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Philipp Held: geboren am 2. Mai 1942, ertrunken im April 1962 bei einem Fluchtversuch im Berliner Grenzgewässer (Aufnahme um 1961)
Den Opfern der Mauer: Fenster des Gedenkens der Gedenkstätte Berliner Mauer; Aufnahme 2010

Philipp Held

geboren am 2. Mai 1942
ertrunken im April 1962


in der Spree
vermutlich an der Sektorengrenze zwischen Berlin-Friedrichshain und Berlin-Kreuzberg
Am 22. April 1962 entdecken Angehörige der DDR-Grenzpolizei die Leiche von Philipp Held in der Spree. Alles deutet darauf hin, dass er beim Versuch, vom Osthafengelände in Berlin-Friedrichshain an das gegenüberliegende West-Berliner Ufer zu schwimmen, ertrunken ist.Philipp Held kommt am 2. Mai 1942 in Worms am Rhein zur Welt. Dort verbringt er eine behütete Kindheit, die allerdings durch den frühen Verlust des Vaters überschattet wird, der 1955 bei einem Autounfall ums Leben kommt. Nachdem er die Schule abgeschlossen hat, absolviert Philipp Held eine Lehre als Elektriker. Danach nimmt er ein Ingenieurstudium auf. Seine Mutter ist stolz auf ihren einzigen Sohn. Doch als er sich im Alter von 19 Jahren mit Bärbel W. anfreundet und sich seine Mutter gegen diese Beziehung ausspricht, kommt es zum Konflikt. Philipp Held und seine 16-jährige Freundin fühlen sich unverstanden und bevormundet. Schließlich treffen die beiden Jugendlichen eine ebenso ungewöhnliche wie folgenschwere Entscheidung. Ohne ihre Eltern zu informieren, fahren sie an die innerdeutsche Grenze und setzen sich im September 1961 in der Nähe von Helmstedt in die DDR ab. Bärbel W. ist dort aufgewachsen, bevor sie 1956 mit ihrer Mutter in den Westen flüchtete. [1] Nachdem sie an der Grenze ihren Wunsch zur Übersiedlung erklärt haben, müssen die Beiden das Aufnahmelager Barby in der Nähe von Magdeburg durchlaufen. Dort werden sie überprüft und als „Zuziehender" und „Rückkehrerin", wie es im DDR-amtlichen Sprachgebrauch heißt, registriert. [2] Dann dürfen sie nach Eberswalde bei Berlin ziehen, wo der Vater und andere Verwandte von Bärbel W. wohnen.

Philipp Held und seine Freundin kommen jedoch nur schlecht mit den Lebens- und Arbeitsbedingungen in der DDR zurecht, zumal sie in Eberswalde nicht gerade mit offenen Armen empfangen werden und sich auch dort von den Erwachsenen kontrolliert und gemaßregelt fühlen. Innerhalb kürzester Zeit bereuen sie ihren Schritt, wie aus Briefen hervorgeht, die sie an ihre Eltern im Westen schreiben. [3] Erst jetzt scheinen die beiden Jugendlichen zu realisieren, dass ihnen der Rückweg versperrt ist, seit die Berliner Mauer Deutschland endgültig teilt. Bei einem Besuch in Ost-Berlin stellen sie fest, dass die Grenze „furchtbar bewacht und vermauert" ist. [4] Verzweifelt suchen sie nach Auswegen. Da Bärbel W. noch minderjährig ist, bemüht sie sich bei den DDR-Behörden um eine Ausreisegenehmigung. Für Philipp Held, der nach DDR-Recht volljährig ist und eine abgeschlossene Berufsausbildung hat, erscheint eine Antragstellung jedoch aussichtslos. Denn aus der Sicht der DDR-Machthaber sprechen sowohl ökonomische als auch ideologische Gründe dagegen, eine junge, qualifizierte, männliche Arbeitskraft, die aus dem kapitalistischen Westen zugezogen ist, nun einfach wieder gehen zu lassen. Die Situation spitzt sich weiter zu, als die DDR im Januar 1962 die allgemeine Wehrpflicht einführt und Philipp Held damit rechnen muss, bald zur Nationalen Volksarmee eingezogen zu werden. Als Waffen- und Geheimnisträger, so befürchtet er, wird er nie mehr aus dem eingemauerten Land herauskommen. Schließlich sieht er keine andere Möglichkeit, als das Risiko einer Flucht auf sich zu nehmen. Im letzten Brief an seine Mutter findet sich eine vage Andeutung des Fluchtvorhabens. [5] Auch seine Freundin und seine Vermieterin sind eingeweiht, ohne Details zu kennen. Als er vom 8. April an verschwunden ist, gehen sie zunächst davon aus, dass die Flucht geglückt ist. Erst nachdem tagelang kein Lebenszeichen von ihm kommt, beginnen sie sich Sorgen zu machen.

