Bericht des Kommandeurs der 1. Grenzbrigade über den Fluchtversuch und die Erschießung von Peter Fechter
17. August 1962
Berichtzum versuchten Grenzdurchbruch in Verbindung mit einem vollzogenen Grenzdurchbruch am 17.08.62 gegen 14.15 Am 17.08.1962 gegen 14.15 Uhr erfolgte durch eine männliche Person ein Grenzdurchbruch in der Zimmerstraße-Charlottenstraße Unterabschnitt I,4. Kompanie, Posten 3 der IV. Grenzabteilung aus dem demokratischen Berlin Richtung Westberlin.
Die eingesetzte Untersuchungsgruppe der IV. Grenzabteilung unter der Leitung des Stellvertreters für Politische Arbeit Hauptmann G(...) und den Genossen
Oberleutnant L(...) Propagandist
Hauptmann S(...) Kompaniechef der 4. Kompanie
Hauptmann S(...) 1. Grenzbrigade (B)
und stellte folgenden Sachverhalt fest:
Am 17.08.1962 gegen 10.00 Uhr beobachteten die Feldwebel S(...) und Gefreiter B (...) Posten 3, wie auf westlicher Seite eine weibliche Person ca. 30 Jahre Bekleidung: hellblaues Jackenkleid, (siehe Fotografie) aus der Charlottenstraße kommend, auf den Postenturm der Duepo Aufzeichnungen über die Staatsgrenze und dessen Verlauf am oben genannten Posten machte. Diese weibliche Person wurde am Postenturm von einem Duepo kontrolliert, worauf diese einen hellbraunen Ausweis Größe DIN A 6 vorzeigte. Der Duepo nickte dieser Person zu und ging in Richtung Friedrichstraße weiter.
Die Meldung wurde vom Postenführer Feldwebel S(...) an den Stützpunkt durchgegeben und an den OpD der IV. Grenzabteilung sowie der 1. Grenzbrigade weitergeleitet.
Gegen 12.00 Uhr wurde vom Posten 4 Postenführer Unteroffizier F(...) und den Posten Gefreiter S(...) Ecke Zimmerstraße/Markgrafenstraße beobachtet, wie zwei männliche Personen in Arbeitskleidung die Schützenstraße aus Richtung Krausenstraße in Richtung Friedrichstraße liefen.
Der Posten 3 beobachtete ebenfalls, wie diese zwei männlichen Personen an der Ecke Charlottenstraße/Schützenstraße ca.15 Min. (Gemüseladen) standen und die Staatsgrenze beobachteten.
Vom Postenführer Feldwebel S(...) wurde der Kontrollstreife Feldwebel G(...) und Stabsgefreiter S(...) darauf hingewiesen, die beiden männlichen Personen zu kontrollieren.
Die Kontrolle erfolgte nicht, weil die beiden Personen am Gemüseladen Brause tranken. Gegen 14.15 Uhr beobachtete der Postenführer Unteroffizier F(...) und Gefreiter S(...) vom Posten 4, Ecke Zimmerstraße/Markgrafenstraße, wie eine männliche Person über den ersten Drahtzaun vor den 10 m Streifen sich über den Drahtzaun schwang und den 10 m Streifen durchlief.
Im Anstand von 2-3 m folgte eine weitere männliche Person. Der Unteroffizier F(...) eröffnete sofort das Feuer auf die im 10 m Streifen befindlichen Personen. Die Entfernung betrug 40 - 50 m. Insgesamt gab der Postenführer 17 Schuß und der Posten 7 Schuß ab.
Der Posten 3 Feldwebel S(...) und Gefreiter B(...) hörten die Schüsse vom Posten 4, drehten sich um weil der Postenführer in Richtung Friedrichstraße und der Posten Richtung Hinterland die Beobachtung führten.
Der Postenführer sah sofort die Grenzverletzer im 10 m Streifen, lief von der Autosperre zum Posten weil dieser in seinem Schußfeld war. Im Laufen rief er „Halt stehen bleiben, Grenzposten" und gab sofort einen kurzen Feuerstoß als Warnschuß ab. Vom Posten 4 wurde weitergeschossen, wodurch Posten 3 gezwungen war in Deckung zu gehen.
