MfS-Bericht zum Fluchtversuch von Hans-Joachim Wolf
30. November 1964
Ergänzungsberichtzur Grenzprovokation mit tödlichem Ausgang an der Staatsgrenze Berlin-Baumschulenweg – Britzer Zweigkanal
Am Sonnabend, dem 28. November 1964, wurde die Leiche des bei der oben angeführten Grenzprovokation ums Leben gekommenen
-
Hans-Joachim Wolf
geb. am 8.8.1947 in Berlin
Beruf: Lehrling im Kabelwerk Köpenick
wohnh: Berlin – 0 112, (...)
Bei dieser Obduktion war der Unterzeichnete anwesend.
Nach vorläufigen Feststellungen des Oberarztes Dr. med. D(...) – Gutachten und Protokoll liegt noch nicht vor – ist der unmittelbare Tod durch einen glatten Durchschuß der Brust eingetreten, als Folge von Verletzungen lebenswichtiger Organe.
[...]
Das Gutachten des gerichtsmedizinischen Instituts soll am 2. Dezember 1964 fertiggestellt sein. Das trifft auch auf die gefertigten Aufnahmen der Leiche zu.
Entsprechend der ergangenen Weisung wurden noch am gleichen Tage, dem 28.11.1964 vom Unterzeichneten die Eltern des Toten, der als Tankwart bei VEB MINOL tätige
-
(...), geb. am (...) in (...)
-
(...), geb. am (...) in (...)
aufgesucht und vom Tod des Sohnes durch einen Unglücksfall (Ertrinken bei Verletzung der Staatsgrenze) informiert.
Beide Elternteile brachten übereinstimmend zum Ausdruck, daß sie nicht an ein Ertrinken ihres Sohnes glauben, zumal ihnen ihr Sohn als guter und zuverlässiger Schwimmer bekannt ist. Sie brachten gleichzeitig zum Ausdruck, daß die der Überzeugung seien, ihr Sohn wäre an der Staatsgrenze erschossen worden.
Vom Unterzeichneten wurden die Eltern daraufhingewiesen, derartige der Wahrheit widersprechende Darstellungen nicht zu verbreiten, wobei sie auf die Folgen solcher falschen Angaben hingewiesen wurden.
Fragen hinsichtlich des Ereignisortes wurden den Eltern nicht beantwortet.
In der Aussprache gaben beide Elternteile bekannt, daß ihr Sohn desöfteren mit ihnen Auseinandersetzungen in der Hinsicht hatte, daß er die Auffassung vertrat, daß die Lebensverhältnisse in Westberlin und Westdeutschland als besser gegenüber denen in der Deutschen Demokratischen Republik empfinde. Beide hätten jedoch in positiver Hinsicht auf ihren Sohn eingewirkt.
Von irgendwelchen Absichten ihres Sohnes zur Flucht haben sie nie etwas gemerkt. Äußerungen ihres Sohnes habe es in dieser Beziehung nicht gegeben.
Hinsichtlich des Bekanntenkreises ihres Sohnes konnten die Eltern keine verwertbaren Angaben machen.
Bei dem vom Unterzeichneten am 30.11.64 durchgeführten zweiten Besuch der Eltern des WOLF zur Regelung der Bestattung, zweifelten beide Elternteile erneut die Todesursache an.
Sie erklärten, daß sie Erkundigungen eingezogen hätten und auch an der Staatsgrenze in der Umgegend der Sonnenallee gewesen wären, wo sie erfahren hätten, daß in den Abendstunden des 25.11.64 im Grenzgebiet eine Schießerei stattgefunden habe. Dadurch sei ihnen auch bekannt geworden, daß dabei ein junger Mann angeschossen oder erschossen worden ist.
Beide Elternteile waren nicht bereit, die Quellen ihrer Informationen zu nennen.
Aus diesen Gründen vermuten sie, daß die Mitteilung des Todestages (26.11.64) falsch sei und ihr Sohn tatsächlich bereits am 25.11.64 ums Leben gekommen sei.
Der Unterzeichnete wies die Eltern noch einmal daraufhin, daß die ihnen am 28.11.64 gemachten Mitteilungen über Todestag und Todesursache den Tatsachen entsprechen. In diesem Zusammenhang wurde ihnen ohne nähere Erläuterungen oder die Nennung von Tatsachen mitgeteilt, daß lt. Überprüfungen der Staatsanwaltschaft sich ihr Sohn in der Nacht vom 25. zum 26.11.64 an einem bekannten Ort aufgehalten und dort übernachtet hat.
Dahingehende Fragen der Eltern wurden mit dem Hinweis beantwortet, daß mit Rücksicht auf die zur Zeit noch laufenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen keine nähere Auskünfte gegeben werden können.
[...]
Hinsichtlich der Bestattung hatte die Aussprache folgendes Ergebnis:
Die Elternteile sind mit der Feuerbestattung einverstanden. Die Urnenbeisetzung soll auf dem evangelischen Friedhof in Berlin – 0 112, Boxhagener Straße (Parochial-Friedhof) stattfinden.
Zunächst beabsichtigten die Eltern des Wolf, im Krematorium Berlin-Baumschulenweg eine "würdige Feier" in größerem Rahmen anläßlich der Einäscherung, durchzuführen.
Von diesem Plan gingen sie jedoch nach entsprechenden Hinweisen des Sachbearbeiters ab.
Sie beabsichtigen jedoch, anläßlich der Urnenbeisetzung auf dem o.g. Friedhof eine kleine Feier im engsten Familienkreise vorzunehmen. Diesbezüglich wurde vom Unterzeichneten eine Erklärung der Eltern abverlangt, die sich bei den Akten befindet.
Während die Mutter des WOLF von vorneherein auf eine letzte Besichtigung ihres Sohnes verzichtete, konnte der Vater erst nach längerer Auseinandersetzung davon überzeugt werden, daß es richtiger sei, seinen Sohn so in Erinnerung zu behalten, wie er ihn zuletzt gesehen hat.
Der Unterzeichnete wurde dabei von der Mutter des WOLF in der Argumentation unterstützt. Dabei entstand jedoch der Eindruck, daß der Verzicht des Vaters von WOLF nur aufgrund der Überredungen der Ehefrau erklärt wurde und nicht sein unbedingt endgültiger Entschluß ist.
Dies entnimmt der Unterzeichnete aus Äußerungen des (...), wonach dieser die Frage stellte, wo er sich erkundigen könne beim Staatsanwalt, warum er seinen Sohn nicht mehr sehen könne.
Den Eltern des Grenzverletzers wurde eine Sterbeurkunde übergeben und sie belehrt, daß diese nicht aus der Hand zu geben ist.
Ausser den Bekleidungsstücken des Toten und den Personalausweis sowie der Hotelbescheinigung vom Hotel "Adlon" und der im Besitz des Toten vorgefundenen 1,00 Westmark, wurden den Angehörigen alle persönlichen Sachen des Hans-Joachim WOLF gegen Quittung übergeben.
Die Bestattung der Leiche wurde über das städtische Bestattungswesen in Berlin – n 4, Chaussestraße und das Krematorium Berlin-Baumschulenweg eingeleitet.
(...)
Oberleutnant
Gefertigt: 5 Exemplare
Quelle: BStU, MfS, HA IX Nr. 18287, Bl. 74-77