geboren am 26. Oktober 1919 in Berlin
erschossen am 29. August 1966
im Spandauer Schiffahrtskanal
an der Sektorengrenze zwischen Berlin-Tiergarten und Berlin-Mitte
Von fünf Schüssen getroffen, gelingt es Heinz Schmidt noch, das westliche Ufer zu erreichen. Dort wird er gegen 13.45 Uhr von der Feuerwehr geborgen und in das Rudolf-Virchow-Krankenhaus gebracht, wo die Ärzte nur noch seinen Tod feststellen können. Eine Kugel hat seine Halswirbelsäule zertrümmert.Heinz Schmidt, geboren am 26. Oktober 1919 in Berlin, heiratet 1949 und wohnt bis 1962 gemeinsam mit seiner Frau und drei Kindern im Berliner Stadtteil Wedding. Je älter er wird, desto mehr macht ihm eine psychische Erkrankung zu schaffen. [1] Er wird alkoholkrank und arbeitslos, immer wieder kommt er wegen geringfügiger Delikte mit dem Gesetz in Konflikt: Trunkenheit, Diebstahl und Unterschlagung tragen ihm zahlreiche Haft- und Geldstrafen ein. 1962 stuft ihn das Amtsgericht Berlin-Wedding als „geistig gebrechlich" ein; ein Rechtsanwalt wird als Gebrechlichkeitspfleger für ihn eingesetzt.
Im September 1965 kommt er mit DDR-Grenzposten in Konflikt, als er an der Oberbaumbrücke im West-Berliner Bezirk Kreuzberg die Sektorengrenze überschreitet und die Grenzposten durch laute Zurufe beschimpft. [2]
Nach mehrjähriger Trennung von der Familie wird seine Ehe im April 1966 geschieden. Ab Mitte Juli 1966 bezieht er Quartier in einem Weddinger Obdachlosenheim. Am 29. August 1966 erfährt Heinz Schmidt auf dem Sozialamt eine Abfuhr, als er um Geld bittet. Gegen Mittag trifft er seinen Vater, doch dieser kann ihm auch nicht helfen. Kurz darauf taucht der 46-Jährige am südlichen Ufer des Nordhafens im Berliner Bezirk Tiergarten auf. Stark angetrunken zieht er sich aus und steigt nur mit einer Unterhose bekleidet ins Wasser. Zwei Angler rufen ihm zu, dass er sich im Grenzgebiet befindet und besser sofort aus dem Wasser käme. Doch Heinz Schmidt lässt sich nicht davon abhalten, den Spandauer Schifffahrtskanal zu durchschwimmen, der hier in voller Breite zu Ost-Berlin gehört. In Höhe einer ehemaligen Verladerampe wird er von Grenzposten entdeckt. Inzwischen ist auch die von den Anglern alarmierte West-Berliner Polizei sowie britische Militärpolizei eingetroffen. Als die DDR-Grenzposten einen Warnschuss abgeben, rufen die Polizisten: „Nicht schießen, er ist bei uns reingesprungen und angetrunken!" [3] Dennoch eröffnen die Grenzposten das Feuer – auf einen Mann, der durch seine Krankheit nicht weiß, was er tut. Im Kugelhagel schwimmt er an das östliche Ufer und sucht am Mauervorsprung einer Verladerampe Deckung. Ein Polizist fordert ihn vom West-Ufer her auf, in Deckung zu bleiben. [4] Doch Heinz Schmidt lässt sich nach einer kurzen Verschnaufpause wieder ins Wasser gleiten und versucht tauchend zurück zum westlichen Ufer zu schwimmen. Mehrmals muss er auftauchen und wird dabei von den Grenzposten vom Dach einer ehemaligen Eisfabrik und aus einem Bunker am Invalidenfriedhof gezielt unter Feuer genommen. Von fünf Schüssen getroffen, gelingt es Heinz Schmidt noch, das westliche Ufer zu erreichen. Dort wird er gegen 13.45 Uhr von der Feuerwehr geborgen und in das Rudolf-Virchow-Krankenhaus gebracht, wo die Ärzte nur noch seinen Tod feststellen können. Eine Kugel hat seine Halswirbelsäule zertrümmert.
