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31 Texte der bpb

Aus Politik und Zeitgeschichte: 50 Jahre Mauerbau

Aus Politik und Zeitgeschichte
Am 13. August 1961 geschah mitten in Berlin Unvorstellbares. Mit Stacheldrahtverhauen und Ziegelmauern begannen die Machthaber in der DDR damit, die Grenzen zum Westen zu schließen und eine Millionenstadt zu teilen. Mindestens 136 Menschen sind an der Mauer in Berlin getötet worden oder kamen im unmittelbaren Zusammenhang mit dem DDR-Grenzregime ums Leben. Die SED-Führung behauptete, die Errichtung des "antifaschistischen Schutzwalls" habe dem Frieden gedient. Tatsächlich beendete das monströse Bauwerk die Massenflucht aus der DDR und sicherte der Staatspartei die Macht.

Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 31-34/2011): 50 Jahre Mauerbau

Blobel, Ulli / Steinmetzger, Ulrich: Berlin I Berlin

Blobel, Ulli / Steinmetzger, Ulrich: Berlin I Berlin
Von 1961 bis 1989 war Berlin geteilt – aber Künstler auf beiden Seiten der Mauer fanden sich nicht damit ab. Das Buch präsentiert eine Kulturgeschichte der geteilten Stadt in Einzelerzählungen und stellt grenz- und mauerübergreifende Initiativen auf den Gebieten Literatur, Theater, Musik und Tanz vor.

Das geteilte Berlin stand nach Kriegsende rasch im Mittelpunkt des sich entfaltenden Kalten Krieges. Spätestens nach dem Mauerbau 1961 schien das Schicksal besiegelt: geteilt auf nicht absehbare ´Zeit. Doch jenseits der großen Politik hielten Künstler auf beiden Seiten der Mauer durch Begegnungen, gegenseitige Impulse, bald auch durch genehmigte öffentliche Auftritte, Berlin als künstlerisches Netzwerk am Leben. Dieses Buch präsentiert eine Kulturgeschichte der geteilten Stadt in Einzelerzählungen und stellt grenz- und mauerübergreifende Initiativen auf den Gebieten Literatur, Theater, Musik und Tanz vor. Herausragende Autorinnen und Autoren, nicht selten mit eigenen Erfahrungen aus jener Zeit, zeigen dass es der DDR-Führung nie gelang, die Künste an die Kandare zu legen: Die Kreativen auf beiden Seiten der Mauer hielten an der Vision einer gesamtdeutschen Kunst fest.

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Bollin, Christina: Handbuch zur deutschen Einheit

1. Begriff.



[...] In der Terminologie der SED handelte es sich um einen "antifaschistischen Schutzwall", der in dem offiziellen Nachschlagewerk "Kleines Politisches Wörterbuch" (Ost-Berlin 1988) folgendermaßen charakterisiert wurde: "Seit dem 13. 8. 1961 bestehende gesicherte Grenzanlage an der Staatsgrenze der DDR zu Westberlin. Im Einvernehmen mit den verbündeten sozialistischen Staaten des Warschauer Vertrages und völlig überraschend für den Imperialismus der BRD, seine Spionagezentralen und die NATO übernahmen die bewaffneten Kräfte der DDR die militärische Sicherung der Staatsgrenze zu Westberlin."

2. Historische Entwicklung:



Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Berlin wie Deutschland in vier Besatzungszonen eingeteilt, seine Verwaltung sollte jedoch gemeinsam von einer interalliierten Regierungsbehörde, der Kommandantur, übernommen werden. Schon bald brach allerdings der ideologische Graben zwischen den Westmächten USA, Großbritannien und Frankreich und der Sowjetunion auf. Berlin stellte in dieser Interessenkonfrontation, die in der Berlinkrise von 1948/49 kulminierte, von Anfang an den Brennpunkt dar.

Auch nach der Gründung der beiden deutschen Staaten 1949 bestand offiziell der besatzungsrechtliche Status fort, wenngleich die Vier-Mächte-Verwaltung für Berlin auf Dauer weitgehend wegfiel. West-Berlin behielt seinem alliierten Status entsprechend eine Sonderstellung innerhalb der Bundesrepublik Deutschland bei, Ost-Berlin jedoch wurde als Hauptstadt in die DDR integriert. Der westliche Teil der Stadt wurde aufgrund der Präsenz der westlichen Alliierten inmitten der DDR für die Sowjetunion und die DDR zunehmend zu einer offenen Flanke: Seit 1949 schwoll der Flüchtlingsstrom aus der DDR in die Bundesrepublik fast kontinuierlich an und schwächte die DDR wirtschaftlich und politisch. Da die DDR ihre Staatsgrenze im Westen 1952 verstärkt abriegelte und 1957 den Reiseverkehr einschränkte, konzentrierten sich Grenzverkehr und Flüchtlingsstrom auf Berlin, wo der Übergang an der Sektoren-, im Gegensatz zur Staatsgrenze, noch unbehindert möglich war. (548)

Dieser Exodus beraubte die DDR überproportional vieler junger Leute (über die Hälfte der Flüchtlinge waren jünger als 25 Jahre gegenüber einem Anteil von 36,5 % dieser Altersstufe in der DDR-Bevölkerung) und Erwerbstätiger (60 % gegenüber 47,1 %). Um ihn einzudämmen, sah man in der Sowjetunion und der DDR zwei Möglichkeiten. Zuerst strebte der sowjetische Staats- und Parteichef Chruschtschow mit seinem Ultimatum an die drei Westmächte vom 27. November 1958 die für die Sowjetunion und die DDR günstigere Lösung an: Er schlug eine Umgestaltung West-Berlins zu einer entmilitarisierten freien Stadt vor und drohte für den Fall einer Ablehnung mit einem separaten Friedensschluß mit der DDR, der dieser die Kontrolle über alle Zugangsmöglichkeiten zum Westtell der Stadt übertragen hätte. Trotz dieser Drohung lehnten die westlichen Alliierten die Forderung Chruschtschows ab, da sie einem entmilitarisierten freien West-Berlin keine Überlebenschance einräumten. Die Gespräche, die im folgenden halben Jahr zwischen den vier Alliierten zum Status Berlins stattfanden, brachten keine Einigung. Stattdessen nahmen die Spannungen zu und als Chruschtschow schließlich im Juni 1961 massive Drohungen gegen West-Berlin und Westeuropa aussprach, veranlaßte dies den neuen amerikanischen Präsidenten Kennedy, am 25. Juli drei unverrückbare Grundsätze der amerikanischen Berlin-Politik, die "three essentials", zu proklamieren: das Recht der Westalliierten auf Anwesenheit in West-Berlin, den freien Zugang nach West-Berlin und das Recht der West-Berliner, über ihre Zukunft und Lebensweise selbst zu entscheiden.

Diese Grundsätze untermauerten nicht nur den festen Willen, West-Berlin zu verteidigen, sondern enthielten als weiteren wesentlichen Kern den Verzicht auf den westlichen Einfluß auf den Ostteil der Stadt. Obwohl bereits vorher die Sektorengrenze praktisch der Einflußgrenze gleichkam, hatten sich die westlichen Versicherungen immer auf Gesamt-Berlin bezogen. Nun erklärten die USA also, ihren Einfluß nur zur Erhaltung der Sicherheit und Lebensfähigkeit West-Berlins geltend machen zu wollen.

