Todesopfer > Krug, Siegfried

DDR-Mitschrift eines RIAS-Beitrages über Schüsse auf einen Flüchtling (Siegfried Krug) am Brandenburger Tor

9. Juli 1968

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Rias Rundschau am Abend

In einem zweispaltigen Artikel beschäftigt sich die in Ostberlin erscheinende "Berliner Zeitung" heute mit der, wie das Blatt meint 'systematischen Verstärkung der verbrecherischen Tätigkeit der Untergrundorganisationen gegen die DDR'. Offensichtlich soll der fragliche Artikel dazu dienen, das Verhalten der Grenzposten zu rechtfertigen, die am Wochenende 2 Flüchtlinge an der Mauer niederschossen und einen von ihnen vermutlich töteten.

Zu den schweren Zwischenfällen war es gekommen, als am Samstagabend in der Nähe des Brandenburger Tores und in den Morgenstunden der des Sonntags an der Pernauer Straße 2 Männer zu fliehen versuchten. Die Grenzposten eröffneten das Feuer aus ihren Maschinenpistolen, wobei sie, nach Beobachtungen der Westberliner Polizei, einen der Flüchtlinge wahrscheinlich töteten. Dem 2. Flüchtling war es bereits gelungen, über den Todesstreifen bis an die Sperrmauern heranzukommen, wo er dann aber von Schüssen getroffen zusammenbrach und offensichtlich schwerverletzt von Grenzposten hinter die Versöhnungskirche geschleppt wurde. Die "Berliner Zeitung" schreibt nun heute zu diesen Vorfällen:

"In letzter Zeit läßt sich feststellen, daß Westberlin seine Störenfriedrolle forciert. Allein am vergangenen Wochenende wurden im Bereich Stadtmitte 2 Anschläge gegen die Staatsgrenze verhindert und Täter festgenommen. Die DDR ist im Interesse des Friedens verpflichtet, solchen Anschlägen konsequent zu begegnen."

Bundesvertriebenenminister von Hassel erklärte am Montag in Bonn vor dem Flüchtlingsausschuß des Europarates, die Schüsse auf wehrlose Flüchtlinge machten deutlich, wer sich in Europa der Entspannung widersetze. Die Aufrechterhaltung des Schießbefehls und die Schikanen in Berlin seien ein bewußter Akt gegen alle versuche, die Spannung in Deutschland und damit in Europa zu überwinden. Im ersten Halbjahr 1968 haben insgesamt 415 Bewohner der Zone und Ostberlins Mauer und Stacheldraht überwinden können und sich als Flüchtlinge im Westen gemeldet. Im ganzen sind seit Errichtung der Mauer am 13. August 1961, wie das Bundesvertriebenenministerium jetzt mitteilte, 26.798 Menschen geflohen.

Damit erhöht sich die Zahl der Flüchtlinge, die in den 19 Jahren seit Gründung der DDR, dem ersten Arbeiter-und-Bauern-Staat, den Rücken kehrten, auf 2.924.914 Personen.

In diesem Sinne kann man dann wohl auch dem Oberkommandierenden der sowjetischen Streitkräfte in der DDR, dem Marschall Koschewoi beipflichten, wenn er jetzt erklärte:

"Grenzsoldaten haben praktisch keine Friedenszeiten. Tag und Nacht stehen sie auf Kampfposten."

Dabei ist dann nicht nur fraglich, gegen wen die Grenzsoldaten kämpfen sollen, vor allem auch, ob Mauer und Stacheldraht, Minensperren und Schießbefehl heute noch geeignete Mittel sind, den Anspruch auf staatliche Existenz und Souveränität zu begründen und zu festigen. Uns scheint das Gegenteil der Fall zu sein, und die Millionen Zahlen der Flüchtlinge und die Tötungsdelikte an der Mauer beweisen nur eins: Die DDR ist alles mögliche, bestimmt aber kein Staat im Sinne des Staats- und Völkerrechts.

Quelle: BStU, MfS, AS 199/69, Bd. 2, Nr. 1, Bl. 371-372
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