Bericht der DDR-Grenztruppen über die Schüsse auf Helmut Kliem und Bernhard P.
13. November 1970
[...]Betr.:
Festnahme von zwei männlichen Personen durch Anwendung der Schußwaffe am 13.11.1980, 15.25 Uhr
Bezug:
Zur Untersuchung des besonderen Vorkommnisses wurden befohlen:
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Oberst H(...) 1. Stellv. K-2.GBr.
Oberstltn. B(...) Oberlektor PA 2.GBr.
Oberstltn. K(...) Stellv. Ausbildung. GR-34
Major M(...) Stellv. SC GR-34
Major F(...) Oberinstr. Org./Instr. GR-34
Major S(...) Offz. Kdt.-Dienst GR-34
Sachverhalt:
Am 13.11.1970, in der Zeit von 14.30 bis 23.00 Uhr, sicherte die 4./GR-34 die Staatsgrenze der DDR zur besonderen politischen Einheit Westberlin.
Im Abschnitt:
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rechts, Plqu. 2874/8a – links Plqu. 2873/3b
Postenführer:
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Soldat W(...), Günter
geboren (...) 1950 in (...)
NVA seit II/69
ausgebildet im GAR-40
seit Mai 1970 im GR-34v organisiert: FDJ
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Soldat F(...), Karl-Heinz
geboren (...) 1951 in (...)
NVA seit Mai 1970
FDJ-Mitglied
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Soldat B(...), Fritz
geboren (...) 1951 in (...)
NVA seit Mai 1970
ausgebildet im GAR-40
seit Oktober im GR-34
organisiert: FDJ
Um 15.25 näherte sich aus dem Hinterland auf der Pestalozzistraße ein in Richtung Staatsgrenze fahrendes B-Krad. Es war mit zwei männlichen Personen besetzt. Das B-Krad passierte die rückwärtige Begrenzung des Grenzgebietes und näherte sich bis auf 5,00 m dem im Grenzsignalzaun befindlichen Tor. Der Fahrer des Motorrades brachte die Maschine zum Stehen und stellte den Motor ab. Der Kontrolldurchlaßposten forderte die Personen auf, stehenzubleiben und sich auszuweisen. Die Personen kamen dieser Aufforderung nicht nach, sondern begannen die Maschine zu wenden.
Daraufhin wurden sie durch den Posten noch einmal angerufen mit den Worten: "Bleiben sie stehen, Sie sind vorläufig festgenommen!"
Dieser Aufforderung leisteten die Personen nicht Folge, sondern setzten die Bewegung in Richtung eigenes Hinterland fort. Dabei versuchten die den Posten mit folgenden Worten von weiteren Handlungen abzuhalten: "Was willst Du denn, Ihr schießt ja sowieso nicht!" Der Posten wurde zugleich höhnend ausgelacht. Dann setzte der Kradfahrer den Motor des Krades in Gang, und beide Personen bestiegen das Krad.
Um eine Flucht der Grenzverletzer zu verhindern, wurde durch den Kontrolldurchlaßposten ein Warnfeuerstoß in die Luft abgegeben. Als die Grenzverletzer auch daraufhin nicht reagierten und anfuhren, eröffnete der Kontrolldurchlaßposten das gezielte Feuer auf den Kradfahrer.
Das Krad wurde durch den Kradfahrer zum Stehen gebracht. Beide Grenzverletzer verließen das Krad. Der Kradfahrer ging noch einige Schritte auf den Posten zu und brach zusammen.
Die zweite Person, die sich ebenfalls in Richtung Posten bewegte, begann sofort den Posten mit den Worten zu beschimpfen: "Schieß doch Du Sachsenschwein, erschieß mich doch auch. Wenn ich Dich mal wiedertreffe, haue ich Dir die Fresse voll. Ihr kommt auch noch alle dran!"
Um dem offensichtlich Verletzten, am Boden liegenden Grenzverletzer, die erste Hilfe erweisen zu können, forderte der Posten den anderen noch stehenden Grenzverletzer auf, sich hinzulegen. Dieser kam der Aufforderung jedoch nicht nach. Daraufhin wurde der Grenzverletzer im Zusammenwirken mit dem hinzukommenden Stellv. des Kommandeurs Zugabschnitt gezwungen, sich seitlich von dem Verletzten hinzulegen. Erst danach war es möglich, die erste Hilfe zu erweisen.
Sofort nach Abgabe des gezielten Feuers durch den Kontrolldurchlaßposten erfolgte durch den Posten vom BT 10 die Meldung an den Führungspunkt: "Anwendung der Schußwaffe gegen Grenzverletzer am B-Turm 10, eine Person verletzt, bitte um Sankra."