Für die Sowjetunion und die DDR war die für sie günstigere Lösung einer entmilitarisierten Stadt nicht zustande gekommen. Gleichzeitig öffnete die neue Haltung der USA den Weg zur defensiveren Lösung, der physischen Abriegelung des sowjetischen Sektors von Berlin. Nachdem auch die verschärfte Eindämmung des Reiseverkehrs und der seit 1959 erhöhte Druck auf die noch im Westen der Stadt arbeitenden 63.000 (Juni 1961) "Grenzgänger" nicht den gewünschten Erfolg gebracht hatten und sich im Juli 1961 erstmals seit März 1953 mehr als 30.000 DDR Bürger in den Notaufnahmelagern der Bundesrepublik meldeten, errichteten in der Nacht vom 12. auf den 13. August 1961 Einheiten der Volkspolizei und der Nationalen Volksarmee der DDR an der Sektorengrenze zu West-Berlin Stacheldrahtverhaue und Straßensperren. Diese provisorischen Anlagen wurden anschließend durch die Mauer ersetzt. Von nun an war Ost-Berlinern der Zugang nach West-Berlin untersagt, die Übergangsstellen wurden bis auf 13 geschlossen und das gemeinsame Verkehrsnetz unterbrochen. 10 Tage später wurde die Zahl der Grenzübergänge auf 7 verringert und auch West-Berliner bedurften nun einer Sondergenehmigung, um in den Osten der Stadt zu gelangen. Am 26. August fiel auch diese (549) Möglichkeit der Begegnung weg. Trotz der hermetischen Abriegelung konnten ab dem 13. August bis Ende des Jahres 1961 noch über 25.000 Menschen die DDR und Ost-Berlin über die Sektorengrenze verlassen. Ein berühmtes Beispiel für die Fluchtmöglichkeiten nach dem Bau der Mauer sind die Bewohner der Bernauer Straße, in der die Häuserwand der einen Straßenseite selber die Sektorengrenze darstellte. Die Bilder der Bewohner dieser Häuser, die sich aus ihren Fenstern auf die Straße abseilten, gingen um die Welt. Später mußten die Häuser dem Sperrsystem weichen, das nun in kürzester Zeit die provisorische Abgrenzung ersetzte. Hinter der Beton- und Metallgitterwand bestand dieses Sperrsystem aus einem Kontrollstreifen - dem "Todesstreifen" -, einer zweiten Mauer oder einem Graben zur Abwehr von Fahrzeugen, einem Kolonnenweg für die Grenzsoldaten, Schutzbunkern und Hundelaufanlagen. Abgeschlossen wurde das System durch einen Kontaktzaun, der bei Berührung Ton- und Lichtsignale auslöste. An die Grenzsoldaten erging der Schießbefehl bei Fluchtversuchen. In der Zeit von 1961 bis 1989 starben bei Fluchtversuchen an der Mauer mindestens 80 Menschen, von denen mindestens 60 erschossen wurden, mindestens 118 Personen wurden durch Schußwaffengebrauch verletzt und mehr als 3.000 festgenommen. Über 5.000 "Mauerbrechern" gelang die Flucht. [1]

Der Bau der Mauer, die für Jahrzehnte Berliner Familien und Freunde auseinanderreißen sollte, machte deutlich, daß die Sowjetunion auf der Teilung Deutschlands und Berlins bestand. Für die DDR brachte der "antifaschistische Schutzwall" zunächst eine politische und wirtschaftliche Stabilisierung. Auch die Sowjetunion war offensichtlich mit dem Ergebnis dieser Aktion zufrieden, denn der angekündigte Abschluß eines separaten Friedensvertrages mit der DDR verschwand von der Tagesordnung der sowjetischen Politik, wozu allerdings in erster Linie der aus sowjetischer Sicht wenig erfolgreiche Verlauf der Kuba-Krise 1962 beigetragen hatte.

Der West-Berliner Regierende Bürgermeister Willy Brandt nahm bald die Zementierung der Teilung Berlins als neue Realität hin und konzentrierte sich im folgenden darauf, die Mauer durchlässiger zu machen. Nach 28 Monaten wurde am 17. Dezember 1963 erstmals eine Passierschein-Regelung für Eintagesbesuche von West-Berlinern im Ostteil der Stadt in der Zeit vom 20. Dezember 1963 bis 5. Januar 1964 beschlossen, von der 720.000 Menschen Gebrauch machten. Vom 2. November 1964 an waren Westreisen für Rentner aus der DDR erlaubt. Nach einer Reihe von Fortschritten (z. B. Telefonverbindungen zwischen Ost- und West-Berlin) und Rückschlägen (z. B. Zwang zum Geldumtausch) brachte aber erst das am 3. Juni 1972 in Kraft getretene Vier-Mächte-Abkommen über Berlin wesentliche Verbesserungen in der Transit-, Reise- und Besuchsregelung als Folge von Zugeständnissen des Ostens gegenüber den Rechtsauffassungen der Westalliierten und der Bundesrepublik Deutschland. Dank dieses Abkommens verlor Berlin seine Bedeutung als Dreh- und Angelpunkt des Kalten Krieges. Trotzdem konnte die Stadt aufgrund ihrer exponierten Lage und der Mauer durch ihre Mitte keine normale Stadt werden.

Mitte der 80er Jahre begannen die vom sowjetischen Staats- und Parteichef Gorbatschow eingeleitete Reformpolitik sowie die Entwicklungen in Polen und Ungarn die DDR zu destabilisieren und parteiinternen Reformkräften und Opposi-(550) tionellen Mut zu geben. Die sich im Sommer 1989 verstärkende Ausreisewelle über Ungarn und diplomatische Vertretungen der Bundesrepublik in den sozialistischen Ländern erreichte im Oktober eine neue Dimension, als 10 000 Menschen die DDR verließen. Um einen völligen Zusammenbruch der DDR zu vermeiden, wurde in Ost-Berlin über ein neues Reisegesetz verhandelt. Am 9. November 1989 verkündete die SED-Führung, daß ab sofort Privatreisen ins Ausland und die Ausreise aus der DDR beantragt werden könnten. Eine Erlaubnis werde kurzfristig erteilt.

In der darauffolgenden Nacht, in der Tausende von Berlinern aus Ost und West ohne Widerstand die Grenze in Berlin passierten, verlor die Berliner Mauer ihre trennende Funktion, der entscheidende Schritt zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten war gemacht.

Nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten begann die juristische Aufarbeitung des DDR-Grenzregimes, die auch 1999 noch nicht abgeschlossen ist. Es kam wegen der Schüsse an der Berliner Mauer bisher zu insgesamt 101 Anklagen gegen Angehörige der DDR-Grenztruppen sowie Mitglieder der politischen und militärischen Führung. Von bisher [2] 226 angeklagten Personen wurden bislang 78 rechtskräftig verurteilt und 45 freigesprochen. Von 111 angeklagten Soldaten der Grenztruppen wurden zwei zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. 61 bekamen eine Bewährungsstrafe und 44 Soldaten wurden freigesprochen.

Am 10. September 1996 endete der Prozeß gegen den Chef der DDR-Grenztruppen, Klaus-Dieter Baumgarten, und fünf seiner Stellvertreter wegen Totschlags und versuchten Totschlags von DDR-Flüchtlingen bzw. der Beihilfe dazu. Die Angeklagten wurden zu Haftstrafen zwischen sechs Jahren und drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Das Urteil wurde am 21. Mal 1997 in der Berufungsverhandlung vom Bundesgerichtshof bestätigt. Zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht am 24. Oktober 1996 in einem Grundsatzurteil entschieden, daß die Strafverfolgung von ehemaligen DDR-Spitzen nicht gegen das in Artikel 103 Absatz 2 des Grundgesetzes niedergelegte Verbot rückwirkender Strafgesetze verstoße. Angehörigen der Grenztruppen vor Ort sei von den Befehlsgebern vermittelt worden, Grenzverletzer wären zu "vernichten", wenn der Grenzübertritt mit anderen Mitteln nicht verhindert werden könne. Diese Unterordnung des Lebensrechts des Einzelnen unter staatliche Interessen sei materiell schwerstes Unrecht, das nicht unter den Vertrauensschutz fallen könne. [3] Die Entscheidung des höchsten deutschen Gerichtes war das Resultat einer Verfassungsbeschwerde der ersten, 1994 vom Bundesgerichtshof wegen Totschlags bzw. Beihilfe zum Totschlag zu Freiheitsstrafen rechtskräftig verurteilten ehemaligen Mitgliedern des Nationalen Verteidigungsrates um den früheren DDR-Verteidigungsminister Heinz Keßler. Diese Karlsruher Entscheidung war die Grundlage für spätere Urteile gegen die Führungsspitze der DDR, die sich in ihrer Verteidigung immer auf das Rückwirkungsverbot berufen hatte.

