Dr. Johannes Muschol: Vermerk des DDR-Außenministeriums über ein Gespräch mit der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik
17. März 1981
Vermerküber ein Gespräch in der HA Konsularische Angelegenheiten am 17. März 1981, von 14.00 bis 14.25 Uhr
Teilnehmer:
-
Herr Hoesch - Leiter der Rechtsabteilung der Ständigen Vertretung der BRD
Gen. Vogl - Leiter der HA Konsularische Angelegenheiten
Gen. Händschke - Mitarbeiter der HA Konsularische Angelegenheiten
Herr Hoesch dankte für die kurzfristige Gewährung des Gesprächstermins und trug vor:
"Die Bundesregierung hat mit Bestürzung von einem Vorfall Kenntnis genommen, bei dem am 16. 3. 1981 eine aus Berlin (West) kommende Person von Grenzorganen der DDR beschossen, offenbar verletzt und festgenommen worden ist."
Die Bundesregierung habe dazu durch Ihren Sprecher am 16. 3. 81 Stellung genommen. Dabei gab er folgenden Text wieder:
"Mit Bestürzung hat die Bundesregierung davon Kenntnis erhalten, daß an der Mauer von Berlin geschossen worden ist. Die Bundesregierung verurteilt diesen menschenfeindlichen Akt auf das Entschiedenste. Die Bundesregierung appelliert an die Verantwortung der drei Westmächte, dafür einzutreten, daß derartigen Praktiken ein Ende gesetzt werden wird."
Weiterhin verwies Hoesch auf die darauf abgegebenen Erklärungen der drei Mächte und des Senats von Berlin (West).
Anschließend führte Hoesch weiter aus:
"Die Ständige Vertretung geht vorbehaltlich der Klärung der näheren Umstände davon aus, daß es sich dabei um eine Person handelt, für die sie Hilfe und Beistand zu leisten hat. Sie bittet daher um möglichst kurzfristige Auskunft über die Identität dieser Person, ihren derzeitigen Aufenthalt und ihren Gesundheitszustand sowie gegebenenfalls um die Möglichkeit, alsbald persönlichen Kontakt zu ihr aufzunehmen. Die Bundesregierung mißt diesem Vorgang erhebliche politische Bedeutung bei."
Hoesch erklärte dann weiter:
"Nach Auffassung der Bundesregierung steht ein solcher Schußwaffengebrauch gegen Menschenleben der Entspannung in Europa, zu deren Zielen sich die beiden Selten bekannt haben, den Prinzipien guter Nachbarschaft und den Prinzipien der Zusammenarbeit, wie sie in der Schlußakte von Helsinki zum Ausdruck gekommen sind, entgegen.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß sich daraus langdauernde Belastungen in den bilateralen Beziehungen ergeben können und verweist auf die Auswirkungen (dieses Vorfalls) vor der Öffentlichkeit, der mit Recht Empörung auslöst.
Die Bundesregierung bringt Ihre Besorgnis darüber zum Ausdruck, keine Belastungen in den Beziehungen eintreten zu lassen und Belastungen, die sich in der Vergangenheit ergeben haben, aufzuarbeiten."
Daher, so führte Hoesch weiter aus, werde von der Ständigen Vertretung der BRD die Bitte und Erwartung mit Nachdruck ausgesprochen, daß dem o. g. Verlangen Rechnung getragen wird. Die Ständige Vertretung verbinde damit den Wunsch, daß sie möglichst bald mit dem Betroffenen Kontakt aufnehmen kann und die Verwandten die Möglichkeit erhalten, den Betroffenen zu sehen. Damit werde die Erwartung verbunden, daß er möglichst bald an seinen Wohnort zurückkehren kann.
Genosse Vogl erklärte, daß dieses Vorbringen der Ständigen Vertretung der BRD und ihre Einschätzungen zurückgewiesen werden und unterstrich, daß die Ständige Vertretung in dieser Angelegenheit nicht zuständig ist.
Gen. Vogl betonte, daß alle verpflichtet sind, für Ruhe an Staatsgrenzen zu sorgen. Das gelte allgemein für Staatsgrenzen, das gelte besonders für die Staatsgrenze zu Westberlin und ergebe sich vor allem aus den Verpflichtungen des Vierseitigen Abkommens. Die DDR halte sich strikt an diese Grundsätze.
Gen, Vogl wies darauf hin, daß es zur Klärung einer solchen Angelegenheit die normalen Kanäle gibt und betonte abschließend nochmals, daß die Ständige Vertretung der BRD nicht zuständig ist.
Herr Hoesch erklärte darauf, daß diese Ausführung für die Ständige Vertretung vollkommen unbefriedigend sei, insbesondere, weil darin keine Auskunft zur Person und zum Aufenthaltsort enthalten ist, um die er gebeten habe. Die Ständige Vertretung sei zuständig für Personen aus der BRD und Berlin (West), die sich auf dem Territorium der DDR befinden. Das Betreuungsrecht der Ständigen Vertretung könne nicht wahrgenommen werden, solange ihr nicht die Möglichkeit für die Identitätsfeststellung gegeben sei. Diese allgemein gehaltene Erklärung wolle er nicht kommentieren. Was aber das betrifft, was daraus durchklang, wolle er das Recht der Ständigen Vertretung für die Betreuung von Personen aus Berlin (West) unterstreichen. Er wolle das Bedauern zum Ausdruck bringen, daß der Ständigen Vertretung die Identifizierung der betreffenden Person nicht ermöglicht wird.
Er werde über die abgegebene Erklärung informieren und behalte das Petitum aufrecht. Die Ständige Vertretung der BRD werde auf entsprechender Ebene darauf zurückkommen. Genosse Vogl verwies abschließend darauf, daß er in seiner Erklärung auf die für die Klärung dieser Angelegenheit gemäßen Kanäle hingewiesen hatte und die Zuständigkeit der Ständigen Vertretung nicht besteht.
Das Gespräch verlief in einer sachlichen Atmosphäre.
Händschke
Quelle: BStU, MfS, AU 90/90, Handakte, Bd. 2, Bl. 3-6.