Am 22. April 1962 entdecken Angehörige der DDR-Grenzpolizei die Leiche von Philipp Held in der Spree. Alles deutet darauf hin, dass er beim Versuch, vom Osthafengelände in Berlin-Friedrichshain an das gegenüberliegende West-Berliner Ufer zu schwimmen, ertrunken ist. „Gegen 18.00 Uhr", so steht es im Rapport der zuständigen Grenzpolizei-Einheit, „wurde an der Schillingbrücke (…) durch die Wasserschutzpolizei eine aus Richtung Oberbaumbrücke (…) antreibende Leiche geborgen. Bei der Leiche handelt es sich um den Held, Philipp (…) Die Ausweispapiere führte der H. in einem Zellophanbeutel bei sich." [6] Die Tatsache, dass der Tote wasserdicht verpackte Ausweispapiere bei sich hat, gilt den DDR-Behörden als sicheres Indiz dafür, dass sie es mit einem „versuchten Grenzdurchbruch" zu tun haben. Die weiteren Untersuchungen ergeben, dass Philipp Held zum Zeitpunkt der Bergung ungefähr zehn Tage lang tot im Wasser gelegen haben muss. Seine Leiche hat sich im Draht einer Unterwassersperre verfangen. Der Leichnam weist keine Einschüsse auf, so dass die Ost-Berliner Ermittlungsbehörden davon ausgehen, dass der Tote ertrunken ist. [7]

Die Umstände seines Todes können jedoch nie ganz aufgeklärt werden. Weder den Behörden in Ost und West noch Freunden und Angehörigen gelingt es herauszufinden, wie, wann und wo genau Philipp Held gestorben ist.

Nach der Leichenbergung vergehen mehrere Tage, bis seine Mutter von der Ost-Berliner Staatsanwaltschaft informiert wird. Ihr Sohn sei tödlich verunglückt, heißt es in einem amtlichen Schreiben vom 26. April 1962 lapidar. Mit Hilfe der Behörden in Worms versucht sie die Überführung der Leiche zu erwirken. Zu ihrer Bestürzung muss sie jedoch erfahren, dass die sterblichen Überreste ihres Sohnes verbrannt wurden, ohne ihre Zustimmung einzuholen. Gegenüber den offiziellen Verlautbarungen der DDR-Behörden ist sie äußerst misstrauisch und hat den Verdacht, die DDR-Behörden würden ein Gewaltverbrechen vertuschen. Um ihrer Sicht der Dinge Öffentlichkeit zu verschaffen, wendet sie sich an die westdeutsche Presse. Auf diese Weise entsteht das Gerücht, Philipp Held sei erschossen worden. So titelt etwa die „Bild-Zeitung": "Pankow wollte die Tat verschleiern" und berichtet, es gäbe kaum noch Zweifel, dass Philipp Held „von Ulbrichts Grenzwächtern ermordet wurde." [8] Als die Berliner Staatsanwaltschaft die Ermittlungen 1990 noch einmal aufnimmt, bestätigt sich dieser Verdacht jedoch nicht. [9] Alle überlieferten Unterlagen erhärten vielmehr die Annahme, dass Philipp Held bei seinem Fluchtversuch im April 1962 ertrunken ist.

Text: Christine Brecht

[1] Vgl. Bericht der Nachrichtenstelle Helmstedt (Dienstbereich Polizei-Abschnitt LK Helmstedt)/Niedersächs. Verwaltungsbezirk Braunschweig, 22.5.1962, in: StA Berlin, Az. 27 Js 151/90, Bd. 2, Bl. 4-7. [2] Zwischen 1949 und 1989 wechselten rund 600.000 Menschen zumeist aus persönlichen Gründen von West nach Ost, darunter viele so genannte „Rückkehrer". Vgl. Cornelia Röhlke, Entscheidung für den Osten. Die West-Ost-Migration, in: Bettina Effner/Helge Heidemeyer (Hg.), Flucht im geteilten Deutschland, Berlin 2005, S. 97-113. [3] Vgl. Briefe von Bärbel W. [Abschriften der Wormser Polizei], 13.9.1961-10.5.1962, in: StA Berlin, Az. 27 Js 151/90, Bd. 1, Bl. 50-64. [4] Vgl. Brief von Bärbel W. [Abschrift der Wormser Polizei], 15.10.1961, in: Ebd., Bl. 51. [5] Vgl. Brief von Philipp Held [Abschrift der Wormser Polizei], 5.4.1962, in: Ebd., Bl. 27-28. [6] Grenzrapport Nr. 112/62 des MdI/Kommando Bepo/Op. Diensthabender, 23.4.1962, in: BArch, VA-07/4739, Bd. 2, Bl. 127. [7] Vgl. Handschriftliche Aktennotiz [des MfS]/HA VII, 5.5.1962, in: BStU, MfS, ZAIG/1 9300/3, Bl. 58. [8] Bild-Zeitung, 5.5.1962. [9] Vgl. Schlußvermerk der ZERV, 11.12.1991, in: StA Berlin, Az. 27 Js 151/90, Bd. 1, Bl. 132-136.
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