Am 25. August 1997 wurde vor dem Berliner Landgericht das Urteil im Prozeß gegen die drei verbliebenen Mitglieder (E. Krenz, G. Kleiber und G. Schabowski) des Politbüros gesprochen. Verhandelt wurde die persönliche Schuld der Angeklagten am Tod von vier Flüchtlingen zwischen Dezember 1984 und Februar 1989. Die (551) angeklagten Politbüromitglieder Erich Mückenberger, Kurt Hager und Horst Dohlus waren im Lauf des Verfahrens wegen Krankheit ausgeschieden. Der letzte SED-Generalsekretär Krenz wurde nach 116 Verhandlungstagen wegen tateinheitlich begangenen Totschlags in mehreren Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Im Urteil heißt es: "Für die tödlich wirkende Aufgabenstellung an die Grenztruppen war stets das Politbüro verantwortlich." [4] Kleiber und Schabowski wurden zu jeweils drei Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Die Urteile sind allerdings noch nicht rechtskräftig und die Haftbefehle deswegen ausgesetzt. Die Angeklagten hatten sich unter anderem auf die mangelnde Entscheidungsfreiheit der DDR zur Änderung des Grenzregimes, vor allem wegen ihrer starken Abhängigkeit von der Sowjetunion, zur Begründung ihrer Unschuld berufen.

1997 wurden schließlich führende Mitarbeiter und Militärs des DDR-Verteidigungsministeriums wegen ihrer Mitarbeit an der Ausarbeitung und Umsetzung des Befehls 101, der die Grenztruppen zur Waffengewalt gegen Flüchtlinge aufforderte, zu Haft- und Bewährungsstrafen verurteilt. Zuletzt verurteilte das Berliner Landgericht am 24. Juli 1998 vier politische und militärische Berater des Verteidigungsministers wegen Beihilfe zum Totschlag zu Bewährungsstrafen.

3. Begründungen und Standpunkte der östlichen Seite:



Für die Führungsmacht des sozialistischen Lagers, die Sowjetunion, ging es bei dem Konflikt um Berlin um die Lösung einer Frage von strategischer Bedeutung. Nach außen wurde so argumentiert, daß man für den Frieden in Europa bereit sei, das Opfer zu bringen, eine "Freie Stadt Westberlin" auf dem Territorium der DDR zu dulden.

Aus sowjetischer Sicht war die Existenz von West-Berlin als fest mit der NATO-Macht Bundesrepublik Deutschland verbundene politische Einheit eine Gefahr für die Stabilität des eigenen Einflußbereiches, der sich seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges manifestiert hatte. Man sah in Moskau die Gefahr einer Kettenreaktion, nämlich daß zunächst von West-Berlin aus die DDR unterminiert werden könnte und nach deren Fall als sozialistischem Staat die gesamte Hegemonie der Sowjetunion in Mittel- und Osteuropa gefährdet werde. Für SED-Chef Ulbricht und sein Regime ging es bei dieser Frage schlichtweg um die eigene Existenz. Beide Partner, die Sowjetunion und die DDR, sahen die Lösung des Problems in dem kurzfristigen Ziel, eine "Freie Stadt Westberlin" zu etablieren, die keine besonderen Bindungen zur Bundesrepublik hat und in der keine ausländischen Streitkräfte mehr stationiert sind. Damit hätte auch das konkrete Interesse der SED, den Bürgern des eigenen Staates das Schlupfloch in den Westen zu nehmen, leicht im Wege einer geschlossenen Staatsgrenze zwischen zwei souveränen Staaten, nämlich der DDR und "Westberlin", befriedigt werden können. Fernziel war die Eingliederung dieses Territoriums in die DDR.

Da die Verwirklichung dieses Zieles aufgrund der ablehnenden Haltung der Westalliierten zu Chruschtschows Forderungen unrealistisch erschien, unternahm SED-Chef Ulbricht Ende März 1961 einen ersten Versuch, die Zustimmung des sozialistischen Lagers zur Errichtung einer Stacheldrahtgrenze zwischen dem Ost- (552) sektor und den Westsektoren, also nur innerhalb der Stadt, zu erhalten. Diese Zustimmung wurde diesmal noch verweigert, besonders deshalb, weil Chruschtschow nach der Amtsübernahme des neuen US-Präsidenten John E Kennedy im Januar 1961 erst dessen Haltung zur Berlin-Frage ausloten wollte. Aber auch weil andere Führer von kommunistischen Parteien wie der Ungar Kadar und der Rumäne Gheorghiu-Dej sich über die Radikalität des Vorschlages entsetzt zeigten, fand der Ulbricht-Vorschlag keine Zustimmung in Moskau. Diese Ablehnung wird auch als Hintergrund für Ulbrichts berühmt gewordenen Satz während einer Pressekonferenz vom 15. Juni 1961 gesehen: "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten." Mit dem Wort "Mauer" war Ulbricht allerdings bereits weiter gegangen als die Pläne zur Errichtung einer Stacheldrahtgrenze noch im März vermuten ließen.

Nach dem Mauerbau erläuterte Chruschtschow gegenüber dem Botschafter der Bundesrepublik in Moskau, Hans Kroll, daß der Befehl dazu aus Moskau gekommen sei und man keine andere Wahl gehabt habe. Außerdem verwies er darauf, daß die Mauer verschwinden werde, wenn die Gründe zu ihrer Errichtung verschwunden wären. Diese Argumentation wurde auch noch 1986 vom damaligen SED-Chef Honecker genauso verwendet.

Die SED war mit dem Ergebnis der Aktionen vom 13. August 1961 sehr zufrieden und propagierte das Erreichen ihres Zieles. In einer Stellungnahme des Zentralkomitees der SED vom 4. Oktober 1961 wurde betont, daß "der gefährliche Brandherd Westberlin" unter Kontrolle gebracht worden sei und nun die Perspektive für eine freie und entmilitarisierte Stadt Westberlin klar sei. Gleichzeitig schöpfte sie aus dem Mauerbau und den zurückhaltenden Reaktionen des Westens neues Selbstbewußtsein: "Die Anerkennung der DDR steht auf der Tagesordnung. Es hat sich gezeigt, daß die DDR niemals zu besiegen ist." Auch aus sowjetischer Sicht war die Aktion offensichtlich zufriedenstellend verlaufen und ihre Deutschlandpolitik wurde der neuen Lage angepaßt (z. B. kein Abschluß eines separaten Friedensvertrages mit der DDR). Aus östlicher Sicht folgerichtig setzte nach dem Mauerbau eine allmähliche innenpolitische Stabilisierung der DDR ein, so daß man ab 1963 sogar zu einer vorsichtigen Liberallsierung in Kultur und Wirtschaft kam. Andererseits ließ die SED-Führung die Propagandakampagne zur Rechtfertigung des Mauerbaus noch einige Zeit weiterlaufen und baute die Grenzanlagen weiter aus, indem z. B. der Todesstreifen geschaffen wurde.

