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Todesopfer

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Georg Feldhahn; Aufnahmedatum unbekannt
Den Opfern der Mauer: Fenster des Gedenkens der Gedenkstätte Berliner Mauer; Aufnahme 2010

Georg Feldhahn

geboren am 12. August 1941
ertrunken am 19. Dezember 1961


im Teltowkanal, nahe der Massantebrücke
an der Sektorengrenze zwischen Berlin-Treptow und Berlin-Neukölln
Am Sonntag, dem 11. März 1962, macht ein West-Berliner Zollbeamter während seines Streifendienstes am Teltowkanal einen grausigen Fund: An der Späthbrücke im Neuköllner Ortsteil Britz, wo das gegenüberliegenden Kanalufer die Grenze zum sowjetischen Sektor bildet, treibt die Leiche eines jungen Mannes im Wasser. Der Tote trägt die Uniform eines DDR-Grenzpolizisten und hat, wie sich herausstellt, schon wochenlang im Wasser gelegen.Am Sonntag, dem 11. März 1962, macht ein West-Berliner Zollbeamter während seines Streifendienstes am Teltowkanal einen grausigen Fund: An der Späthbrücke im Neuköllner Ortsteil Britz, wo das gegenüberliegenden Kanalufer die Grenze zum sowjetischen Sektor bildet, treibt die Leiche eines jungen Mannes im Wasser. Der Tote trägt die Uniform eines DDR-Grenzpolizisten und hat, wie sich herausstellt, schon wochenlang im Wasser gelegen. Kopf und Gesicht sind durch Schiffsschraubenverletzungen bis zur Unkenntlichkeit entstellt, doch ist der Tod, wie West-Berliner Zeitungen unter Berufung auf Polizeiangaben berichten, ohne äußere Gewalteinwirkung durch Ertrinken eingetreten. [1] Auch die Identität des Toten geben die West-Berliner Behörden bekannt. Sein Name ist Georg Feldhahn; als er starb, war er 20 Jahre alt und Angehöriger der 1. Grenzbrigade.

Auch wenn die Annahme nahe liegt, dass der junge Mann bei einem Fluchtversuch ums Leben gekommen ist, lässt sie sich von West-Berlin aus nicht belegen. [2] Und eine offizielle Anfrage bei den Behörden im Ostteil der Stadt kommt zu diesem Zeitpunkt nicht in Frage. Denn die innerstädtischen Ost-West-Kontakte sind seit dem Mauerbau eingefroren. [3] Auch der Versuch, mit Hilfe von West-Berliner Verwandten Kontakt mit in der DDR lebenden Angehörigen des Toten aufzunehmen, scheitert. So bleiben die Hintergründe und Umstände seines Todes im Westen ungewiss. Erst nach dem Ende der DDR kommt ans Licht, dass Georg Feldhahn tatsächlich beim Versuch, Fahnenflucht zu begehen, tödlich verunglückt ist.

Georg Feldhahn, so geht es aus den Unterlagen hervor, die er bei seiner Verpflichtung zum Grenzdienst ausgefüllt hat, wird im Kriegsjahr 1941 in Friesack im Havelland geboren und verlebt auch seine Kindheit und Jugend in dieser westlich von Berlin gelegenen ländlichen Region. [4] Seine leiblichen Eltern hat er nie kennen gelernt. Sein Vater, so schreibt er, sei 1942 im Konzentrationslager Buchenwald umgekommen. Von der Mutter wird er, soweit bekannt, im Alter von vier Monaten getrennt und zusammen mit seiner älteren Schwester in einem Kinderheim untergebracht. Als der Krieg zu Ende ist, nehmen Pflegeeltern, die in der kleinen Ortschaft Buschow leben, die Geschwister zu sich. Nach dem Schulabschluss absolviert Georg Feldhahn eine Lehre als Traktorist auf einem volkseigenen Gut, bevor er mit 18 Jahren für den Dienst bei der Deutschen Grenzpolizei geworben wird. Während des Einstellungsgesprächs auf dem Volkspolizei-Kreisamt in Rathenow verpflichtet er sich für drei Jahre. Er sei versetzungsbereit, hält das Protokoll fest, und habe den Wunsch geäußert, seinen Dienst in Thüringen zu verrichten. Verwandte außerhalb der DDR habe er eigenen Angaben zufolge nicht. [5] Der Beginn seiner Dienstzeit wird auf den September 1959 festgelegt. Er kommt allerdings nicht nach Thüringen, sondern wird als Angehöriger der so genannten „Grenzbereitschaft" Groß-Glienicke in Seeburg stationiert, das an den West-Berliner Außenbezirk Spandau grenzt. Von der Umlandgrenze wird Georg Feldhahn dann im Zuge des Mauerbaus im Oktober 1961 zur 1. Grenzbrigade an die innerstädtische Sektorengrenze versetzt und gehört seither der 6. Grenzabteilung an, die im Süden der Stadt zwischen den Bezirken Treptow und Neukölln im Einsatz ist. [6]

