Todesopfer > Kabelitz, Rolf-Dieter

MfS-Bericht über den Fluchtversuch von Rolf-Dieter Kabelitz

8. Januar 1971

[...]

Versuchter ungesetzlicher Grenzübertritt am 07.01.1971 um 19.55 Uhr imPq. 3885/9 c DDR - WB

Am 07.01.1971 um 21.45 Uhr wurde im obengenannten Pq. beim versuchten ungesetzlichen Grenzübertritt ein Grenzverletzer unter Anwendung der Schußwaffe festgenommen. Bei Anwendung der Schußwaffe wurde der Grenzverletzer verletzt. Bei dem GV handelt es sich um
    Kabelitz, Rolf-Dieter
    geb. am 23.06.1951 in Kaputh
    wohnhaft: Potsdam, (...)
    Beruf: Dreher
    seit dem 10.12.1970 ohne Arbeitsverhältnis
Am 07.01.1971 um 19.55 Uhr erfolgte im PQ. 3885/9 c die Auslösung eines Signalgerätes. Durch die eingesetzten Grenzsicherungskräfte wurde daraufhin Grenzalarm ausgelöst, um 20.15 Uhr wurde die Blockierung des Abschnittes am 1. und 2. KOS durchgeführt. Zum gleichen Zeitpunkt wurde eine Schuheindruckspur auf dem 2. KOS festgestellt.

Um 20.55 Uhr wurde durch die eingesetzten Kräfte zur Kontrolle des KOS gemeldet, daß der 1. KOS spurenfrei und auf dem 2. KOS die um 20.15 Uhr festgestellte Spur vorhanden ist.

Im Zuge der Suche erfolgte an der Spur auf dem 2. KOS die Einsetzung eines Fährtenhundes und der Suchgruppe. Um 21.45 Uhr wurde durch den eingesetzten Gruppenkommandeur hinter dem 2. KOS eine Person festgestellt, welche auf Anruf versuchte, weiter in Richtung Staatsgrenze vorzudringen. Durch den Gruppenkommandeur wurde ein Warnfeuerstoß abgegeben, da der GV sich weiterhin versuchte, der Festnahme zu entziehen, wurde dem eingesetzten Grenzposten Feuerführung befohlen. Nach einem gezielten Feuerstoß stürzte der Grenzverletzer zu Boden und wurde unmittelbar darauf am Tatort durch die eingesetzten Grenzposten festgenommen. Nach Feststellung der Verletzung erfolgte die Bergung und der Rücktransport über den 2. KOS und die Einlieferung in das Krankenhaus Hennigsdorf.

Notwendigkeit der Feuerführung

Der GV befand sich bei Feststellung durch den Gruppenkommandeur ca. 30 m von diesem entfernt. Es wird eingeschätzt, daß die Handlungsweise der Grenzposten durch den Grenzverletzer einwandfrei wahrnehmbar war. Da auf Anruf und Warnfeuerstoß festgestellt wurde, daß der GV sich weiter in Richtung der Grenzsicherungsanlagen bewegte und angenommen werden mußte, daß er sich der Festnahme entziehen wollte, war die Handlung der Grenzposten zur gezielten Feuerführung gerechtfertigt. Es wurden insgesamt 5 Schüsse abgegeben.

Nach Einlieferung in das Krankenhaus Hennigsdorf wurde der GV wundversorgt, und mittels Röntgenaufnahme wurde festgestellt, daß eine Oberschenkelhalsfraktur rechts vorhanden ist und vermutlich die Beckenschaufel durch Schußeinwirkung zertrümmert ist. Nach ärztlicher Einschätzung sind keine inneren Organe verletzt, und es besteht keine Lebensgefahr.

Im Kreiskrankenhaus Hennigsdorf wird der Grenzverletzer gegenwärtig durch Mitarbeiter der Kreisdienststelle Oranienburg unter Kontrolle gehalten. Ob Operationen am 08.01.71 durchgeführt werden, entscheidet der (...)arzt Dr. B(...). Im Krankenhaus wurde zusätzlich Blutalkoholbestimmung beim GV durchgeführt.