Die Haltung der SED-Führung wurde in den darauffolgenden Jahren etwas kompromißbereiter soweit es um die Durchlässigkeit der Mauer von West nach Ost ging. Beleg hierfür sind die vier seit Dezember 1963 geschlossenen Passierscheinabkommen, die den Bürgern West-Berlins den begrenzten Besuch im Ostteil der Stadt oder in der DDR gestatteten. Im Rahmen solcher Vertragsverhandlungen versuchte die SED immer wieder, allerdings ohne durchgreifenden Erfolg, Formulierungen durchzusetzen, die West-Berlin als selbständige politische Einheit behandelten, Der Status der Stadt wurde 1972 in dem Vier-Mächte-Abkommen wenigstens umrissen, wenn auch nicht exakt definiert. Ulbricht war gegen dieses Vier-Mächte-Abkommen, das natürlich Zugeständnisse und Kompromisse hinsichtlich der unterschiedlichen Rechtsauffassungen bringen mußte und dann auch brachte. Wohl auch (553) deshalb wurde Ulbricht noch im Frühjahr 1971 als SED-Chef gestürzt, denn die Sowjetunion war im Zuge der Annäherung an die USA auch an einer Entspannung in der Berlin-Frage interessiert. [5] Noch 1970 hatte Ulbricht ausdrücklich betont, daß West-Berlin Besatzungsgebiet sei und auf dem Territorium der DDR liege. Diese Position wurde durch das Vier-Mächte-Abkommen überholt.

Ein wesentlicher Bestandteil der östlichen Argumentation für die Errichtung des "antifaschistischen Schutzwalles" war bis in die 80er Jahre hinein die Behauptung, mit dem Mauerbau einen drohenden Überfall der Bundeswehr auf die DDR verhindert zu haben. Immer wieder wurden völlig entstellte Zitate aus der westdeutschen Presse angeführt, um die angeblichen Kriegsvorbereitungen des Westens zu belegen. So hatte die Düsseldorfer Zeitung "Industriekurier" am 2. September 1961 in einem Leitartikel folgenden Satz geschrieben: "Eine Wiedervereinigung, wie sie sich jeder deutsche Patriot erträumte - eine Wiedervereinigung mit Girlanden und wehenden Fahnen und siegreichem Einzug der Bundeswehr durchs Brandenburger Tor - eine solche Wiedervereinigung wird es auf absehbare Zeit nicht geben." Daraus wurde in den alljährlichen Leitartikeln des Neuen Deutschland zum 13. August die Bedrohung durch die Bundeswehr konstruiert. So hieß es z. B. im Neuen Deutschland noch am 13. August 1985: "Massenmedien der BRD kündigten den bevorstehenden Einmarsch der Bundeswehr mit klingendem Spiel durch das Brandenburger Tor an." Auch noch in der letzten Phase der DDR, als wieder Tausende Bürger den ersten deutschen Arbeiter- und Bauern-Staat Richtung Westen verließen, reagierte die SED mit starrigem Trotz auf Fragen nach dem weiteren Fortbestand der Mauer. Erich Honecker sagte beispielsweise in einer Rede im Januar 1989, die Mauer werde noch 100 Jahre stehen, wenn die Gründe ihrer Errichtung nicht verschwunden wären.

Hart hatte die SED nicht nur gegenüber Flüchtlingen reagiert, sondern auch gegenüber sogenannten "Provokationen" an der Mauer, wie etwa zu Pfingsten 1987. Damals hatten sich Ost-Berliner Jugendliche an der Mauer am Brandenburger Tor versammelt, um einem Rockkonzert auf der westlichen Seite der Mauer zuzuhören. Als die Staatsmacht dagegen einschritt, wurden zum ersten Mal Sprechchöre wie "Die Mauer muß weg" und "Wir wollen Gorbatschow" laut. Verbunden mit dem Wandel der sowjetischen Deutschlandpolitik seit Mitte der 80er Jahre setzte eine zunehmende Distanzierung zwischen der Führungsmacht und ihrem einstigen Musterschüler DDR ein, an deren Ende die Zurückhaltung der Sowjetunion während der Ereignisse 1989/90 stand. Es häuften sich die Äußerungen immer höherrangiger Vertreter der Sowjetunion über die Mauer, die die Position der SED unterhöhlten. Dies gipfelte zunächst in der Aussage des Gorbatschow-Beraters Daschitschew 1988, die Mauer sei ein Relikt des Kalten Krieges. Der sowjetische Außenminister Schewardnadse erklärte am 18. Februar 1989 im sowjetischen Fernsehen, also in aller Öffentlichkeit: "Diese Berliner Mauer, das möchte ich mit aller Offenheit sagen, ist eine innere Angelegenheit der Deutschen Demokratischen Republik. Wir haben nicht die Absicht, uns in die inneren Angelegenheiten dieses souveränen Staates einzumischen." Alexander Jakowlew, Politbüro-Mitglied der KPdSU, sagte sogar im Bonner Presseclub: "Nicht wir haben diese Mauer gebaut. Das ist eine Sache der DDR."

Mit dieser Distanzierung der politischen und militärischen Garantiemacht des SED-Regimes wurde die Mauer bereits brüchig.

4. Die Haltung der drei westlichen Alliierten:



Obwohl die drei westlichen Alliierten USA, Großbritannien und Frankreich in Übereinstimmung mit den Vorstellungen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland das Chruschtschow-Ultimatum Ende 1958 einhellig ablehnten, gab es innerhalb dieser Allianz divergierende Ansichten, die über 1961 hinaus vor allem die deutsch-amerikanischen Beziehungen belasteten.

Die Bundesregierung sah in Konsequenz der bisherigen Entwicklung die Berlin-Krise als Symbol für den Kampf um die Zukunft Gesamt-Deutschlands, dessen Ausgang wiederum entscheidend für das Kräfteverhältnis der beiden ideologischen Blöcke sei. Deshalb erwartete man von den Westalliierten die resolute Verteidigung Berlins und die Förderung einer deutschen Wiedervereinigung auf der Basis freier Wahlen.

Für die Verantwortlichen der US-amerikanischen Politik hatte sich die Situation im Herbst 1958 jedoch verändert. Angesichts der jüngsten sowjetischen Raketenerfolge und des atomaren Gleichgewichts wirkte das bislang propagierte Prinzip der "massiven Vergeltung" unangemessen. Präsident Eisenhower, der für Chruschtschows Ultimatum innenpolitische Ursachen ausmachte und weiterhin auf seine Bereitschaft zur Entspannung baute, signalisierte deshalb zugleich mit der Ablehnung des Ultimatums Verhandlungsbereitschaft. Eine Reihe von "neuen Ideen" (z. B. "technische Kontakte" mit DDR-Bediensteten als Agenten der Besatzungsmacht oder eine Wiedervereinigung als Konföderation ohne vorherige freie Wahlen) war Ausdruck der Entscheidung, für Grenzkontrollformalitäten keinen Atomkrieg zu riskieren. Unterstützung bekamen die USA in dieser Phase von der britischen Regierung, deren Bereitschaft, Berlin zu verteidigen, gering war. Während Großbritannien und die USA nun für Verhandlungen mit der sowjetischen Führung eintraten, um das Ultimatum von der Tagesordnung abzusetzen, bekam die deutsche Regierung in ihrer Ablehnung jeden Kompromisses unerwartet Stärkung aus Frankreich, das die Westbindung der Bundesrepublik durch das Verhalten der Briten und Amerikaner gefährdet sah.

Die Verhandlungen, die im Mal 1959 in Genf aufgenommen wurden, brachten trotz weitgehender Zugeständnisse des Westens während der Amtszeit Eisenhowers keine Lösung.