Am 8. September 1966 wird Heinz Schmidt auf dem Weddinger St. Pauli-Friedhof beigesetzt.
Vom West- und Ost-Berliner Ufer aus werden die Ereignisse von zahlreichen Menschen beobachtet. Im Osten wird ein Brauereiarbeiter festgenommen, weil er die Grenzsoldaten beschimpft. „Mörder!" wird vom Westen aus über den Kanal gerufen. [5] Später werden mehrere Einschläge an der Außenmauer des Nordhafenspeichers in West-Berlin festgestellt. Eine Kugel durchschlägt das Balkonfenster einer eineinhalb Kilometer entfernten Wohnung. [6] Das Auto eines West-Berliners, der mit seiner Familie in der Nähe des Geschehens vorbeifährt, wird an der linken Fahrzeugtür von einem abprallenden Geschoß getroffen. Die westliche Presse berichtet ausführlich über die Schüsse im Nordhafen. Ein Sprecher des Senats bezeichnet den „Mord an einem Menschen, der nicht voll zurechnungsfähig" ist, als „besonders tragisch, grausam und unmenschlich." [7] Die drei alliierten Stadtkommandanten verurteilen den Vorfall als ein Beispiel „grausamer Missachtung von Menschenleben". [8] Im „Neuen Deutschland" dagegen ist die Rede von einer „neuen Provokation": „Zur Wahrung der Unantastbarkeit der Staatsgrenze", heißt es dort, „waren die Grenzposten der NVA gezwungen, die Schusswaffe anzuwenden." [9]
Weil die West-Berliner Polizei Heinz Schmidt keinen Feuerschutz gewährte, wird gegen die am Tatort anwesenden Beamten eine Strafanzeige wegen unterlassener Hilfeleistung gestellt. Bürgermeister und Innensenator Heinrich Albertz nimmt sie in Schutz: Da die Geschosse etwa 150 Meter vom Standort der Funkwagenstreife einschlugen, hätten sie von den Beamten gar nicht nicht bemerkt werden werden können. In einer Pressemitteilung der Polizeigewerkschaft heißt es dazu: „Auch die tragische Situation an der Mauer kann nicht dazu führen, daß die Polizeibeamten sich bei ihrem Handeln vom Gefühl leiten lassen". [10]
1991 nimmt die Zentrale Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität die Ermittlungen gegen die der Schüsse auf Heinz Schmidt verdächtigen DDR-Grenzposten auf. Aus den Unterlagen der DDR-Grenztruppen ist nicht ersichtlich, wer geschossen hat. Und in den 1990er Jahren kann oder will sich keiner der ehemaligen Grenzer daran erinnern. Der Grenzsoldat, der als einziger die „Medaille für vorbildlichen Grenzdienst" erhielt – drei seiner Kameraden wurden mit dem „Leistungsabzeichen der Grenztruppen" ausgezeichnet –, verweigert die Aussage bezüglich seines Schusswaffengebrauches. Warum er eine Medaille erhielt, ist ihm ein Rätsel. Wegen dieser Mauer des Schweigens ist nach Abschluss der Ermittlungen niemandem „mit der für eine Anklageerhebung erforderlichen Sicherheit nachzuweisen, dass er einen Schuss bzw. mehrere Schüsse – gegebenfalls mit Tötungsvorsatz" auf Heinz Schmidt abgab. [11] Die Staatsanwaltschaft stellt deshalb das Ermittlungsverfahren am 25. Juli 1997 ein.
