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Rudolf Urban, abgestürzt aus einem Grenzhaus an der Berliner Mauer und an den Folgen gestorben: Ehrenwache am Mahnmal zum Jahrestag des Mauerbaus, 13. August 1963

Rudolf Urban

geboren am 6. Juni 1914
abgestürzt am 19. August 1961


auf der Flucht aus seiner Wohnung in der Bernauer Straße
an der Sektorengrenze zwischen Berlin-Mitte und Berlin-Wedding

am 17. September 1961 an den Folgen gestorben
In West-Berlin trifft an diesem 19. August US-Vizepräsident Johnson ein. Sein Besuch soll das Vertrauen der West-Berliner in die USA stärken, nachdem die Zurückhaltung der Schutzmacht gegenüber der Schließung der Sektorengrenze auf großes Unverständnis gestoßen ist. Im Ostteil der Stadt bereiten unterdessen die Urbans die Flucht aus ihrer im ersten Stock gelegenen Wohnung vor. Sie wollen sich aus dem Fenster abseilen.Der Kraftfahrer Rudolf Urban ist 47 Jahre alt, als die Berliner Mauer gebaut wird. Er wohnt mit seiner Frau in der Bernauer Straße Nr. 1 in Ost-Berlin. Das vierstöckige Mietshaus in der Nähe der Versöhnungskirche ist sein Geburtshaus. Wie alle Häuser auf der südlichen Straßenseite, die zum Verwaltungsbezirk Mitte gehören, ist es nur über den in West-Berlin gelegenen Gehsteig zugänglich. Diese besondere Situation an der Sektorengrenze prägt das Leben der Anwohner seit Jahren. Als die DDR-Führung am 13. August 1961 damit beginnt, die innerstädtische Sektorengrenze abzuriegeln, spitzt sich die Lage dramatisch zu.

Die Sperrung aller Wege und Übergänge zwischen beiden Teilen der Stadt veranlasst viele Menschen, von einem der Grenzhäuser in der Bernauer Straße die Flucht nach West-Berlin zu suchen. [1] Darauf reagieren die DDR-Behörden mit drastischen Maßnahmen. Sie lassen Hauseingänge und Fenster von Grenzhäusern verschließen und stellen bewaffnete Posten in Hausfluren und Treppenhäusern auf. In den westlichen Medien verbreitete Bilder und Berichte von diesen Ereignissen verschaffen der Bernauer Straße traurige Berühmtheit. Ein West-Berliner Autor schreibt über die beklemmende Situation: "Lediglich aus den höher gelegenen Fenstern können die Bewohner noch mit ihren Bekannten aus Westberlin sprechen. Die Haustüren sind zugenagelt, die Parterrefenster vermauert, Ulbrichts 'Sozialismus' schleicht auf Maurersocken die Korridore entlang." [2]

Wie viele Anwohner werden Rudolf Urban und seine Frau durch diese Schikanen in die Flucht getrieben. Ihrem Mann, so sagt Frau Urban 1980 in einem Interview, sei diese Entscheidung keineswegs leicht gefallen. Während sie vom ersten Tag an drängte, habe er zunächst gezögert. Er wollte nicht im Stich lassen, wofür er Jahre lang gearbeitet hatte, und beharrte darauf, dass er schließlich nichts verbrochen habe. Am Abend des 18. August hören sie jedoch laute Hammerschläge und müssen feststellen, dass die Haustür, die zum West-Berliner Gehsteig führt, zugenagelt wird. Das habe auch bei ihrem Mann den letzten Ausschlag gegeben: "Als sie die Haustür zugenagelt haben, da ist er umgeschwenkt und hat gesagt: 'Jetzt gehen wir.'" [3]

Der nächste Tag ist ein Samstag. In West-Berlin trifft an diesem 19. August US-Vizepräsident Johnson ein. Sein Besuch soll das Vertrauen der West-Berliner in die USA stärken, nachdem die Zurückhaltung der Schutzmacht gegenüber der Schließung der Sektorengrenze auf großes Unverständnis gestoßen ist. [4] Im Ostteil der Stadt bereiten unterdessen die Urbans die Flucht aus ihrer im ersten Stock gelegenen Wohnung vor. Sie wollen sich aus dem Fenster abseilen. Den sichereren Weg durch das Fenster einer Parterrewohnung konnten sie aus Rücksicht auf ihre Nachbarn nicht nehmen, erzählt Frau Urban im Rückblick. Zwar sind die Erdgeschosswohnungen zu diesem Zeitpunkt noch nicht geräumt. Doch im Treppenhaus stehen Wachposten und kontrollieren, wer ein- und ausgeht, so dass niemand aus den Fenstern steigen kann, ohne die Bewohner dem Verdacht der Fluchthilfe auszusetzen. Deshalb befestigen die beiden ein Seil am Fensterrahmen und lassen sich daran nacheinander auf die Bernauer Straße herunter. Dabei rutschen sowohl Rudolf Urban als auch seine Frau ab, so dass sie mit Verletzungen an Händen und Füßen ins nahe gelegene Lazarus-Krankenhaus gebracht werden müssen. [5]