Mit dem Amtsantritt des neuen amerikanischen Präsidenten Kennedy am 30. Januar 1961 wurde eine neue Außenpolitik eingeführt, die mit Hilfe eines stabilisierten Mächtegleichgewichts, Rüstungskontrolle und des Modells der "flexible response" zur Entspannung zwischen den Blöcken führen sollte. Die Rolle, die dabei Berlin zugeordnet wurde, deutete er im April bei seinem ersten Treffen mit Adenauer an. Klar umriß er sie jedoch erst, nachdem Chruschtschow am 4. Juni im Rahmen eines Gipfeltreffens in Wien sein Ultimatum in scharfer Form wiederholt hatte. Kennedy bezeichnete es als "eine ausgesprochene Dummheit, das Leben von einer Mio. Amerikanern wegen einer Auseinandersetzung über Zugangsrechte (555) zu einer Autobahn zu riskieren oder weil die Deutschen wollen, daß Deutschland wiedervereinigt wird. Wenn ich Rußland mit einem Atomkrieg drohe, dann nur um bedeutenderer und schwerwiegenderer Gründe willen als diese". [6] Gleichzeitig demonstrierten die USA nun jedoch Entschlossenheit, indem sie den Verteidigungshaushalt erhöhten, den Ausbau der konventionellen Streitkräfte beschleunigten und Vorbereitungen für eine Luftbrücke trafen. Am 25. Juli hielt Kennedy dann die Rundfunk- und Fernsehansprache, in der er mit den drei "Essentials" signalisierte, daß die USA auf der Sicherung des Status Quo in West-Berlin bestehe, ohne auf die Rechte aller Vier Mächte in Gesamt-Berlin zu pochen.

Der Bau der Mauer kam für die USA nicht völlig überraschend. Senator Fulbright hatte eine Grenzschließung zwischen Ost- und West-Berlin sogar bereits ausdrücklich als Recht der DDR anerkannt. Da die Abriegelung in der Nacht zum 13. August 1961 keines der drei "Essentials" verletzte, zeigte Washington keine besondere Reaktion: Erst am nächsten Tag kam die offizielle Reaktion, daß der Mauerbau das Eingeständnis der fehlgeschlagenen kommunistischen Politik sei. Am 15. August übergaben die drei westlichen Stadtkommandanten ihrem sowjetischen Kollegen ihre Protestnote und wiederum zwei Tage später wurden die drei Westmächte wegen des Verstoßes gegen den Vier-Mächte-Status in Moskau vorstellig. Die Solidaritätsbekundungen durch die Verstärkung der Berliner Garnison um 1500 Mann sowie den Besuch des amerikanischen Vizepräsidenten Johnson in Begleitung des Helden der Luftbrücke, General Clay, am 19. August konnte die Entrüstung und Ängste der West-Berliner kaum beruhigen. Auf Brandts Forderung vom 16. August, "Berlin erwartet mehr als Worte - Berlin erwartet politische Aktion" und seinen vorwurfsvollen Brief an Kennedy machte der amerikanische Präsident den West-Berlinern ihre neue Situation jedoch deutlich: Er zeigte Verständnis, forderte sie aber auf, Positionen und Ansprüche fallenzulassen, die nicht durchsetzbar wären. Statt über die Untätigkeit der westlichen Alliierten zu klagen, solle Brandt eigene Gedanken zur Entspannung der Lage Berlins entwickeln.

Die West-Berliner mußten zudem eine weitere Enttäuschung erleben. Denn im Rahmen des Wahlkampfes zu den Bundestagswahlen, dessen Gallionsfiguren Adenauer (CDU) und Brandt (SPD) waren, fand der Bundeskanzler im Anschluß an den Bau der Mauer den Weg nach Berlin zunächst nicht. Er kam erst am 22. August, um gegen den Mauerbau zu protestieren und die West-Berliner der Unterstützung durch die Bundesregierung zu versichern.

So hatte der Bau der Mauer nicht nur den Status Quo in Europa zementiert, sondern den Westdeutschen deutlich gemacht, daß ihr Konflikt mit dem Ostblock nicht mit dem der Westmächte identisch war, daß das deutsche Interesse an der deutschen Wiedervereinigung nicht mehr die gemeinsame Sache des Westens war. Andererseits hatten die Westalliierten unter amerikanischer Führung ihre Garantie für West-Berlin gegeben, auf die sich die West-Berliner in den folgenden Jahrzehnten verlassen konnten. Bis zum Ende der Berlin-Krise 1963 waren eine Auseinandersetzung um die alliierten Rechte in Berlin im Oktober 1961 und Kennedys berühmt gewordener Satz "Ich bin ein Berliner" vom 26. Juni 1963 in Berlin Symbole für diese Garantie. Ein weiterer Höhepunkt dieser Solidarität waren die Verhand- (556) lungen zum 1972 in Kraft getretenen Vier-Mächte-Abkommen. Anläßlich der 25jährigen Existenz der Mauer 1986 bekräftigten die USA erneut ihre Verpflichtung gegenüber West-Berlin und forderten den Abriß der Mauer. Das folgende Jahr brachte West-Berlin Besuche und Sympathiebekundungen aus allen drei Westmächten, die im Dezember 1987 der Sowjetunion Vorschläge zur Verbesserung der Lage in und um Berlin unterbreiteten.

Vom Fall der Mauer wurden auch die Westalliierten überrascht. Der sich anschließende Prozeß bis zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten wurde von den USA unter der Bedingung der Stabilität gefördert, so daß in den Zwei-plusVier-Verhandlungen die internationalen Rahmenbedingungen geregelt werden konnten. Auch in Frankreich und Großbritannien setzte sich nach stärkerer Zurückhaltung und trotz Zweifeln, vor allem in der politischen Klasse, die Überzeugung durch, sich der deutschen Vereinigung nicht widersetzen zu können. Am 18. Juni 1994 verabschiedeten sich die Truppen der westlichen Alliierten nach 49jähriger Präsenz von Berlin.

[...]

Literatur:



BESCHOSS, MICHAEL R.: The Crisis Years: Kennedy and Khrushchev 1960-1963, New York 1991.
BUNDESMINISTERIUM FÜR INNERDEUTSCHE BEZIEHUNGEN: Der Bau der Mauer durch Berlin. Die Flucht aus der Sowjetzone und die Sperrmaßnahmen des kommunistischen Regimes vom 13. August 1961, Bonn (l. erg. Aufl.) 1988.
CATUDAL, HONORE M.: Kennedy in der Mauer-Krise. Eine Fallstudie zur Entscheidungsfindung in den USA, Berlin 1981.
(559) HERTLE, HANS-HERMANN: Der Fall der Mauer aus der Sicht der NVA und der Grenztruppen der DDR, in: Deutschland-Archiv, 9/1995, S. 901-919.
DERS.: "Kontrollen eingestellt - nicht mehr in der Lage - Punkt." Wie die Mauer am Grenzübergang Bornholmer Straße fiel, in: Deutschland-Archiv, 11/1995, S. 1127-1134.
GRAEFE, ROMAN: Die Strafverfolgung von DDR-Grenzschützen und ihren Befehlsgebern. Eine vorläufige Bilanz, in: Deutschland-Archiv, 3/1997, S. 377-383. 13.
DERS.: "Ziele mit dem Feuerstoß vernichten." Urteile gegen die Militärführung der DDR, in: Deutschland-Archiv, 4/1997, S. 525-526.
MAXIMYTSCHEW, IGOR W./HANS-HERMANN HERTLE: Die Maueröffnung. Eine russisch-deutsche Trilogie. Teil I und II, in: Deutschland-Archiv, 11/1994, S. 1137-1158.
DIES.: Die Maueröffnung. Eine russisch-deutsche Trilogie. Teil III, in: Deutschland-Archiv, 12/1994, S. 1241-1251.
RÜHLE, JÜRGEN/GUNTER HOLZWEISSIG: 13. August 1961. Die Mauer von Berlin, Köln (3. erw. Aufl.) 1988.
STÜTZLE, WALTHER: Kennedy und Adenauer in der Berlin-Krise 1961 -1962, Bonn-Bad Godesberg 1973.