Text: Martin Ahrends/Udo Baron
Im September 1965 kommt er mit DDR-Grenzposten in Konflikt, als er an der Oberbaumbrücke im West-Berliner Bezirk Kreuzberg die Sektorengrenze überschreitet und die Grenzposten durch laute Zurufe beschimpft. [2]
Nach mehrjähriger Trennung von der Familie wird seine Ehe im April 1966 geschieden. Ab Mitte Juli 1966 bezieht er Quartier in einem Weddinger Obdachlosenheim. Am 29. August 1966 erfährt Heinz Schmidt auf dem Sozialamt eine Abfuhr, als er um Geld bittet. Gegen Mittag trifft er seinen Vater, doch dieser kann ihm auch nicht helfen. Kurz darauf taucht der 46-Jährige am südlichen Ufer des Nordhafens im Berliner Bezirk Tiergarten auf. Stark angetrunken zieht er sich aus und steigt nur mit einer Unterhose bekleidet ins Wasser. Zwei Angler rufen ihm zu, dass er sich im Grenzgebiet befindet und besser sofort aus dem Wasser käme. Doch Heinz Schmidt lässt sich nicht davon abhalten, den Spandauer Schifffahrtskanal zu durchschwimmen, der hier in voller Breite zu Ost-Berlin gehört. In Höhe einer ehemaligen Verladerampe wird er von Grenzposten entdeckt. Inzwischen ist auch die von den Anglern alarmierte West-Berliner Polizei sowie britische Militärpolizei eingetroffen. Als die DDR-Grenzposten einen Warnschuss abgeben, rufen die Polizisten: „Nicht schießen, er ist bei uns reingesprungen und angetrunken!" [3] Dennoch eröffnen die Grenzposten das Feuer – auf einen Mann, der durch seine Krankheit nicht weiß, was er tut. Im Kugelhagel schwimmt er an das östliche Ufer und sucht am Mauervorsprung einer Verladerampe Deckung. Ein Polizist fordert ihn vom West-Ufer her auf, in Deckung zu bleiben. [4] Doch Heinz Schmidt lässt sich nach einer kurzen Verschnaufpause wieder ins Wasser gleiten und versucht tauchend zurück zum westlichen Ufer zu schwimmen. Mehrmals muss er auftauchen und wird dabei von den Grenzposten vom Dach einer ehemaligen Eisfabrik und aus einem Bunker am Invalidenfriedhof gezielt unter Feuer genommen. Von fünf Schüssen getroffen, gelingt es Heinz Schmidt noch, das westliche Ufer zu erreichen. Dort wird er gegen 13.45 Uhr von der Feuerwehr geborgen und in das Rudolf-Virchow-Krankenhaus gebracht, wo die Ärzte nur noch seinen Tod feststellen können. Eine Kugel hat seine Halswirbelsäule zertrümmert.
Am 8. September 1966 wird Heinz Schmidt auf dem Weddinger St. Pauli-Friedhof beigesetzt.
Vom West- und Ost-Berliner Ufer aus werden die Ereignisse von zahlreichen Menschen beobachtet. Im Osten wird ein Brauereiarbeiter festgenommen, weil er die Grenzsoldaten beschimpft. „Mörder!" wird vom Westen aus über den Kanal gerufen. [5] Später werden mehrere Einschläge an der Außenmauer des Nordhafenspeichers in West-Berlin festgestellt. Eine Kugel durchschlägt das Balkonfenster einer eineinhalb Kilometer entfernten Wohnung. [6] Das Auto eines West-Berliners, der mit seiner Familie in der Nähe des Geschehens vorbeifährt, wird an der linken Fahrzeugtür von einem abprallenden Geschoß getroffen. Die westliche Presse berichtet ausführlich über die Schüsse im Nordhafen. Ein Sprecher des Senats bezeichnet den „Mord an einem Menschen, der nicht voll zurechnungsfähig" ist, als „besonders tragisch, grausam und unmenschlich." [7] Die drei alliierten Stadtkommandanten verurteilen den Vorfall als ein Beispiel „grausamer Missachtung von Menschenleben". [8] Im „Neuen Deutschland" dagegen ist die Rede von einer „neuen Provokation": „Zur Wahrung der Unantastbarkeit der Staatsgrenze", heißt es dort, „waren die Grenzposten der NVA gezwungen, die Schusswaffe anzuwenden." [9]
