Peter Mädler: Vermerk der West-Berliner Polizei zu einer kleinen Anfrage der CDU im Abgeordnetenhaus
2. Mai 1963
Betr.: Grenzzwischenfall an der Teltow-Werft am 26.4.1963Bezug: "Kleine Anfrage" der CDU vom 2.5.1963
1. Aus eingehenden Befragungen von 5 Bewohnern der Teltow-Werft ergibt sich folgender Sachverhalt:
Am 26.4.1963, gegen 05.00 Uhr, sind von Bewohnern der Teltow-Werft mehrere Einzelschüsse und MP-Salven auf sowjetzonalem Gebiet gehört worden.
Im Anschluß daran ist von diesen beobachtet worden, wie ein mit MP bewaffneter Grepo von sowjetzonaler Seite über die Böschung hinter dem Hafenbecken West-Berliner Gebiet erreichte und am Hafenbecken entlang in Richtung Kanal eilte. Ein zweiter Grepo blieb während dieser Zeit auf der Böschung hinter dem Stacheldrahtzaun auf sowjetzonaler Seite mit schußbereiter MP stehen.
Andere Bewohner beobachteten 2 Grepo auf dem Wege vor dem Wohnhaus des leitenden Ingenieurs der Teltow-Werft, (ca. 40 m auf West-Berliner Gebiet), die nach 10 bis 15 Minuten wieder in die SBZ zurückgingen.
Im Laufe des Vormittags wurden außerdem ein Wasserfahrzeug mit mehreren Grepo und einem Taucher, der sich im Wasser befand, beobachtet.
Gegen 17.00 Uhr ist von 2 Bewohnern gesehen worden, daß durch sowjetzonale Feuerwehr mit einem Schlauchboot "etwas durch das Wasser an das Boot herangezogen worden ist". Während der eine der befragten Bewohner nicht sagen konnte, ob es sich hierbei um eine Person handelte, behauptete ein zweiter Bewohner, daß mit Sicherheit ein uniformierter toter Grepo in das Schlauchboot der Feuerwehr hineingezogen worden sei. Der leitende Ingenieur der Teltow-Werft hat zwar die Schüsse gehört, sich aber weiter nicht darum gekümmert, weil er infolge des Todes seiner Ehefrau seelisch sehr mitgenommen war.
Er hat insbesondere auch von den beiden Grepo, die unmittelbar vor seinem Haus gestanden haben sollen, nichts bemerkt, zumal die Rolläden vor den Fenstern heruntergelassen waren.
Am 27.4.1965, gegen 11.00 Uhr, wurde der vorstehende Sachverhalt durch einen Anwohner der Teltow-Werft dem Pol.-Revier 165 mitgeteilt.
2. Die daraufhin sofort eingeleitete Befragung der am 26.4.1963 im Bereich der Teltow-Werft eingesetzten Streifen (zwischen 05.00 und 16.00 Uhr insgesamt 5 Fuß-, Rad- und Funkwagenstreifen) verlief zunächst ergebnislos. Alle Beamten erklärten, daß sie keine Beobachtungen gemacht hätten, die vorstehenden Sachverhalt bestätigen würden.
Auf ausdrücklichen Vorhalt von Behauptungen zweier Anwohnerinnen der Teltow-Werft, daß sie am 26.4.1963, gegen 11.00 Uhr bzw. gegen 15.00 Uhr, ihre Beobachtungen einer Radstreife der Schutzpolizei mitgeteilt hätten, gab der zur fraglichen Zeit als Radstreife eingesetzte Polizeibeamte diesen Tatbestand zu.
Erst nach Abschluß seiner zweiten Radstreife - also um 16.00 Uhr - hat er seinem Wachthabenden von den Mitteilungen der Frauen berichtet.
Er hat solange davon abgesehen, weil zwischen dem Geschehen und der Schilderung der Frauen so viel Zeit vergangen sei und er selbst an dem angeblichen Tatort keine auffälligen Bewegungen - mit Ausnahme der seit Tagen laufenden Ausbesserungsarbeiten an der Unterwassersperre auf östlicher Seite - wahrgenommen hätte.
Außerdem war er der Auffassung, daß die Polizei längst "von den Bewohnern in Kenntnis gesetzt worden wäre, wenn sich der geschilderte Vorfall tatsächlich ereignet hätte.
3. Aus dem Sachverhalt zu 1. und 2. dürfte es als erwiesen anzusehen sein, daß
a) die Beobachtungen der zivilen Zeugen glaubhaft sind und die geschilderten Vorgänge sich tatsächlich abgespielt haben,
b) ein Versäumnis auf Seiten der Polizei (Radstreife und Wachthabender) insofern vorliegt, als die Meldung nicht unverzüglich ausgewertet worden ist.
Entschuldigend für das Verhalten der Polizeibeamten ist lediglich anzuführen, daß sie den "Erzählungen" der Frauen wenig Glauben schenkten, zumal nach der Tat (05.00 Uhr) inzwischen bereits 6 Stunden vergangen waren und polizeiliche Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Verhalten der Grepo nicht mehr wirksam werden konnten
4. Bisher ist das Gelände der Teltow-Werft von Polizeistreifen nicht betreten worden.
Es ist veranlaßt, daß
a) die Werft ab sofort nach Absprache mit dem Eigentümer in den Grenzstreifendienst einbezogen wird,
b) bis auf weiteres verstärkter Streifendienst in dieser Gegend durczuführen ist, c) gegen die betreffenden Polizeibeamten ein Disziplinarverfahren eingeleitet und
d) der Vorfall dienstlich ausgewertet wird.
Quelle: Polizeihistorische Sammlung/Der Polizeipräsident in Berlin