Gehler, Michael: Die Umsturzbewegungen 1989 in Mittel- und Osteruropa

ApuZ (B 41-42/2004
(Auszug)

Die Maueröffnung am 9. November bedeutete die "unbeabsichtigte Selbstauflösung des SED-Staates". Sie führte zwar zu einer Entlastung des massiv unter Druck geratenen Regimes, nahm aber gleichzeitig die staatliche Einheit mit der Bundesrepublik vorweg. Der Ruf nach Bürgerrechten und freien Wahlen sowie die Forderung nach Auflösung des SED-Regimes ("Wir sind das Volk") wurden nach dem 9. November von den Leitsprüchen "Deutschland einig Vaterland" und "Wir sind ein Volk" abgelöst. Die politischen Forderungen wurden zunehmend von nationalen Motiven überlagert – eine Parallele zum 17. Juni 1953. Weder die seit dem 13. November amtierende Übergangsregierung unter Hans Modrow noch die vorsichtig agierende Regierung in Bonn konnten sich der nationalen Sogwirkung entziehen. Bundeskanzler Helmut Kohl schlug am 28. November in einem "Zehn-Punkte-Plan" eine Konföderation vor, die in zehn bis 15 Jahren die Wiedervereinigung ermöglichen sollte. Doch die Initiative zur deutschen Einheit ging von den Menschen im Osten aus, die Umsetzung erfolgte durch die Politik der Bundesrepublik.

Quelle: Aus Politik und Zeitgeschichte (B 41-42/2004): 15 Jahre Mauerfall, S. 40f.

Aus Politik und Zeitgeschichte (B 41-42/2004): 15 Jahre Mauerfall

Görtemaker, Manfred: Die Deutsche Frage in der internationalen Politik

Informationen zur politische Bildung: Der Weg zur Einheit
(Auszug)

Erst mit Beginn der Lockerung der Ost-West-Konfrontation nach der Doppelkrise um Berlin und Kuba 1961/62, die den Wendepunkt im Kalten Krieg hin zur Entspannungs- und Kooperationspolitik markierte, gelang es, die positiven Auswirkungen, welche die Politik der Führungsmächte bereits innerhalb der jeweiligen Blöcke auf das deutsche Image gehabt hatte, auf das Ost-West-Verhältnis zu übertragen.

Einen großen Anteil an dieser Entwicklung hatte die neue Ostpolitik der Bundesrepublik unter Bundeskanzler Willy Brandt, der mit seiner sozialliberalen Koalition nach den Bundestagswahlen vom 20. September 1969 die Regierung übernahm. Brandt hatte als Regierender Bürgermeister von Berlin den Mauerbau am 13. August 1961 miterlebt und danach rasch die Erkenntnis gewonnen, dass entgegen den Hoffnungen der fünfziger Jahre eine Überwindung der deutschen Teilung noch für lange Zeit unmöglich sein werde, weil die mit Unterstützung der Sowjetunion erfolgte äußere Abriegelung der DDR dem SED-Regime vorerst zu einer Stabilisierung verhalf.

Brandt schloss daraus, dass man in der Deutschlandpolitik nunmehr vom Status quo ausgehen müsse. Sogar direkte Vereinbarungen mit der DDR sollte es nun geben, um den Kontakt zwischen den Menschen in beiden Staaten nicht abreißen zu lassen. Außerdem ging es darum, kurzfristig "menschliche Erleichterungen" im geteilten Deutschland zu erreichen und langfristig durch gegenseitigen Kontakt und Beeinflussung vielleicht einen "Wandel durch Annäherung" herbeizuführen, wie Brandts Pressesprecher Egon Bahr im Juli 1963 in Tutzing erklärt hatte.

[...]

Noch in der Nacht machten sich Tausende von DDR-Bürgerinnen und –Bürgern auf den weg zur Grenze, um sich an Ort und Stelle einen Eindruck von der neuen Lage zu verschaffen. Schabowski missverständliche Äußerungen hatten bei ihnen die spontane Eingebung geweckt, dass sie "sofort" den Westen besuchen könnten. An den Grenzübergängen – vor allem in Berlin – war die Verwirrung allerdings groß, denn die Grenzposten hatten von der angeblichen Grenzöffnung ebenfalls erst aus den Medien erfahren. Sie konnten deshalb am Abend des 9. November noch gar keine neuen Weisungen erhalten haben und mussten improvisieren. Als der Druck immer mehr anschwoll, entschieden sie nach längerem Zögern und verschiedentlichem Taktieren sowie nach einer ebenso eiligen wie provisorischen Konsultation ihrer Zentrale, die Grenzen aufzumachen. Auch Krenz, der gegen 21 Uhr von Mielke telefonisch unterrichtet wurde, dass "mehrere Hundert" Menschen an der Grenze die sofortige Ausreise verlangten, plädierte dafür, sie "durchzulassen", da die Öffnung ohnehin beabsichtigt und jetzt nicht mehr zu vermeiden sei. Damit war die Mauer, 28 Jahre nach ihrer Errichtung, gefallen.

Mit der Maueröffnung war die deutsche Einigung allerdings noch keine beschlossene Sache. Die Entwicklung seit Mitte der achtziger Jahre deutete vielmehr in die entgegengesetzte Richtung. Die Welt hatte sich an die deutsche Teilung gewöhnt. Die DDR war auf der Bühne der internationalen Politik inzwischen anerkannt. Und da weder im Ausland noch in Deutschland selbst die Existenz zweier deutscher Staaten, auf der die europäische Ordnung seit 1945 basierte, in absehbarer Zeit für revidierbar gehalten wurde, ohne den Frieden in Europa zu gefährden, zog man es allgemein vor, den Status quo der Teilung bereits für den "Normalzustand" zu halten.

Die Wende vom Herbst 1989 traf daher Ost und West unvorbereitet. Obwohl es bei näherer Betrachtung zahlreiche Hinweise und Vorboten für den Wandel im kommunistischen Lager gegeben hatte, wurde man davon im Westen ebenso überrascht wie in der Sowjetunion. Dementsprechend unsicher waren anfangs die Reaktionen: Einerseits bestand die Hoffnung auf größere Freiheit bzw. - aus sowjetischer Sicht - den endgültigen Sieg der Perestroika; andererseits gab es Furcht vor einem möglichen Wiederaufleben der Deutschen Frage und des Rückfalls in die Probleme der Zeit vor 1945.

Zwar bemühten sich Gorbatschow und seine Mitarbeiter bereits unmittelbar nach der Maueröffnung am 10. November 1989 in Kontakten mit der amerikanischen Administration und der Bundesregierung sowie mit der SED-Führung, eine unkontrollierte Eskalation der Entwicklung - etwa eine spontane Wiedervereinigung durch die Bevölkerung in Ost- und Westdeutschland - zu verhindern und einen friedlichen Wandel in der DDR zu ermöglichen. Aber andere Kräfte in Moskau - vor allem im Parteiapparat und beim Militär - plädierten mehr oder minder offen für die Anwendung von Gewalt, um die Situation unter Kontrolle zu bringen: Eine "chinesische Lösung" nach dem Muster der Niederschlagung der Reformbewegung in China war daher keineswegs auszuschließen.

Quelle: Informationen zur politischen Bildung: Der Weg zur Einheit, Nr. 250, S. 9f, 32f.

