Siegfried Widera: Bericht der DDR-Grenztruppen
24. August 1963
ABSCHLUßBERICHTzum gewaltsamen schweren Grenzdurchbruch im Grenzabschnitt 1 des GR - 42, WG Massantebrücke
Am 23.08.1963 gegen 19.50 Uhr wurde auf den WG Massantebrücke im Abschnitt 1, 5. GK / GR - 42 durch drei (3) unbekannte männliche Personen ein Überfall getätigt mit anschließendem schweren Grenzdurchbruch in Richtung Westberlin.
Die Untersuchung wurde geführt durch:
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Major H(...) Stellv. RD, 4. GBr.
Major L(...) Kommandeur GR-42
Major G(...) Stellv. RD, GR-42
Major W(...) Oberoffz. Grenzdienst GR-42
Hptm. K(...) Oberinstr. Pol. Schulung 4.GBr
Hptm. W(...) Ltr. UAbt. Org.-Auffüllung "
Hptm. F(...) ZbV-Offz. GR-42
Obltn. Med. K(...) Brigadearzt 4. GBr.
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2 Genossen des KTI - PdVP Berlin
2 Genossen Abteilung K,VPI - Treptow
2 Genossen der Kreisdienststelle Treptow des MfS
Leiter der Aufklärung des GB - 42
Leiter der Abwehr des GR – 42
Zur Grenzsicherung am 23.08.1963 in der Zeit von 14.00 - 22.00 Uhr war im Abschnitt I der II. Zug der 5. GK eingesetzt. Als WG an der Massantebrücke waren befohlen:
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1. Dienstgrad: Stabsgefreiter
Name, Vorname: Widera, Siegfried
Dienststellung: Postenführer
Geburtsdatum, Ort: 12.02.1941, Hindenburg/Krs. Tarnowitz
organisiert: FDJ seit 07.12.1960
NVA seit: 03.10.1960
einstell. Wehrbezirkskommando: VPKA Rudolstadt
Wohnanschrift: Bad Blankenburg/ Kreis Rudolstadt (...)
Beruf: Dreher
Familienstand: verheiratet
2. Dienstgrad: Soldat
Name, Vorname: T(...), Günter
Dienststellung: Postenführer Geburtsdatum, Ort: (...) 1940, Hennersdorf, Krs. Kamenz
organisiert: FDJ seit 1962
NVA seit: 13.11.1962
einstell. Wehrbezirkskommando: Calau
Wohnanschrift: G(...)
Beruf: Maurer
Familienstand: verheiratet
Die drei männlichn Personen waren mit blauen Arbeitsanzügen bekleidet und machten sich am Bagger zu schaffen, sodaß sie den Eindruck erweckten, asl würden sie eine Reparatur durchführen. Eine der Personen war im Besitz eines größeren Schlüsselbundes und hatte damit Zugang zu allen Behältnissen des Baggers. Zwei der Personen waren im Alter von etwa 25 - 30 Jahren, die dritte Person war etwa 20 Jahre alt.
Die Jüngere, der drei Personen trat nach etwa 10 Minuten an den Posten, Soldat T. heran und bat um Auskunft, wo er sich etwas Trinkwasser holen könnte. Genosse T. verwieß ihn zu einer in der Nähe gelegenen Wasserentnahmestelle. Kurze Zeit darauf kehrte die Person zurück und unterhielt sich mit dem Genossen T. über folgende Fragen: "Welche Polizei drüben sichert; daß er kurz vor der Einstellung zur NVA stehe und wie die Verhältnisse und das Leben in der NVA sind?"
Im Laufe der Unterhaltung näherten sich unbemerkt die beiden anderen männlichen Personen und schlugen mit Werkzeugen auf die Posten ein (am Tatort wurde eine etwa 70 cm lange Rohrzange gefunde) Dabei wurde der Stgefr. W. so schwer am Kopf verletzt, daß er sofort bewußtlos zusammenbrach. Soldat T. erhielt ebenfalls mittelschwere Verletzungen am Kopf. Er brach unter der Schlagwirkung zusammen und nahm im Unterbewußtsein wahr, daß sich zu diesem Zeitpunkt noch eine Person in der GSA auf der Brücke befand.
Er entsicherte seine MPi "K", stellte sie auf Dauerfeuer und gab in 2 Feuerstößen 27 Schuß ungezielt aus seiner Waffe ab. Anschließend begab er sich zum Telefon, um den Führungspunkt zu verständigen. In Folge der Schlagwirkung hatte Genosse T. eine derart unklare Aussprache, daß seine Meldung im Führungspunkt unverständlich war.
Die Feuerstöße wurden durch die Kontrollstreife des Feldwebel F(...), gehört, der sich zu dieser Zeit mit seinem Posten in etwa 500 m Entfernung am Gartenzaun des dortwohnhaften Feldschers des GR - 42, Ultn. B(...), befand und mit diesem eine kurze Unterhaltung führte. Alle drei Genossen begaben sich sofort im Laufschritt zum Tatort.