Als sie dort eintreffen, stehen beide Flüchtlinge stark unter Schock, wie sich zwei ehemalige Krankenschwestern noch viele Jahre später erinnern. Rudolf Urban, so berichten sie, hatte mehrere Anzüge übereinander an, die er offenbar nicht in seiner Ost-Berliner Wohnung zurücklassen wollte. [6] Mit Fragen nach den Umständen seines Unfalls wollten die Schwestern den Patienten jedoch nicht behelligen. [7] Er hat sich beim Absturz das Fersenbein zertrümmert und muss stationär behandelt werden. Während seines Krankenhaus-Aufenthaltes zieht sich der 47-Jährige eine Lungenentzündung zu, von der er sich nicht mehr erholt. Am 17. September 1961 stirbt Rudolf Urban im West-Berliner Lazarus-Krankenhaus. Auf dem Dorotheen-Friedhof an der Weddinger Liesenstraße wird er beerdigt.

Rudolf Urban, abgestürzt aus einem Grenzhaus an der Berliner Mauer und an den Folgen gestorben: Mahnmal in der Bernauer Straße (Aufnahme 1962)
In der West-Berliner Öffentlichkeit werden die Flucht und der wochenlange Krankenhausaufenthalt von Rudolf Urban zunächst nicht bekannt. Erst nach seinem Tod machen Behörden und Medien auf das Schicksal des Ost-Berliners aufmerksam. In einem Polizeibericht vom November 1961 heißt es, dass er "an den Folgen der bei der Flucht erlittenen Verletzungen" gestorben ist [8]

Schließlich widmet der Bezirk Wedding Rudolf Urban ein Denkmal aus Holz und Stacheldraht, das fortan die Unglücksstelle vor dem Haus Bernauer Straße 1 markiert. Als Arbeiter das Denkmal aufstellen, sollen sie Zeitungsberichten zufolge von Ost-Berliner Polizisten beschimpft und mit Steinen beworfen worden sein. [9] An Jahrestagen des Mauerbaus finden dort, wie an anderen Denkmalen, die in West-Berlin zu Ehren von Maueropfern errichtet werden, regelmäßig Gedenkveranstaltungen statt. Als Ost-Berliner Abbruchkolonnen im Oktober 1965 damit beginnen, die Grenzhäuser an der Bernauer Straße bis auf die Erdgeschossfassaden abzureißen, wird das Denkmal vorübergehend mit einem Gehäuse versehen, so dass es unbeschadet an seinem Standort bleiben kann. [10] Das Haus, aus dem Rudolf Urban floh, muss im Zuge der Errichtung der neuen Betonmauer im Jahr 1980 endgültig dem Ausbau des DDR-Grenzregimes weichen.

Text: Christine Brecht

[1] Vgl. z.B. Statistik der Grenzdurchbrüche vom 13.8.-31.8.1961 des PdVP/Stab PdVP/Abt. Information, in: LAB, C Rep. 303-26-01, Nr. 239, Bl. 158-164. [2] Wolfdietrich Schnurre, Die Mauer des 13. August, Berlin 1962, S. 65. [3] Das Interview mit Frau Urban entstand für einen Dokumentarfilm von Hans-Dieter Grabe. Vgl. Lebenserfahrungen. Bernauer Straße 1–50 oder Als uns die Haustür zugenagelt wurde, ZDF 1981. [4] Vgl. Kurt L. Shell, Bedrohung und Bewährung. Führung und Bevölkerung in der Berlin-Krise, Köln/Opladen 1965, S. 44-45, sowie Andreas Daum, Kennedy in Berlin. Politik, Kultur und Emotionen im Kalten Krieg, Paderborn 2003, S. 48-53. [5] Vgl. Interview mit Frau Urban, a.a.O. [6] Zeitzeugeninterview von Maria Nooke mit Margarete Umland und Sophie Hermann, Schwestern im Lazarus-Krankenhaus, 17.1.2001, Archiv der Gedenkstätte Berliner Mauer. [7] Zeitzeugeninterview von Maria Nooke mit Ursula und Günter Malchow, Anwohner und Mitarbeiter im Lazarus-Krankenhaus, 7.4.2002, Archiv der Gedenkstätte Berliner Mauer.
[8] Vgl. Bericht der West-Berliner Polizeiinspektion Wedding über seit dem 13.8.61 geflüchtete Vopo und andere Personen, 14.11.1961, in: PHS, Bestand Grenzvorkommnisse, o. Pag. [9] Vgl. "Vopo-Flüche gegen Mahnmal", Spandauer Volksblatt, 18.11.1961. [10] Vgl. "Schutt soll auf Mahnmale prasseln. SED-Abrissaktion in der Bernauer Straße wird zur Provokation", Die Welt, 4.10.1965.
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