Auf Grund dieser Meldung wurde durch den Stellvertreter Ausbildung des Truppenteils, Oberstltn. K(...) befohlen:
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- Sankra sofort zum Handlungsort;
- Stellv. des Stabschefs Major M(...) zum Handlungsort und Übernahme der Leitung aller weiteren Maßnahmen.
Der Feldscher stellte bei seinem Eintreffen fest, daß die erste Hilfe ordnungsgemäß erfolgt war. Auf Grund des Grades der Verletzungen erfolgte der sofortige Abtransport beider Grenzverletzer mit dem Sankra unter Benutzung des Sondersignals in das Krankenhaus Staaken.
Das Krankenhaus Staaken wurde 15.47 Uhr über die Notwendigkeit über die Vorbereitung einer durchzuführenden Operation eines Schwerverletzten mit Schußverletzung informiert.
Durch den Stellv. des Stabschefs wurden am Handlungsort folgende Maßnahmen durchgeführt:
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1. Absicherung des Handlungsortes aus Richtung eigenes Hinterland.
2. Herauslösung der handelnden Grenzposten durch Neueinführung von Grenzposten und Neuorganisation der Grenzsicherung im Abschnitt der Handlung.
3. Durchführung der ersten Befragung der an der Handlung beteiligten Grenzposten und Vorbereitung der ersten Meldung.
Bei den Grenzverletzern handelt es sich um:
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P(...), Bernhard
geb. (...) 1950
wohnhaft: (...)
Beruf: Rinderzüchter
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Kliem, Helmut
geb. 02.06.1939
wohnhaft: Staaken, (...)
beschäftigt: LEW Hennigsdorf, Betriebsschutz
Die handelnden Grenzposten brachten in der Befragung zum Ausdruck, daß die getätigten Handlungen wahrscheinlich durch einen männlichen und einen weiblichen Bürger der DDR wahrgenommen wurden. Diese Personen werden durch die Organe des Zusammenwirkens ermittelt.
Durch das gezielte Feuer des Kontrolldurchlaßpostens wurde K. schwer verletzt.
Charakter der Verletzung:
Einschußstelle im Rücken Höhe linkes Schulterblatt, Ausschußstelle linke Brust Höhe Schlüsselbein.16.35 Uhr Meldung vom Krankenhaus Staaken, K. ist seiner Verletzung erlegen.
P. erlitt eine Schußverletzung an der linken Hand (Durchschuß).
Beide Grenzverletzer wurden der BV MfS übergeben.
Schlußfolgerungen und Vorschläge
- Das vorbildliche, klassenmäßige Handeln der eingesetzten Grenzposten bei der Erfüllung des ihnen gestellten Kampfauftrages verhinderte die Verletzung der Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik zur besonderen politischen Einheit Westberlin.
- Das richtige und schnelle Handeln der Grenzposten durch die Anwendung der Schußwaffe zur Verhinderung der Flucht der Grenzverletzer entspricht den Forderungen der Dienstvorschriften und Befehle zur Sicherung der Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik.
- Die am Ort der Handlung eingesetzten Grenzposten sind von der Richtigkeit ihrer Handlung voll überzeugt und bereit, ihre Klassenpflicht zur weiteren Gewährleistung der militärischen Hauptaufgabe voll zu erfüllen.
- Einsatz der Offiziere des Stabes des Truppenteils am 13.11.70 ab 17.00 Uhr in den Einheiten zur differenzierten Auswertung des besonderen Vorkommnisses. Führung von individuellen- und Gruppengesprächen über das vorbildliche klassenmäßige Handeln der eingesetzten Grenzposten.
- Durchführung von Dienstversammlungen am 14.11.1970 08.00 Uhr in allen Einheiten des Truppenteils unter Leitung des Kommandeurs und seiner Stellvertreter zur weiteren Auswertung des besonderen Vorkommnisses.
- Auf Grund der vorbildlichen Handlungsweise des Soldaten B(...) schlage ich vor, ihn mit der Medaille "Für vorbildlichen Grenzdienst" auszuzeichnen.
Für vorbildliche Leistungen bei der Organisation und Führung der Grenzsicherung werden befördert und ausgezeichnet:
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Uffz. B(...), Erhard
zum Unterfeldwebel
Uffz. R(...), Dieter
zum Unterfeldwebel
Soldat W(...), Günter
Soldat F(...), Karl.Heinz
zum Gefreiten
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Soldat B(...), Fritz
zum Gefreiten
Oberst
Quelle: BArch, VA-07/17904, Bl. 60-66