Genosse B. traf dort als Ersterein, sah wie Genosse T. vom Telefon aus in Richtung des im Postenbereich ausgestellten Splitterschutzes aus Betonfertigteilen wankte. Als Genosse B. den Genossen T. über den Tathergang befragen wollte, sagte dieser, daß er sich um den Genossen H. kümmern sollte, da dieser schwerer verletzt sei. Genosse B. leistete beim Genossen. W. die erste Hilfe. Beim Genossen T. wurde durch den Gruppenführer, Feldwebel F(...) die erste Hilfe geleistet. Beide Genossen wurden in das Krankenhaus Köpenick überführt. An der Massantebrücke wurde bei der Überprüfung festgestellt, daß sich drei männliche Fußspuren mit der Schuhgröße 42 - 43 vom Sicherungsgraben aus über den Kontrollstreifen bis zur ersten Pfahlreihe der Drahtsperre befanden.
An der Drahtsperre war anhand des niedergetretenen Stacheldrahtes zu erkennen, daß die GSA durch die Grenzverletzer überstiegen wurde. Weiterhin wurden am Tatort Patronenhülsen sowie die bereits erwähnte Rohrzange gefunden. In der Tür des Baggers steckte das o.a. Schlüsselbund. Die Tür des Baggers war nur angelehnt. Der zur Rückverfolgung der Spur eingesetzte Fährtenhund verfolgte die Spur entlang der Stubenrauchstraße und weiter ins Hinterland, wie aus der beiliegenden Skizze ersichtlich, bis zur Gaststätte "Sturmecke ", Lindhorstweg Ecke Sterndamm.
Durch die Mitarbeiter der Abteilung "K" wurden die angeführten Gegenstände zur weiteren Untersuchung sichergestellt.
Nach Befragung des verantwortlichen Arztes im Krankenhaus wurde folgender vorläufiger Befund mitgeteilt:
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1. Genosse Widera erhielt schwere Schädelhirnverletzungen bei starkem Schockzustand. Da der Patient Krampfzustände, Pupillenveränderungen und sich verschlechternde Kreislaufverhältnisse kurze Zeit nach der Krankenhausaufnahme aufwies, mußte an eine lebensbedrohliche Blutung im Schädel gedacht werden. Es wurde eine operative Versorgung eingeleitet. Als vorläufiges Operationsergebnis wurde eine Blutung der weichen Hirnhäute verantwortlich gemacht. Die Blutung konnte gestillt werden. Nach Anlegung eines Luftröhrenschnittes befindet sich der Patient außerhalb einer akuten Lebensgefahr.
Begünstigende Umstände für den Grenzdurchbruch:
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- Durch den eingesetzten Grenzposten wurde nicht entsprechende der gültigen Befehle und DV sowie der Ministerratsordnung (Ordnung im Grenzgebiet) gehandelt.
- Die Vernachlässigung der gegenseitigen Sicherung ermöglichte die Annäherung der Grenzverletzer, die Überwältigung der Posten, sowie den schweren Grenzdurchbruch.
- Die Verbesserung des Grenzdienstes dieses Posetnpaares unterlag einem ungenügenden Einfluß durch den verantwortlichen Gruppenführer.
- Durch mangelnde Erziehungsarbeit kam es zur Vernachlässigung der Wachsamkeit und zur Vertrauensseligkeit gegenüber den im Grenzabschnitt tätigen Bauarbeitern.
Nach Eingang der Meldung wurden folgende Maßnahmen eingeleitet und durchgeführt:
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- Erste Hilfe und Abtransport der beiden verletzten Genossen ins Krankenhaus Köpenick.
- Einsatz eines neuen Postenpaares im Abschnitt Massantebrücke.
- Telefonische Vorausmeldung an den Stab der Brigade.
- Einsatz von 2 Reservegruppen unter Leitung eines Offiziers des Stabes des GH - 42 zur Verstärkung der Grenzsicherung im Durchbruchsabschnitt sowie im grenznahen Hinterland.
- Einsatz eines Fährtenhundes zur Rückverfolgung der Spur.
- Einsatz eines Untersuchungsgruppe.
- Information an VPI - Treptow und Kreisdienststelle MfS - Treptow.
- Einsatz des KTI des Präsidium der Volkspolizei.
- Aufsuchen des behandelnden Arztes im Krankenhaus sowie Befragung des verletzten Soldaten T(...)
- Information an den 1. Kreisekretär der SED - Kreisleitung Treptow.
- Verständigung der Eltern und der Ehefrau des Stabsgefreiten Widera, sowie Einsatz von Offizieren der Brigade zum Abholten derselben mit Pkw.
des Kommandeurs der 4. GBr
- Major -
Quelle: BArch, VA-07/6002, Bl. 14-19