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Axel Hannemann: geboren am 27. April 1945, erschossen am 5. Juni 1962 bei einem Fluchtversuch im Berliner Grenzgewässer (Aufnahmedatum unbekannt)
Axel Hannemann, erschossen im Berliner Grenzgewässer: Fahndungsplakat der West-Berliner Polizei nach den Todesschützen, Juni 1962

Axel Hannemann

geboren am 27. April 1945
erschossen am 5. Juni 1962


in der Spree nahe des Reichstagsgebäudes
an der Sektorengrenze zwischen Berlin-Mitte und Berlin-Tiergarten
Es ist 17.15 Uhr, als der Jugendliche von der Brücke auf einen Lastkahn springt, der von der Zollkontrolle kommt und Richtung Westen unterwegs ist. Der Schiffsführer weigert sich jedoch den Jugendlichen mitzunehmen, bringt das Schiff zum Stehen und alarmiert Zoll und Grenzposten. Daraufhin gerät Axel Hannemann mit dem Schiffer in ein Handgemenge, aus dem er sich schließlich befreit, um in den Fluss zu springen und das West-Berliner Ufer schwimmend zu erreichen.Axel Hannemann wird wenige Tage vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs im April 1945 in Buchhain in der Lausitz geboren. Mit drei älteren Geschwistern wächst er im nahe gelegenen Cottbus auf, wo der Vater in einem Warenhaus arbeitet. Er ist 17 Jahre alt, wohnt noch bei seinen Eltern und geht in die Lehre, als er am 5. Juni 1962 beim Versuch die DDR zu verlassen, an der Berliner Mauer erschossen wird. Eltern und Geschwister trifft die Nachricht von seinem Tod schwer und völlig unerwartet, wie seine Mutter in einem Erinnerungsbericht geschildert hat. [1]
Sie kennen weder die Beweggründe, die ihn zur Flucht veranlasst haben, noch wissen sie von seinem Vorhaben. Er glaube nicht, dass es politische Gründe waren, sein jüngerer Bruder habe einfach nur besser und anders leben wollen, sagt Wolfgang Hannemann später. [2] Möglicherweise habe er zu seinen Großeltern in West-Berlin gewollt, vermutet sein Bruder Jürgen. [3] In einem Abschiedsbrief, den Axel Hannemann seinen Angehörigen hinterlässt, bittet er sie um Verständnis für seinen unangekündigten Schritt und fügt wie zur Rechtfertigung hinzu: „Ich habe keinen anderen Ausweg. Den Grund schreibe ich Euch, wenn ich es geschafft habe. Dass ich nichts verbrochen habe, kann ich schon heute sagen." [4]

Am 5. Juni 1962 fährt Axel Hannemann mit dem Zug von Cottbus nach Ost-Berlin. Im Stadtzentrum begibt er sich zur Marschallbrücke, die nicht weit von der Sektorengrenze entfernt zwischen Schiffbauerdamm und Reichstagsufer über die Spree führt. Dort werden Frachtschiffe, die auf dem Weg ins Umland West-Berlin passieren dürfen, vom DDR-Zoll kontrolliert. Es ist 17.15 Uhr, als der Jugendliche von der Brücke auf einen Lastkahn springt, der von der Zollkontrolle kommt und Richtung Westen unterwegs ist. [5] Der Schiffsführer weigert sich jedoch den Jugendlichen mitzunehmen, bringt das Schiff zum Stehen und alarmiert Zoll und Grenzposten. Daraufhin gerät Axel Hannemann mit dem Schiffer in ein Handgemenge, aus dem er sich schließlich befreit, um in den Fluss zu springen und das West-Berliner Ufer schwimmend zu erreichen. Dabei wird er von zwei Grenzpolizisten aus nächster Nähe unter Beschuss genommen, bis er wenige Meter von seinem Ziel entfernt tödlich getroffen im Wasser versinkt. Er hat laut Obduktionsbericht einen Schädeldurchschuss erlitten, ohne dass mit Sicherheit festgestellt werden kann, wie viele Kugeln ihn trafen und wo sie ein- und austraten. [6] Seine Leiche wird zwei Stunden später von der Ost-Berliner Feuerwehr aus dem Wasser geborgen.

All das spielt sich unmittelbar hinter dem auf West-Berliner Gebiet gelegenen Reichstagsgebäude ab, wo sich unterdessen neben Angehörigen der West-Berliner Polizei auch Vertreter der Presse eingefunden haben und die Bergung und den Abtransport des erschossenen Flüchtlings fotografisch dokumentieren. Unter Überschriften wie „Flüchtlings-Mord am Reichstag" und „Flüchtling in der Spree erschossen" berichten West-Berliner Zeitungen am folgenden Tag über das Geschehen.