Weil die West-Berliner Polizei Heinz Schmidt keinen Feuerschutz gewährte, wird gegen die am Tatort anwesenden Beamten eine Strafanzeige wegen unterlassener Hilfeleistung gestellt. Bürgermeister und Innensenator Heinrich Albertz nimmt sie in Schutz: Da die Geschosse etwa 150 Meter vom Standort der Funkwagenstreife einschlugen, hätten sie von den Beamten gar nicht nicht bemerkt werden werden können. In einer Pressemitteilung der Polizeigewerkschaft heißt es dazu: „Auch die tragische Situation an der Mauer kann nicht dazu führen, daß die Polizeibeamten sich bei ihrem Handeln vom Gefühl leiten lassen". [10]
1991 nimmt die Zentrale Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität die Ermittlungen gegen die der Schüsse auf Heinz Schmidt verdächtigen DDR-Grenzposten auf. Aus den Unterlagen der DDR-Grenztruppen ist nicht ersichtlich, wer geschossen hat. Und in den 1990er Jahren kann oder will sich keiner der ehemaligen Grenzer daran erinnern. Der Grenzsoldat, der als einziger die „Medaille für vorbildlichen Grenzdienst" erhielt – drei seiner Kameraden wurden mit dem „Leistungsabzeichen der Grenztruppen" ausgezeichnet –, verweigert die Aussage bezüglich seines Schusswaffengebrauches. Warum er eine Medaille erhielt, ist ihm ein Rätsel. Wegen dieser Mauer des Schweigens ist nach Abschluss der Ermittlungen niemandem „mit der für eine Anklageerhebung erforderlichen Sicherheit nachzuweisen, dass er einen Schuss bzw. mehrere Schüsse – gegebenfalls mit Tötungsvorsatz" auf Heinz Schmidt abgab. [11] Die Staatsanwaltschaft stellt deshalb das Ermittlungsverfahren am 25. Juli 1997 ein.
Text: Martin Ahrends/Udo Baron
[1]
Vgl. Berliner Morgenpost, 30.8.1966.
[2] Vgl. Bericht der West-Berliner Polizei über den am 29.8.1966 getöteten Heinz Schmidt, 30.8.1966, in: StA Berlin, Az. 27 Js 146/91, Bd. 1, Bl. 14-16, hier Bl. 15. [3] Berliner Morgenpost, 30.8.1966.
[4] Vgl. dazu und zum Folgenden: Schlussbericht der West-Berliner Polizei, 23.9.1966, in: StA Berlin, Az. 27 Js 146/91, Bd. 1, Bl. 61-65.
[5] Berliner Morgenpost, 30.8.1966.
[6] Vgl. Schlussbericht der West-Berliner Polizei, 23.9.1966, in: StA Berlin, Az. 27 Js 146/91, Bd. 1, Bl. 61-65.
[7] Der Tagesspiegel, 31.8.1966.
[8] Berliner Morgenpost, 30.8.1966. [9] Neues Deutschland, 30.8.1966. [10] Der Tagesspiegel, 3.9.1966; Spandauer Volksblatt, 3.9.1966. [11] Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft II bei dem Landgericht Berlin, 25. Juli 1997, in: StA Berlin, Az. 27 Js 146/91, Bd. 4, Bl. 244-46, Zitat Bl. 244.
[2] Vgl. Bericht der West-Berliner Polizei über den am 29.8.1966 getöteten Heinz Schmidt, 30.8.1966, in: StA Berlin, Az. 27 Js 146/91, Bd. 1, Bl. 14-16, hier Bl. 15. [3] Berliner Morgenpost, 30.8.1966.
[4] Vgl. dazu und zum Folgenden: Schlussbericht der West-Berliner Polizei, 23.9.1966, in: StA Berlin, Az. 27 Js 146/91, Bd. 1, Bl. 61-65.
[5] Berliner Morgenpost, 30.8.1966.
[6] Vgl. Schlussbericht der West-Berliner Polizei, 23.9.1966, in: StA Berlin, Az. 27 Js 146/91, Bd. 1, Bl. 61-65.
[7] Der Tagesspiegel, 31.8.1966.
[8] Berliner Morgenpost, 30.8.1966. [9] Neues Deutschland, 30.8.1966. [10] Der Tagesspiegel, 3.9.1966; Spandauer Volksblatt, 3.9.1966. [11] Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft II bei dem Landgericht Berlin, 25. Juli 1997, in: StA Berlin, Az. 27 Js 146/91, Bd. 4, Bl. 244-46, Zitat Bl. 244.