Bericht der DDR-Grenztruppen über den Fluchtversuch von Horst Kutscher und Joachim F.
15. Januar 1963
Geheime VerschlußsacheB E R I C H T
zum versuchten Grenzdurchbruch am 15.1.1963 gegen 00.10 Uhr
Am 15.1.1963 um 00.10 Uhr ereignete sich im Grenzabschnitt der VI. Grenzabteilung, Unterabschnitt III, ein versuchter Grenzdurchbruch.
Die zur Untersuchung eingesetzte Kommission,
Leiter Major W(...) 1. Stellv. VI. GA
Hptm. G(...) Politoffz. VI. GA
untersuchte ab 00.35 Uhr am Tatort den Tathergang und stellte im Ergebnis folgendes fest:
In der Zeit vom 14.01.1963 21.00 Uhr bis 15.01.1963 05.00 Uhr sicherte den Grenzabschnitt der VI. Grenzabteilung, Unterabschnitt III, der 2. Zug der 4. Grenzkompanie. Als Zugführer führte den Zug Leutnant N(...).
Um 00.10 Uhr befand sich Leutnant N(...) mit dem Gefreiten H(...) auf Kontrollstreife entlang der Rudower Straße ( 11 / 99 / 1 ) in Richtung Staatgrenze.
Im Grenzabschnitt Wredebrücke ( 11 / 99 / 2 ), Ententeich ( 11 / 99 / 9 ) waren zur Grenzsicherung befohlen als Grenzstreife
Postenführer Gefreiter U(...), Hans-Peter / 4. GK
Posten Soldat D(...), Manfred / 4. GK
Gegen 00.10 Uhr bemerkte der Postenführer 2 – zwei – Grenzverletzer, die sich 100 m von seinem Standpunkt Rudower Straße nördlich kriechend aus dem Graben in Richtung Grenzsicherungsanlagen bewegten.
Zu diesem Zeitpunkt der Beobachtung befanden sich die beiden Grenzverletzer auf dem Kontrollstreifen ca. 25 m von der Staatsgrenze entfernt.
Der Postenführer handelte der Lage entsprechend zweckmäßig. Die Grenzverletzer beachteten den Anruf des Postenführers nicht. Daraufhin gab der Postenführer einen – 1 – Warnschuß ab.
Hierauf sprangen die Grenzverletzer auf, um die Staatsgrenze im Laufschritt zu überwinden. Der Postenführer gab einen -1 - gezielten Schuß ab, worauf sich beide Grenzverletzer hinwarfen.
Der Postenführer gab seinem Posten den Befehl, die Sicherung zu übernehmen. Beider Grenzverletzer wurden aufgefordert, aufzustehen, worauf sich nur einer erhob und der andere im Schnee liegenblieb.
In dem der Posten auf Befehl des Postenführers zu dem im Schnee liegenden befohlen wurde, übernahm der Postenführer die Sicherung des Postens sowie der bereits festgenommenen Person. Der noch im Schnee liegende Grenzverletzer reagierte auf wiederholtes Anrufen zum Aufstehen nicht. Bei genauer Überprüfung stellte der Posten, fest, daß dieser Grenzverletzer durch Bauchschuß getroffen worde.
In diesem Augenblick traf der Zugführer Leutnant N(...) am Tatort ein und leitete sofort die Maßnahmen zum schnellen Abtransport aus dem Grenzgebiet ein.
Der durch Leutnant N(...) genutzte LKW zur Fahrt an die Staatsgrenze stand unmittelbar auf der Rudower Straße und wurde sofort benutzt, um den verletzten Grenzverletzer sowie den Festgenommenen schnell aus dem Grenzgebiet zu befördern und erste Hilfe zu leisten. Der Abtransport von der Rudower Straße wurde um 00.20 Uhr durchgeführt.
Zur genannten Tatzeit wurden keinerlei Personenbewegung oder Kfz-Bewegung im westlichen Vorfeld erkannt. Auch im eigenen Hinterland gab es keinerlei weitere Personenbewegungen.
Gegen 00.35 Uhr traf Major W(...) mit der Untersuchungskommission und dem Sankra auf dem Führungspunkt ein. Bei der ersten Hilfeleistung durch den Sanitäter Stabsgefreiten Z(...) wurde festgestellt, daß der Grenzverletzer einen Bauschuß hatund der Tod bereits eingetreten war.
Bei den Grenzverletzern handelt es sich um folgende Personen:
a) Getöteter Grenzverletzer:
Kutscher, Horst
geb. am 05.07.1931 in Berlin – Treptow
wohnhaft: Berlin – Adlershof, (...)
[...]
b) Festgenommener Grenzverletzer
(...) Joachim
geb. am (...) 1931
wohnhaft: (...)
Die erste Befragung des festgenommenen ergab, daß beide seit den Mittagsstunden mehrere Gaststätten aufgesucht hatten und aus der letzten Gaststätte in Alt Glienicke, Semmelweisstraße, unter Alkoholeinfluß die Staatsgrenze in Richtung Westberlin durchbrechen wollten.
Der O p D der VI. Grenzabteilung erhielt gegen 00.15 Uhr telefonische Meldung vom Vorkommnis, benachrichtigte sofort den Chefdienst sowie den O p D der 1. Grenzbrigade.
Desweiteren wurde verständigt der Kommandeur der VI. Grenzabteilung Major R(...) sowie der Abwehroffizier.
Beide Grenzverletzer wurden der VP-Inspektion Treptow in Anwesenheit des Inspektionsleiters Major W(...) übergeben.
Schlußfolgerungen und Maßnahmen
- Die eingesetzte Grenzstreife im Abschnitt des Vorkommnisses handelte entsprechend dem Grenzsicherungsbefehl wachsam und taktisch richtig.
- Die sofort eingeleiteten Maßnahmen durch den Zugführer Leutnant N(...) zur Bergung des getroffenen Grenzverletzers wurden schnell ohne daß der Gegner Einsicht nehmen konnte, durchgeführt.
- Die erste Hilfeleistung war gewährleistet.
In Anerkennung der vorbildlichen Grenzdienstdurchführung sind durch mich folgende Genossen belobigt worden:
Postenführer Gefreiter U(...) Beförderung zum Stabsgefreiten.
Posten Soldat D(...) Beförderung zum Gefreiten.
Gruppenführer Uffz. R(...) einen Tag Sonderurlaub.
Zugführer Ltn. N(...) "Dank im Befehl".
- Major – R(...)
Quelle: BArch, VA-07/6002, Bl. 245-247