Das bisherige Untersuchungsergebnis ergibt folgendes Bild: Der GV wurde im Krankenhaus durch einen Mitarbeiter der Abteilung IX gehört, als die Genehmigung des Arztes hierzu eingeholt war. Auf Befragung gab der GV an, daß er am 07.01.71 von Potsdam mit dem Zug nach Berlin gefahren ist in der Absicht, seinen Freund
    (...)
    wohnhaft: (...)
zu besuchen. Nach seinen Angaben ist er in der S-Bahn eingeschlafen und bis nach Oranienburg durchgefahren. Da er ohne finanzielle Mittel war, versuchte er, zu Fuß entlang der S-Bahn nach Berlin zu gelangen. Im S-Bahn-Bogen wich er zwischen Hohen Neuendorf und Bergfelde von der Bahnstrecke ab und begab sich im PQ 3885/9 c in das Grenzgebiet.

Aus den Darlegungen des GV ist zu entnehmen, daß er durch die Hundetrasse gegangen ist und auch im dortigen Waldgebiet Drahthindernisse überwunden hat. Er gibt an, daß er einen Kübelwagen feststellte und seine Tasche ablegte, um Bewegungsfreiheit zu haben.

Er gibt an, nicht die Absicht gehabt zu haben, einen ungesetzlichen Grenzübertritt durchzuführen. Sein Stiefvater ist nach seinen Angaben Angehöriger der Deutschen Volkspolizei in der BdVP Potsdam, Dienstgrad Hauptmann, Familienname ist (...).

Er gab weiter an, daß er bis zum 10. 12.70 im VEB Warnow-Werft Warnemünde gearbeitet hat und ihn an diesem Tage in Berlin-Ostbahnhof, Mitropa-Gaststätte, sein Personalausweis, Arbeitsbuch und andere Unterlagen entwendet wurden. Den Personalausweis hat er in der Zwischenzeit bis zu seiner Weiterfahrt zurückerhalten. Er ist nicht im Besitz seines Arbeitsbuches und gibt an, daß er aus diesem Grunde Schwierigkeiten bei der Aufnahme einer neuen Arbeit hatte.

Die vom GV im Abschnitt abgelegte Tasche wurde durch die NVA- Grenze aufgefunden. Sie enthält Gegenstände des persönlichen Bedarfs, wie Schlafanzugjacke, Handtuch, Unterhemd, Eßbesteck. Der GV führte eine Brieftasche westlicher Herkunft bei sich. In den Unterlagen wurden die nachfolgenden Anschriften festgestellt:

[...]

Zu bemerken ist, daß sich der GV bei der Befragung durch einen Mitarbeiter der Abteilung IX noch unter Schockeinwirkung befand und seine Darlegungen teilweise zusammenhanglos wirkten.

Im Zuge der durchgeführten Grenzoperation wurden auf gegnerischem Gebiet keine Handlungen festgestellt, und es wurden auch in der nachfolgenden Zeit keine Feststellungen getroffen, die daraufhindeuten, daß dieses Vorkommnis durch westberliner bewaffnete Kräfte bzw. Zivilpersonen bemerkt wurde.

In dem Handlungsraum bestehen aufgrund dichten Baumbestandes und hügeligen Geländes keine Einsichtmöglichkeiten von westberliner Seite.

Der nächste Stützpunkt des Zoll befindet sich in einer Entfernung von ca. 600 m zum Handlungsort.

Maßnahmen: - Zur Aufklärung der Täterpersönlichkeit werden am 08. 01.1971 Ermittlungen im Wohngebiet durchgeführt.

- Beim Verbleib des Täters im Krankenhaue Hennigsdorf nach ärztlicher Entscheidung erfolgt die Kontrolle und Sicherung durch Mitarbeiter der Abt. XIV der BV Potsdam ab 08.01.71 im Krankenhaus.

- Einsatz des IM-Systems zur Feststellung von Reaktionen unter dem medizinischen Personal im Krankenhaus Hennigsdorf.

- Abt. IX war am Ereignisort und übernimmt die weitere Bearbeitung.

- Durch die NVA-Grenze wird ein Gutachten über die Notwendigkeit der Anwendung der Schußwaffe erstellt.

- Personenüberprüfung wurde eingeleitet mit dem Ergebnis: "K. liegt nicht ein".

- Nach Begutachtung der Verletzung der Täters durch den (...)arzt (...), Dr. B(...), am 08.01.71 wird entschieden, wann der K. transportfähig ist.

Leiter der Kreisdienststelle (...)
Major

Leiter SGS
Pflugbeil
Oberleutnant


Quelle: BStU, Ast. Potsdam, AU 350/71, Bl. 28-30
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