Informationen zur politische Bildung (Heft 250): Der Weg zur Einheit, Bonn 2015

Görtemaker, Manfred: Kleine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland

(Auszug)

8. Das Ende der Ära Adenauer



Kleine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
Am 25. Juli 1961 hatte Kennedy in einer Fernsehrede deshalb noch einmal die drei "essentials" der amerikanischen Berlin-Politik bekräftigt, die bereits im Herbst 1958 vom State Department als "unverrückbare Grundsätze" in Reaktion auf das Chruschtschow-Ultimatum formuliert worden waren:
  • Das Recht auf Anwesenheit in Berlin,
  • das Recht auf Zugang in Berlin,
  • die Verpflichtung, die Selbstbestimmung der West-Berliner und die freie Wahl ihrer Lebensform zu gewährleisten.
Kennedy war also unnachgiebig in der Verteidigung West-Berlins. Seine Garantien endeten jedoch an der Sektorengrenze. Den Mauerbau konnte er nicht verhindern, wohl aber den Krieg, der deswegen hätte ausbrechen können. Die Voraussetzung dafür war, dass beide Seiten die Grenzen der Einflusssphäre des jeweils anderen respektierten. Als die Maßnahmen des 13. August bekannt wurden, war der amerikanische Präsident nicht besorgt, sondern erleichtert. Während Brandt mutmaßte, die östlichen Sperrmaßnahmen bildeten nur den Auftakt zu weiteren, noch gefährlicheren Schritten, und prophezeite, dem Westen werde "das Risiko letzter Entschlossenheit nicht erspart bleiben", war für Kennedy die Krise mit dem Mauerbau beendet. Nüchtern bilanzierte er, Chruschtschow habe, obwohl auf schlimme Art, ein spezifisch deutsches Problem gelöst und den Westen von einer schweren Sorge befreit.

20. Der Weg zur Einheit



Die Wende vom Herbst 1989 traf Ost und West unvorbereitet. Obwohl es bei näherer Betrachtung zahlreiche Hinweise und Vorboten gegeben hatte, wurde man in Bonn und den westlichen Hauptstädten ebenso überrascht wie in Ost-Berlin und Moskau. Dementsprechend unsicher waren anfangs die Reaktionen: Während Großbritannien und Frankreich sich besorgt zeigten, dass eine deutsche Wiedervereinigung neue Risiken für die europäische Ordnung heraufbeschwören könnte, empfanden die USA Genugtuung, dass die Befreiung Osteuropas vom Kommunismus greifbar nahe schien. In der Bundesrepublik neigte man dagegen zur Zurückhaltung, um die ohnehin komplizierte Situation nicht durch unbedachte Schritte weiter zu verwirren. In der Sowjetunion bemühten sich Generalsekretär Michail Gorbatschow und Außenminister Eduard Schewardnadse in Kontakten mit den Regierungen in Washington, Bonn und Ost-Berlin, eine unkontrollierte Eskalation der Entwicklung – etwa eine spontane Wiedervereinigung durch die Bevölkerung beider Teile Deutschlands – zu verhindern und einen friedlichen Übergang in der DDR zu ermöglichen. Später behauptete Schewardnadse in einem Interview sogar, in den Stunden nach der Maueröffnung habe man sich am Rande eines Dritten Weltkrieges bewegt. Glücklicherweise habe er in der Auseinandersetzung mit den Befürwortern einer Militäraktion Rückendeckung von Gorbatschow erhalten, so dass ein militärischer Konflikt habe vermieden werden können.

Hertle, Hans-Hermann: Die Berliner Mauer / The Berlin Wall

Hertle, Hans-Hermann: Die Berliner Mauer / The Berlin Wall
Auf 184 Seiten beantwortet Hans-Hermann Hertle die wichtigsten Fragen zur Berliner Mauer: Wo stand die Berliner Mauer? Warum wurde sie gebaut? Wie gelang es immer wieder, sie zu überwinden, wie viele Menschen kamen an der Mauer zu Tode?

Das Buch kann bei der Bundeszentrale für politische Bildung bestellt werden.

www.bpb.de

Hertle, Hans-Hermann: Die Berliner Mauer Pocket-Ausgabe

Hertle, Hans-Hermann: Die Berliner Mauer Pocket-Ausgabe
Wo stand die Berliner Mauer? Warum wurde sie gebaut? Wie gelang es immer wieder, sie zu überwinden, wie viele Menschen kamen an der Mauer zu Tode? Die erfolgreiche Publikation Die Berliner Mauer / The Berlin Wall ist ab sofort auch als handliche Pocketausgabe erhältlich, wahlweise auf deutsch oder englisch.

Die Pocketausgabe kann bei der Bundeszentrale für politische Bildung bestellt werden.

www.bpb.de

Informationen zur politischen Bildung: Berlin. Deutschlands Hauptstadt

(Auszug)

Informationen zur politischen Bildung: Berlin. Deutschlands Hauptstadt
Wenige Orte unserer Erde stehen derart im Mittelpunkt eines weltpolitischen Interesses wie Berlin, die Hauptstadt Deutschlands. Das Schicksal dieser Stadt ist seit 1945 zum Angelpunkt der politischen Auseinandersetzungen der Weltmächte geworden, und wir spüren es gerade jetzt seit dem 13.8.1961 wieder mit aller Deutlichkeit, daß Berlin in jedem Augenblick Ausgangspunkt unübersehbarer Verwicklungen werden kann.

Hier liegt, als Insel gleichsam, weit vorgeschoben im Meer der bolschewistischen Diktatur die letzte Bastion demokratischer Freiheit, ein "Brocken im Halse" des kommunistischen Diktators Chruschtschow. [...]

Um eine Vorstellung von der Ausdehnung Berlins zu gewinnen, ist der Vergleich mit dem Ruhrgebiet am eindruckvollsten [...]. Berlin würde fast das ganze Ruhrgebiet bedecken, von Düsseldorf bis Bochum, von Hamborn bis Velbert. Bei einer Gesamtfläche von 884 qkm beträgt die Ost-West-Ausdehnung 45 km, die Nord-Süd-Ausdehnung 38 km. (Im Vergleich dazu Hamburg 747 qkm, München 542 qkm.) West-Berlin umfaßt davon 481 qkm. Das sind 54,4 qkm der Gesamtfläche. Infolge der politischen Abschnürung Berlins bedeutet dies 110 km Zonengrenze und 45 km Sektorengrenze. Die etwa 150 Straßen und Wege, die über diese Grenzen hinweggeführt haben, sind heute durch Mauern, Barrieren, Erdwälle, Gräben und Schlagbäume abgesperrt. Die übrige Grenze ist durch Stacheldraht und einen kahlen "Todesstreifen" markiert.

Die Einwohnerzahl Gesamt-Berlins hat zwar nicht mehr die imponierende Größe von 4,3 Mio vor dem Kriege erreicht, ist aber im letzten Jahrzehnt mit 3,3 Mio ziemlich konstant geblieben. Davon leben 2,2 Mio, d. h. 2/3 der Bevölkerung, in West-Berlin. Die Bevölkerungsdichte in West-Berlin beträgt heute 4600 Einwohner pro qkm. (Bundesdurchschnitt: 204 Einwohner pro qkm.) [...] Der Bundestag beschloß am 6. 2. 1957: "Berlin ist die Hauptstadt Deutschlands." Der amerikanische Außenminister Dulles, der im Mai 1958 Berlin besuchte, bestätigte in einer Rede vor dem Berliner Abgeordnetenhaus feierlich die Garantie der Vereinigten Staaten für die Stadt. Als Auftakt zu den nächsten Berliner Wahlen hielt Chruschtschow im November 1958 jene Rede in Moskau, in der er eine Revision des Potsdamer Abkommens forderte, "um für die Hauptstadt der DDR eine normale Lage zu schaffen." Wenige Tage später, am 27.11.1958, wurde in ultimativer Form die Forderung erneuert, innerhalb einer Frist von sechs Monaten West-Berlin zu einer "Freien Stadt" zu erklären, die Stadt von den westlichen Besatzungstruppen zu räumen und die Kontrolle aller Zufahrtswege an die Organe der Zonenregierung zu übergeben. Die Berliner Bevölkerung und die ganze freie Welt erkannte dieses Chruschtschow-Ultimatum als einen neuen Anschlag auf die Freiheit Berlins. [...]

