eine uniformierte Leiche zu erkennen, wird im Folgenden von der West-Berliner Polizei wie auch von der Presse angenommen, dass der tote Flüchtling ein Grenzsoldat gewesen sei. [7] Andere Anwohner wollen beobachtet haben, dass die Grenzposten auch auf West-Berliner Gebiet in Ufernähe nach dem Flüchtling suchen. [8]
Die West-Berliner Presse berichtet wenige Tage danach über den Vorfall und kritisiert die Untätigkeit der West-Berliner Polizei, die Angaben der Anwohner zufolge den Geschehnissen zunächst wenig Beachtung geschenkt habe. [9] Auch die Berliner CDU geht der Angelegenheit nach. Sie stellt im Abgeordnetenhaus eine "Kleine Anfrage" und möchte wissen, ob die Vorwürfe in der Presse der Wahrheit entsprechen und welche Folgerungen der Senat daraus zu ziehen gedenkt. [10] Als Konsequenz aus dem Vorfall wird im Grenzgebiet an der Teltow-Werft ein verstärkter Streifendienst eingesetzt und gegen die betreffenden Polizeibeamten ein Disziplinarverfahren eingeleitet. [11]
Nach Angaben eines Jugendfreundes wird der Leichnam von Peter Mädler in einem Urnengrab auf dem Waldfriedhof in Hoyerswerda beigesetzt. Das Grab existiert nicht mehr, es wurde eingeebnet. [12] In West-Berlin gerät der unbekannte tote Flüchtling auch in späteren Jahren nicht in Vergessenheit. Zum 10. Jahrestag des Mauerbaus wird für ihn ein Mahnkreuz am Gleisdreieck Steinstücken aufgestellt. [13] Heute erinnert in Kleinmachnow ein Gedenkstein für die Opfer der Teilung Deutschlands insbesondere an die Flüchtlinge, die wie Peter Mädler an der Grenze in Kleinmachnow ums Leben gekommen sind.
An den Gedenkstelen für Peter Mädler und Karl-Heinz Kube an der Knesebeckbrücke in Teltow kommen alljährlich zum 13. August Stadtverordnete, Mitarbeiter der Stadtverwaltung sowie Angehörige und Freunde zusammen, um Kränze und Blumen niederzulegen.
Text: Lydia Dollmann
[1]
Vgl. Gespräch von Lydia Dollmann mit Rainer Walther, 25.1.2008.
[2]
Vgl. ebd.
[3]
Vgl. Urteil des Landgerichts Potsdam vom 19.6.1995, in: StA Neuruppin, Az. 61 Js 29/94 (= StA Berlin, Az. 22 Js 174/90), Bd. 3, Bl. 553.
[4]
Vgl. Urteil des Landgerichts Potsdam vom 19.6.1995, in: Ebd., Bl. 552-554.
[5]
Vgl. ebd., Bl. 554.
[6]
Vgl. ebd., Bl. 545, 559.
[7]
Vgl. Strafanzeige der West-Berliner Polizei gegen namentlich nicht bekannten Angehörigen der sowjetzonalen Grenztruppen, 29.4.1963, in: Ebd., Bd. 1, Bl. 1.
[8]
Vgl. Schlussbericht der West-Berliner Polizei, 17.5.1963, in: Ebd., Bl. 75.
[9]
Vgl. etwa "Neuer Vopo-Mord an der Grenze", BZ, 30.4.1963; "Polizei zum Vopo-Mord am Teltowkanal: Zustand bleibt unverändert", BZ, 2.5.1963.
[10]
Vgl. Vermerk "Kleine Anfrage" der CDU, 2.5.1963, in: PHS, Bestand Grenzvorkommnisse, o. Pag.
[11]
Vgl. Kurzbericht der West-Berliner Polizei-Inspektion Zehlendorf, 7.5.1963, in: PHS, Bestand Grenzvorkommnisse, o. Pag.
[12]
Vgl. Gespräch von Lydia Dollmann mit Rainer Walther, 25.1.2008.
[13]
Vgl. Foto vom Mahnkreuz am Gleisdreieck Steinstücken für einen Unbekannten, in: BStU, MfS, HA I Nr. 3637, Bl. 43.