Fahnenfluchten sind in den Wochen und Monaten nach dem Mauerbau keine Seltenheit. Hunderte von Grenzposten nutzen den Einsatz an den Sperranlagen dazu, der DDR den Rücken zu kehren. Stasi-Berichte zählen allein in den ersten beiden Oktoberwochen des Jahres 1961 insgesamt 28 Fahnenfluchten nach West-Berlin. [7] Von dort werden Grenzposten ausdrücklich ermutigt, den „Sprung in die Freiheit" zu wagen. Mit Lautsprecherdurchsagen und Flugblättern ruft beispielsweise das „Studio am Stacheldraht" des West-Berliner Senats dazu auf, dem SED-Regime den Gehorsam zu verweigern. „Lasst Euch nicht ins Bockshorn jagen, vertraut auf Euer Gefühl zur Freiheit des einzelnen Menschen. Lasst Euch nicht in die Schablone Eures Systems pressen", lautet einer dieser Appelle. [8]

Welche Gründe Georg Feldhahn zur Flucht veranlassen, geht aus amtlichen Überlieferungen nicht hervor. Auch die Frage, ob es ein spontaner Entschluss ist, wie das MfS mangels anderer Anhaltspunkte mutmaßt, oder ein lange gefasster Vorsatz, muss offen bleiben. Bis zum Tag seiner Flucht ist er offenbar nicht aufgefallen. Zumindest haben die beiden Stasi-Spitzel seiner Einheit weder Fluchtvorbereitungen noch Kontaktaufnahmen zu Personen auf westlicher Seite bei ihm festgestellt. Aktenkundig ist lediglich, dass Georg Feldhahn an diesem Tag vor Dienstantritt mit zwei Kameraden in der Stadt gewesen ist und getrunken haben soll. [9] Um 21.00 Uhr beginnt sein Dienst als Streifenposten in der Nähe der Massantebrücke am Ufer des Teltowkanals. Gegen 22.00 Uhr überprüft er demnach im Auftrag seines Postenführers ein Signalgerät am Drahtzaun, kehrt aber nicht zurück, sondern bewegt sich langsam auf die nach West-Berlin führende Brücke zu. Als er merkt, dass er beobachtet und verfolgt wird, gibt er, ohne jemanden zu treffen, aus seiner Maschinenpistole mehrere Schüsse ab. Dann ist er, noch bevor das Feuer erwidert werden kann, wie vom Erdboden verschwunden.

Auf Grund entsprechender Spuren gehen die Ost-Berliner Ermittler davon aus, der Flüchtende habe den Kanal erfolgreich an Rohren überquert, die sich unterhalb der Brücke befinden. [10] Der Kommandeur der Einheit kritisiert, dass sich die anderen Posten zu passiv verhalten hätten, „anstatt den Verräter zu stellen, unter Umständen unter Anwendung der Schusswaffe", wie es im Abschlussbericht heißt. Auch die Stasi räumt der „Schuldfrage der Einheit" breiten Raum ein und behauptet: „Es hätte ohne weiteres die Möglichkeit bestanden, F. vor Überqueren des Kanals zu erschießen." [11] Erst als im folgenden Frühjahr West-Berliner Zeitungen über die Leichenbergung berichten, kommen Zweifel auf, dass Georg Feldhahn die Flucht gelungen ist. Allem Anschein nach, so vermutet nun auch das MfS, ist er bei seinem Fluchtversuch in den Kanal gestürzt und im eiskalten Wasser ertrunken. [12]

Abgelegt in den Archiven des MfS und der Grenztruppen, halten die DDR-Behörden dieses Wissen geheim. So bleibt das Schicksal von Georg Feldhahn jahrzehntelang ungeklärt und gerät schließlich vollends in Vergessenheit. Selbst seine Schwester erfährt erst in den 1990er Jahren von seinem Tod. [13] Ob die Pflegeeltern, die mittlerweile verstorben sind, davon wussten, ist nicht überliefert.