Das Jahr 1961 solltedie Berlin-Krise wieder auf einen Höhepunkt treiben. Der neue amerikanische Präsident Kennedy besucht de Gaulle Ende Mai/Anfang Juni in Paris und trifft sich zu einem informatorischen, Gespräch mit Chruschtschow in Wien.Dort wird das "Deutschland-Memorandum" überreicht. Es enthält die Forderung nach Einberufung einer Friedenskonferenz mit "beiden deutschen Staaten", West-Berlin soll zur "freien Stadt" erklärt werden mit einer symbolischen Besetzung durch alle vier Mächte. Der 10. Deutsche Evangelische Kirchentag vom 19. bis 23.7. vereinigte trotz Verbot im Sowjetsektor zum letzten Male viele Deutscheaus Ost und West im freien Berlin. In den Antwortnoten der Westmächte und der Bundesregierung werden die sowjetischen Forderungen zurückgewiesen. Die immer wiederkehrende Behauptung, daß Berlin auf dem Territorium der sog. DDR liege, wird widerlegt und die Verantwortung der Sowjetunion für die Verbindungswege auch nach Abschluß eines Friedensvertrages mit der sog. DDR festgestellt. Das Anschwellen des Flüchtlingsstromes (allein im Juli 30415) war die Folge dieser von Chruschtschow entfachten Krisenstimmung [...].Dann überstürzten sich die Ereignisse. In der Nacht zum Sonntag, dem 13. August, wird der Sowjetsektor der Stadt durch Stacheldraht, später durch Betonpfeiler und Ziegelmauern, hermetisch abgeriegelt. Von 80 Übergangsstellen bleiben nur vier geöffnet. Zonenbewohner dürfen nur mit besonderer Genehmigung West-Berlin betreten. 53 000 Grenzgänger, die in West-Berlin ihren Arbeitsplatz haben, werden im Sowjetsektor festgehalten. Die West-Berliner, mit Ausnahme der im Sowjetsektor beschäftigten, dürfen den Sektor nicht mehr betretein. Für Westdeutsche und Ausländer sind an besonderen Übergängen Aufenthaltsgenehmigungen erhältlich. Verzweifelte Menschen versuchen trotz Absperrungen durch schwerbewaffnete Volkspolizei, "Betriebskampfgruppen" und Volksarmee immer wieder durchzubrechen oder auf abenteuerliche Weise, z. B. indem sie die Havel oder den Teltowkanal durchschwimmen, aus Ulbrichts KZ zu entrinnen. Und vielen gelingt diese Flucht bis zum heutigen Tag. Der bisher durchgehende S-Bahn-Verkehr wird unterbrochen. Die U-Bahn durchfährt ohne Halt den Sowjetsektor. Unbeschreibliche Szenen spielen sich täglich an der "Schandmauer" ab. Die Volkspolizei setzt Wasserwerfer und Tränengasbomben ein, um Ansammlungen auf der West-Berliner Seite zu zerstreuen. Flüchtende werden von den Grenzwächtern erschossen.

Senat und Bundesregierung, später auch die Westmädite, erheben schärfsten Protest gegen diese Willkürmaßnahmen, die als klare Verletzungen des Viermächtestatus gebrandmarkt werden. Auf einer von mehreren 100.000 Berlinern spontan besuchten Protestkundgebung vor dem Rathaus Schöneberg am 17.8. spricht Willy Brandt zu den Berlinern: "Die Sowjetunion hat ihrem Kettenhund Ulbricht ein Stück Leine gelassen, das Ergebnis eines schreienden Unrechts kann kein papierner Protest sein." Präsident Kennedy schickt seinen Vertreter, Vizepräsident Johnson, nach Berlin und verstärkt die amerikanischen Streitkräfte in Berlin durch eine 1500 Mann starke Kampfgruppe. Begeisterter Jubel der Berliner, die in dichten Reihen die Straßen säumen, begrüßt Johnson und die amerikanischen Soldaten. Bundeskanzler Adenauer und Bundespräsident Lübke informieren sich wenige Tage später an Ort und Stelle und sprechen zu den Berlinern. Die Konferenz der blockfreien Staaten in Belgrad und die neuen Atombombenversuche der Sowjetunion, die verwirrende Zahl von Noten, Briefen und Reden haben bisher keine Beruhigung der Lage gebracht. Kennedy schickt Clay wieder als Sonderbotschafter nach Berlin. Alles deutet auf neue Berlin-Verhandlungen der Großmächte hin. Was wird die Zukunft bringen? [...]

6. Berlin zwischen Ost und West



Das Tor zur Freiheit für die bedrängten Menschen Mitteldeutschlands wurde am 13. August brutal zugeschlagen. Über 1,5 Millionen Menschen, d. h. die Bevölkerung von Frankfurt, Mannheim und Nürnberg zusammen, haben sich seit 1949 in West-Berlin als Flüchtlinge gemeldet. Auf Grund des Bundesnotaufnahmegesetzes wmrden sie auf die einzelnen Bundesländer verteilt. In Berlin blieben nur 6,5 %, zuletzt 8 %. Darüber hinaus war West-Berlin eine "Stätte der Begegnung". Hier konnte die Bevölkerung Mitteldeutschlands ihren Hunger nach Büchern, Theatern und Filmen befriedigen und Tagungen, Ausstellungen und Messen besuchen. West-Berlin war das "Schaufenster der freien Welt". Solange der Verkehr zwischen den Sektoren ungehindert lief, kamen täglich mehr als 100.000 Menschen in den freien Teil dieser Stadt. Schließlich war hier der Treffpunkt mit Angehörigen und Freunden, denen der Besuch West-Deutschlands verwehrt war. Auch die Möglichkeit, wenn auch mit dem ungünstigen Kurse 1 Westmark = 4 Ostmark, viele der im Osten nicht erhältlichen Waren einzukaufen, darf nicht unterschätzt werden. Alles dies gehört heute der Vergangenheit an. Es erhebt sich die Frage: "Hat Berlin auch heute noch eine besondere Aufgabe zwischen Ost und West?" Die Antwort ist: "Ja." Abgesehen von den Rundfunk- und Fernsehsendungen, die trotz aller Verbote, Antennendemontagen und Störsender hinüberdringen, auch abgesehen von den sehr beschränkten Fluchtmöglichkeiten, bedeutet die Existenz einer mächtigen, vom Kommunismus nicht beherrschten, freien Stadt inmitten der sowjetischen Zone für alle Menschen hinter dem "Eisernen Vorhang" das Symbol westlicher Stärke und die Hoffnung auf eine Wiedervereinigung in Freiheit.

Was bedeutet Berlin heute für die Bundesrepublik und die westliche Welt? Abgesehen davon, daß Westdeutsche und Ausländer auch heute noch mit einer besonderen Aufenthaltsgenehmigung den Sowjetsektor betreten und einen Blick hinter die Betonmauer werfen können, ist Berlin der Probefall der Standhaftigkeit und Verteidigungsbereitschaft der freien Welt und die ständige Gewissensmahnung zur Mobilisierung aller geistigen und materiellen Kräfte für die Wiedervereinigung unseres Volkes. Für uns Deutsche aber ist und bleibt Berlin die Hauptstadt Deutschlands.
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