Der Postenführer vom Posten 3 sprang In den Graben und führte auf den zweiten Grenzverletzer gezieltes Feuer. Die erste Person befand sich bereits zu diesem Zeitpunkt direkt auf der Mauer, so daß der Postenführer nicht mehr schießen konnte, daß die Schüsse sonst in Richtung (Westberlin) Springerkonzern geflogen wären.
Die zweite Person wurde beim Anspringen an die Mauer getroffen, rutschte von der Mauer zurück und stellte sich hinter der Mauerverstärkung wo sie der Posten nicht mehr sehen konnte. Der Postenführer lief den Graben entlang um in eine günstigere Schußposition zu kommen.
Vom Posten 4- wurden mehrere Feuerstösse auf die Person abgegeben, die Person brach daraufhin an der Mauer zusammen und schrie um Hilfe.
Der Postenführer (Posten 3) beobachtete daraufhin weiter die Mauer und stellte fest, daß die Duepo und Zivilpersonen Leitern heranschafften mit der Absicht den Grenzverletzer zu unterstützen. Der an der Mauer getroffene Grenzverletzer wurde von den Personen auf den Leiter fotografiert. Vom benachbarten KPP Friedrichstraße erschienen gleich nach dem Schießen zwei Genossen am Posten 3 zur Unterstützung.
Von den Genossen wurde das Signal Grenzdurchbruch geschossen. Gefreiter S(...) Posten 4 beobachtete, daß auf westberliner Seite ein Krankenwagen bis zur Grenze fuhr, kurz hielt, wahrscheinlich den Grenzverletzer einlud und abtransportierte.
Gleich nach dem Vorfall versammelten sich auf westberliner Gebiet eine größere Menschenmenge, (200 bis 300 Personen) die die Grenzsicherungskräfte der Deutschen Demokratischen Republik beschimpften und die Duepo zum Schießen aufforderte. Durch den Zugführer Leutnant L(...) wurde die Stelle des Grenzdurchbruches durch die Reservegruppe abgeriegelt und gesichert.
Gegen 14.50 Uhr traf die Untersuchungsgruppe der IV. Grenzabteilung unter Leitung des Kommandeurs in Vertretung Hauptmann S(...) am Tatort ein und organisierte die unmittelbare Sicherung.
Aus den Fenstern der Ruine Zimmerstraße 72-74 wurde ein Nebelvorhang gelegt, in dessen Schutz der Verletzte durch zwei Genossen der Grenzsicherungsorgane aus den 10 m Streifen geborgen wurde.
Durch ein Schnellkommandowagen der Volkspolizei wurde der Verletzte gegen 15.10 Uhr in das VP-Krankenhaus überführt. Gegen 17.00 Uhr teilte der OvD des VP-Krankenhauses auf Anruf mit, daß der Verletzte verstorben ist.
Eingeleitete Maßnahmen:
- Einsatz einer Untersuchungsgruppe unter Leitung des Abteilungskommandeurs, - Absicherung der Durchbruchstelle durch die Reservegruppe, - 2 SPW, 1 Wasserwerfer und Reservezug zum Tatort befohlen, - Absperrung des Hinterlandes durch die VPI-Mitte, - Fotografieren des Tatortes durch einen Offizier, - Sicherung des Tatortes durch einen gedeckten Posten und ein Offiziersbeobachtungsposten, - In Marschsetzung der Pioniergruppe zur pioniermäßigen Schließung der Durchbruchstelle in der Ruine, (Zimmerstraße 72 - 74) - Wiederherstellen der alten Lage im Grenzgebiet und Einsatz einer Hinterlandstreife,
Schlußfolgerungen:
1. Überprüfung der Durchbruchstelle auf stärkeren pioniermäßigen Ausbau, 2. Zumauerung der Fenster des Gebäudes Charlottenstraße 72-74, 3. Strengste Beachtung und Kontrolle der sich in Grenznähe befindlichen und aufhaltenden Personen, 4. Auswertung des Grenzdurchbruches mit dem gesamten Personalbestand der IV. Grenzabteilung, besonders mit den Offizieren und den Postenführern.
T(...) - Oberst -
Quelle: BArch, VA-07/16930, Bl. 2-5