Text: Christine Brecht

[1] Vgl. „Ertrunkener Vopo gefunden", Bild, 12.3.1962; „Toter Grenzpolizist war aus Seeburg", Berliner Morgenpost, 13.3.1962. [2] Vgl. Vermerk der West-Berliner Polizei, 20.3.1962, in: StA Berlin, Az. 7 AR 90/93, Bd. 1, Bl. 25. [3] Vgl. Gerhard Kunze, Grenzerfahrungen. Kontakte und Verhandlungen zwischen dem Land Berlin und der DDR 1949-1989, Berlin 1999. [4] Vgl. Fragebogen des MdI/HV DVP, ausgefüllt von Georg Feldhahn, 6.7.1959, in: BStU, MfS, AP 9819/63, Bl. 5-10, sowie Handschriftlicher Lebenslauf von Georg Feldhahn, 6.7.1959, in: Ebd., Bl. 11. [5] Vgl. Einstellungsprotokoll des Volkspolizei-Kreisamt Rathenow/Offizier für Kaderfragen, 6.7.1959, in: Ebd., Bl. 12, sowie Ermittlungsbericht des VPKA Rathenow/ABV, 6.7.1959, in: Ebd., Bl. 13. [6] Vgl. Spitzenmeldung [des MfS]/HA VII/7/U.Abt.1.Grz.Brg. (B/106) betr. Fahnenflucht des Bp.-Angehörigen Georg Feldhahn, 20.12.1961, in: BStU, MfS, AP 9819/63, Bl. 27. [7] Vgl. Wochenberichte [des MfS-ZAIG] über feindliche Manöver, Absichten und Maßnahmen gegen die DDR, 1.10.–6.10.1961, 7.10.–14.10.1961, in: BStU, MfS, ZAIG Nr. 4395, Bl. 1-30, sowie die Zahlenangaben bei Stephan Wolf, Hauptabteilung I: NVA und Grenztruppen, MfS-Handbuch, Teil III/13, Berlin 2004, sowie Torsten Diedrich, Die Grenzpolizei der SBZ/DDR (1946-1961), in: Ders. u.a. (Hg.), Im Dienste der Partei. Handbuch der bewaffneten Organe der DDR, Berlin 1998. [8] Zit. nach einem Bericht [des MfS] über angebliches westliches Kriegstreiben, 1.11.1961, in: BStU, MfS, ZAIG Nr. 525, Bl. 3-39, hier Bl. 28. [9] Vgl. Spitzenmeldung [des MfS]/HA VII/7/U.Abt.1.Grz.Brg. (B/106) betr. Fahnenflucht des Bp.-Angehörigen Georg Feldhahn, 20.12.1961, in: BStU, MfS, AP 9819/63, Bl. 27-30. [10] Vgl. ebd. sowie Abschlußbericht des MdI/Bepo/1.GB (B)/VI. Grenzabteilung/Kommandeur betr. Abschlußbericht zur Fahnenflucht des Gefr. Georg Feldhahn am 19.12.1961, in: Ebd., Bl. 19-22, hier Bl. 21. [11] Spitzenmeldung [des MfS]/HA VII/7/U.Abt.1.Grz.Brg. (B/106) betr. Fahnenflucht des Bp.-Angehörigen Georg Feldhahn, 20.12.1961, in: Ebd., Bl. 29. [12] Vgl. Aktenvermerk [des MfS] betr. Georg Feldhahn, 25.1.1963, in: BStU, MfS AP 9819/63, Bl. 33. [13] Vgl. Niederschrift der Zeugen-Vernehmung der Schwester von Georg Feldhahn durch die Rathenower Polizei, 9.6.1996, in: StA Berlin, Az. 27 AR 177/95, Bd. 2, Bl. 42-44.
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