Axel Hannemann, erschossen im Berliner Grenzgewässer: Fahndungsplakat der West-Berliner Polizei nach den Todesschützen, Juni 1962
Die Reaktionen auf den Tod von Axel Hannemann spiegeln die angespannte Situation, die im Sommer 1962 in der geteilten Stadt herrscht. Während sich an der Berliner Mauer in kurzer Folge ein Zwischenfall nach dem anderen ereignet, werden die Töne im Propagandakrieg zwischen Ost und West immer aggressiver. So holt die DDR-Führung, wie Militärakten zeigen, Erkundigungen über das Todesopfer und seine Angehörigen ein, um den Fall für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Gegen Axel Hannemann scheint jedoch nichts vorzuliegen, was den Generalverdacht gegen „Republikflüchtlinge" bestätigt. Er sei kein „Herumtreiber", bei der Volkspolizei nicht negativ in Erscheinung getreten und habe eine Tanzstunde besucht, wird aus Cottbus nach Ost-Berlin gemeldet. [7] Dennoch gibt DDR-Innenminister Karl Maron eine Pressemitteilung heraus, in der er verlautbaren lässt, der „Verbrecher" sei seinen Verletzungen erlegen, nachdem er gewaltsam versucht habe, die „Staatsgrenze" zu durchbrechen. [8] Die DDR-Presse veröffentlicht die Worte des Ministers und trägt auf diese Weise dazu bei, das offizielle Feindbild zu bekräftigen. [9]

In West-Berlin leiten unterdessen Polizei und Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen die Grenzposten ein, die Axel Hannemann erschossen haben, und gehen damit ebenfalls an die Öffentlichkeit. So setzt der Polizeipräsident für Hinweise, die zur Namhaftmachung des Täters führen, eine Belohnung von 3.000 DM aus. Eine vergleichbare Fahndungsaktion hat es zuvor nur einmal gegeben, nachdem am 29. August 1961 Roland Hoff im Teltowkanal erschossen worden war. Auch diesmal ist die Botschaft des Fahndungsplakates in erster Linie an die Grenzposten auf der anderen Seite der Absperrungen gerichtet. Daher wird das Plakat an Standorten entlang der Mauer aufgestellt, die für Grenzposten gut einsehbar sind. [10] Ziel der West-Berliner Behörden ist es, mit diesem drastischen Mittel an das Verantwortungsgefühl der Grenzposten zu appellieren und ihnen demonstrativ vor Augen zu führen, dass sie für Schüsse auf Flüchtlinge zur Rechenschaft gezogen werden.

Bis die strafrechtliche Verfolgung der Schützen wirksam werden kann, vergehen noch 30 Jahre. Zu diesem Zeitpunkt ist der ehemalige Postenführer, dem die tödlichen Schüsse auf Axel Hannemann eindeutig zugeordnet werden können, bereits tot. Weil auch er gezielt geschossen hat, wird der zweite Schütze im September 1993 des gemeinschaftlichen Totschlags schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, die auf Bewährung ausgesetzt wird. Im Urteil heißt es, er habe gemeinschaftlich mit seinem Postenführer gehandelt und müsse sich „dessen letzten tödlichen Schuß auf Axel Hannemann im Sinne arbeitsteiliger Mittäterschaft zurechnen lassen." [11]

Text: Christine Brecht

[1] Vgl. Charlotte Hannemann, In schwerer Zeit, in: Werner Filmer/Heribert Schwan, Opfer der Mauer. Die geheimen Protokolle des Todes, München 1991, S. 102-103. [2] Vgl. Der Finger am Abzug, TV-Dokumentation von Heribert Schwan und Werner Filmer, WDR, 1991. [3] Schreiben von Jürgen Hannemann an Maria Nooke, 4.11.2008. [4] Bericht [des MdI/Bepo/1.GB/III. Grenzabteilung] zur Vorlage bei Minister Maron, 6.6.1962, in: BArch, VA-07/8461, Bl. 29. [5] Vgl. Bericht des MdI/Bepo/1.GB/III. Grenzabteilung zum versuchten Grenzdurchbruch im Abschnitt der 2. Kompanie der III. Grenzabteilung am 5.6.1962, 5.6.1962, in. BArch, DY 30/IV 2/12/76, Bd. 3, Bl. 9-11, sowie Einzel-Information Nr. 361/62 [des MfS-ZAIG], 6.6.1962, in: BStU, MfS, ZAIG Nr. 581, Bl. 30-31. [6] Vgl. Obduktionsbericht des IGM der HU, 6.6.1962, in: StA Berlin, Az. 2 Js 153/90, Bd. 1, Bl. 103-112. [7] Vgl. Bericht [des MdI/Bepo/1.GB/III. Grenzabteilung] zur Vorlage bei Minister Maron, 6.6.1962, in: BArch, VA-07/8461, Bl. 29-30. [8] Vgl. Mitteilung der Pressestelle des MdI, o.D., in: Ebd., Bl. 20-21. [9] Vgl. z.B. „Grenzverletzer gestellt", Berliner Zeitung, 7.6.1962. [10] Vgl. z.B. die Grenzrapporte Nr. 160/62 und 161/62 des MdI/Kommando/Bepo/Op. Diensthabender, 10.6.1962 und 11.6.1962, in: BArch, VA-07/4739, Bd. 5, o.P. [11] Urteil des Landgerichts Berlin vom 29.9.1993, in: StA Berlin, Az. 2 Js 153/90, Bd. 2, Bl. 232-255, Zitat Bl. 244, auszugsweise abgedruckt in: Klaus Marxen/Gerhard Werle (Hg.), Strafjustiz und DDR-Unrecht, Bd. 2: Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze, Berlin 2002, S. 217-238.
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