Information des MfS (an Walter Ulbricht und Erich Honecker) über den Fluchtversuch von Peter Kreitlow
25. Januar 1963
E. I.einen versuchten Grenzdurchbruch im Raum Niederneuendorf, Kreis Oranienburg am 24.1.1963
Am 24.1.1963 gegen 0,30 Uhr bemerken zwei sowjetische Grenzposten im Raum Niederneuendorf (Bereich der 1. Komp., 3. Grenzabt., 2. Grenzbrig.) eine im Schnee kriechende Personengruppe. Diese bewegte sich in einem kleinen Wäldchen am Havelkanal (Entfernung von Grenz ca. 2.000 mtr.) in Richtung Staatsgrenze vorwärts.
Die Posten näherten sich der genannten Gruppe und forderten diese zum Stehenbleiben auf. Daraufhin liefen die Personen fluchtartig zurück. Einer der Posten gab zwei Schüsse auf die Flüchtenden ab, wobei eine Person durch Kopfschuß tödlich und eine andere durch Halsstreifschuß leicht verletzt wurde.
Der Verwundete und drei restliche Personen wurden festgenommen und der sowjetischen Grenzkompanie in Niederneuendorf zugeführt.
Bei den inhaftierten Personen handelt es sich um:
1. (...)
geb. am (...) 42 in Berlin
wohnh. Berlin-(...)
zuletzt tätig als Bauarbeiter im VEB (...) Berlin (...)
2. (...)
geb. am (...) 43 in Berlin
wohnh. Berlin-(...)
zuletzt tätig als Sptzendreher (...) Rostock
3. (...) geb. am (...) 43 in Berlin
zuletzt tätig als Spitzendreher (...) Rostock
1960 wegen Diebstahls und schwerer Körperverletzung 11 Monate Gef.
4. (...)
geb. am (...) 43 in (...)
wohnh. Hennigsdorf, (...)
zuletzt beschäftigt als Schlosser im VEB (...)
1959 4 Monate Gef. wegen Diebstahl und Hehlerei,
1962 7 Monate Gef. wegen Paßvergehens
Der ebenfalls zu dieser Gruppe gehörende
K r e i t l o w, Peter
geb. am 15.1.1943
wohnh. gewesen bis 21.21.1962 in Berlin – NO (...)
zuletzt ohne Arbeit
wurde tödlich verletzt und inzwischen nach Berlin überführt.
Bei (...) und (...) handelt es sich um Berliner Bürger, die sich im (...) Rostock zum Arbeitseinsatz befanden. Sie waren seit einigen Tagen krank geschrieben und hielten sich in Berlin auf.
Die bisherigen Untersuchungen durch das MfS ergaben folgendes:
Die Beschuldigten (...), (...), (...) sowie Kreitlow fuhren am 23.1.1963 nach Hennigsdorf, um im dortigen Klubhaus eine Tanzveranstaltung zu besuchen. Sie trafen dort mit dem (...) zusammen, der bereits vorher mit (...) und Kreitlow bekannt war. Im Verlaufe der an diesem Abend geführten Gespräche beeinflußte (...) die vier genannten Personen zum illegalen verlassen der DDR und schlug einen gemeinsamen Grenzdurchbruch nach Westberlin vor. Er erklärte, einen sicheren Weg zu kennen, bei dem nach Durchschreiten eines Waldstückes lediglich ein zugefrorener Kanal zu überqueren sei. Anschließend könne man die Stacheldrahthindernisse durchkriechen.
Er erwähnte auch, daß er vor längerer Zeit bereits derartige Versuche unternommen habe und dafür gerichtlich bestraft worden sei.
Die auf diese Weise von (...) beeinflußten Personen waren mit den örtlichen Begebenheiten nicht vertraut, erklärten sich aber nach anfänglichen Bedenken bereit, unter (...) Führung den Grenzdurchbruch auszuführen.
Gegen 23.00 Uhr verließen die fünf Personen das Klubhaus in Richtung Niederneuendorf, nachdem sie abgesprochen hatten, bei einer evt. Kontrolle falsche Abgaben zu machen. Sie benutzten nicht die nach Niederneuendorf führende Straße, sondern bewegten sich durch Schonungen und Waldgelände. Auf Weisung des (...) wälzten sich alle Beteiligten mehrmals im Schnee, um nicht durch dunkle Kleidung den Grenzsicherungskräften aufzufallen. Der zugefrorene Havelkanal wurde kriechend überwunden. Nachdem sie das angrenzende Waldgelände betreten hatten, wurden sie von der Grenzstreife der sowjetischen freunde gestellt. Da sich die Beschuldigten einer Festnahme zu entziehen versuchten, machte die sowjetische Grenzstreife von der Schußwaffe Gebrauch.
Bei den Beschuldigten (...), (...) und (...) handelt es sich um ehemalige Grenzgänger.
Aus dem bisherigen Untersuchungsergebnis ist ersichtlich, daß (...) der Organisator des versuchten Grenzdurchbruchs ist. Eine bei ihm durchgeführte Haussuchung erbrachte Hinweise, die auf eine Tätigkeit als Grenzschleuser hindeuten. Ferner besteht der Verdacht, daß eine im VEB (...) in Niederneuendorf angebrachte Hetzlosung von ihm stammt, weil in seiner Wohnung ausgeschnittene Zeitungsbuchstaben sichergestellt wurden, die auch für die Zusammensetzung der Hetzlosung verwandt wurden.
Eine Bestätigung liegt nicht vor, weil der Beschuldigte (...) zur Zeit vernehmungsunfähig ist. (Befindet sich zur Zeit im Haftkrankenhaus Berlin.)
Weiter Untersuchungen werden durch das MfS geführt.
Quelle: BStU, MfS, ZAIG Nr. 696, Bl. 9-12