Schreiben von Henri Weise an den Staatsrat der DDR
(Abschrift), 22. September 1976
Betrifft: Aberkennung der Staatsbürgerrechte der DDRHiermit möchte ich meine Gedanken und Meinung zur Aberkennung der Staatsbürgerechte der DDR realisieren. Im Mai 1976 stellte ich beim Rat des Kreises Pößneck Abt. Inneres einen Antrag auf Ausreise in die BRD. Ich habe lange Zeit und unter objektiven Gesichtspunkten geprüft, bevor ich mich zu diesem Antrag entschloß. Ich war mir darüber völlig im klaren, daß ich auf Widerstand innerhalb der Familie und Gesellschaft stoßen werde. Weil mir ein langer, sicherlich auch bürokratischer Bearbeitungsweg bevorstand, wollte ich mich in für mich unbelastender Umgebung darauf vorbereiten.
Ich fuhr deshalb am 15. 08. 76 nach Wittenberge, um mich in fremder Umgebung nach Arbeit zu erkundigen. Nach einer Ausweiskontrolle und der Frage, ob ich einen Antrag auf Ausreise gestellt habe, die ich wahrheitsgemäß beantwortete, nahm man mich fest. Bei der Kriminalpolizei belastete man mich mit frei erfundenen Tatsachen. Daraufhin legte ich sofort gegen meine Inhaftierung Haftbeschwerde ein. Diese wurde vom Bezirksgericht Schwerin wiederum mit frei erfundenen Tatsachen abgelehnt. Ich habe mich am 5. 9. 76 entschlossen, sie in Kenntnis zu setzen. Dieser Eingabe aber versperrte man mit primitivsten Mitteln den Weg.
Hiermit möchte ich Ihnen mitteilen, daß ich mit dem heutigen Tag keinen Wert mehr darauf lege, die Staatsbürgerechte eines Staates zu genießen, der meine persönliche Entwicklung frei nach eigenem Ermessen mit politischen Repräsalien beeinflußt.
gez. Henri Weise Nachsatz:
Ich erwarte ihren Bescheid laut Eingaberecht am 05. 10. 76. Falls dieses Schreiben nicht in die richtigen Hände gelangt, bitte ich meine Informationsmöglichkeiten als Untersuchungsgefangener zu berücksichtigen und bitte darum, daß diese Eingabe an Herrn Minister Dickel weitergeleitet wird.
Quelle: BStU, Ast. Gera, AOPK 1131/77, Bl. 34-35