geboren am 31. Juli 1949
ertrunken am 28. Mai 1968
in der Spree
an der Sektorengrenze zwischen Berlin-Treptow und Berlin-Kreuzberg
Kurz entschlossen steigt Bernd Lehmann in der Nacht des 28. Mai 1968 in die Spree und schwimmt aus Richtung Treptower Park kommend zum Osthafen, wo er vermutlich in Höhe des Flutgrabens die Grenze nach West-Berlin überwinden möchte. Er ahnt jedoch nicht, dass im Wasser Stacheldraht gespannt ist.Am frühen Abend des 28. Mai 1968 werden in einem Gebüsch in Höhe des sowjetischen Ehrenmals in Berlin-Treptow ein Herrensakko, eine Strickjacke, eine lange Hose, Strümpfe und ein Paar Schuhe gefunden. In der Seitentasche des Sakkos befindet sich ein Ausweis mit den Personalien von Bernd Lehmann. Fünf Tage später entdeckt ein Grenzsoldat in der Spree am Osthafen eine männliche Leiche, die nur mit einer Badehose und einem grünen Rollkragenpullover bekleidet ist. Der Tote ist Bernd Lehmann. [1]
Bernd Lehmann, ein gebürtiger Berliner, gerät schon in frühester Jugend mit den DDR-Gesetzen in Konflikt. In einem Bericht der Volkspolizeiinspektion Berlin-Friedrichshain heißt es, dass "gegen ihn in vielfacher Art Erziehungsmaßnahmen, die bis zur Heimerziehung gingen, eingeleitet" wurden. [2] Wegen Diebstahl, Betrug und Fälschung wird Bernd Lehmann mehrfach zu Haftstrafen verurteilt.
Bereits mit 15 Jahren entwickelt er eine erste Fluchtidee: Er will in einem gestohlenen PKW zur innerdeutschen Grenze fahren, um dort mit einer Waffe den Grenzübertritt zu erzwingen. Noch bevor er den Plan realisieren kann, wird er laut Meldung der Volkspolizei wegen "Vorbereitung zum illegalen Verlassen der DDR zur Verantwortung gezogen." [3] Aus den Stasi-Akten geht nicht hervor, ob dieses Vorhaben strafrechtlich verfolgt wird und ob es im Zusammenhang mit seiner Inhaftierung in der Strafvollzugsanstalt Berlin I steht, die im gleichen Jahr erfolgt. [4]
In der dortigen Jugendzelle erzählen Häftlinge von abenteuerlichen Fluchtmöglichkeiten. Bernd Lehmann schmiedet sogleich neue Fluchtpläne. Er beabsichtigt, ein Flugzeug auf einem bei Falkenrehde im Havelland gelegenen Flugplatz der "Gesellschaft für Sport und Technik" zu entwenden. Von einem Mithäftling weiß er, dass der Flugplatz dicht am Wald gelegen ist und nur von einem Wachmann beaufsichtigt wird. Noch während der Haft beauftragt er einen Mithäftling, ihm nach der Entlassung eine Waffe zu besorgen. [5] Diesen Bekannten trifft Bernd Lehmann jedoch erst im Februar 1968 wieder. Von nun an sind zunächst die Volkspolizei und später auch das MfS über die Fluchtvorbereitungen von Bernd Lehmann bestens informiert. Als Stasi-Spitzel leitet der angebliche Freund alle Informationen, die er bei seinen Treffen mit Bernd Lehmann gewinnen kann, an die entsprechenden Stellen weiter. [6]
Bernd Lehmann ist zu diesem Zeitpunkt noch fest entschlossen zu fliehen. Seit seiner letzten Haft wegen eines Einbruchdiebstahls, aus der er im Dezember 1967 entlassen wird, ist er mit seiner Arbeitssituation sehr unzufrieden. Der 18-Jährige, der im VEB Elektroapparatewerk Treptow als Dreher arbeitet, hat keine Freude an seiner Arbeit. Er muss noch Schadensersatzzahlungen leisten, so dass ihm nur wenig von dem niedrigen Verdienst bleibt. Seinen Arbeitsplatz darf Bernd Lehmann nicht wechseln. Mitarbeiter der Abteilung Inneres ermahnen ihn, "sich dem fürsorgerischen Bemühen der staatlichen Organe würdig zu erweisen und sein Teil dazu beizutragen, um zu einem geordneten Leben zu kommen". [7]
Der junge Mann träumt jedoch von einer Zukunft als Sportlehrer. Um dieses Ziel zu erreichen, hat er vor, in der Volkshochschule die Qualifikation eines 10-Klassen-Schülers zu erwerben. Als Vorbild dient ihm seine Mutter, die in Ost-Berlin als Schwimmlehrerin arbeitet. [8] In der DDR sieht er offensichtlich keine Möglichkeiten, diese Zukunftspläne zu verwirklichen. Hier fällt es ihm schwer, aus den Strukturen herauszukommen, die ihn immer wieder in Konflikte mit den DDR-Gesetzen führen.
Im Mai 1968 weiß der Stasi-Spitzel über Bernd Lehmann zu berichten, dass er mittlerweile von dem Fluchtvorhaben mit einem Flugzeug Abstand genommen habe und diese Möglichkeit nur im Ausnahmefall wahrzunehmen gedenke. Auch eine Flucht über die Grenzanlagen nach West-Berlin erscheine ihm zu gefährlich, da diese zu stark gesichert seien. Stattdessen schätze er die Erfolgschancen an der innerdeutschen Grenze als größer ein, dort müsse man nur die Minenfelder kennen und unbemerkt in die 5-Kilometer-Zone kommen. [9]
Dass Bernd Lehmann sich schließlich doch entscheidet, über die Grenze zu West-Berlin zu fliehen, ist möglicherweise eine unbedachte Spontanhandlung. Am Abend vor der Flucht kommt es zu einem Familienstreit. Der Sohn gesteht seiner Mutter, dass er seit mehreren Tagen nicht zur Arbeit gegangen ist und künftig als Kellner arbeiten möchte. Die Mutter befürchtet, dass er wieder straffällig wird, wenn er mit größeren Mengen Geld umgehen muss, und erklärt ihm ihr Unbehagen. Sie droht, die Arbeitsbummelei der Abteilung Inneres zu melden. Der Sohn versucht, seine Mutter umzustimmen, was ihm aber nicht gelingt.
Spät in der Nacht verlässt Bernd Lehmann die Wohnung. Offensichtlich hält ihn nun nichts mehr in Ost-Berlin. Kurz entschlossen steigt er in die Spree und schwimmt aus Richtung Treptower Park kommend zum Osthafen, wo er vermutlich in Höhe des Flutgrabens die Grenze nach West-Berlin überwinden möchte. Jedoch ahnt er nicht, dass im Wasser Stacheldraht gespannt ist. [10] Er verfängt sich etwa 20 Meter vor dem Flutgraben im Osthafenbecken in den Unterwassersperranlagen und ertrinkt qualvoll.
Text: Lydia Dollmann
Bernd Lehmann, ein gebürtiger Berliner, gerät schon in frühester Jugend mit den DDR-Gesetzen in Konflikt. In einem Bericht der Volkspolizeiinspektion Berlin-Friedrichshain heißt es, dass "gegen ihn in vielfacher Art Erziehungsmaßnahmen, die bis zur Heimerziehung gingen, eingeleitet" wurden. [2] Wegen Diebstahl, Betrug und Fälschung wird Bernd Lehmann mehrfach zu Haftstrafen verurteilt.
Bereits mit 15 Jahren entwickelt er eine erste Fluchtidee: Er will in einem gestohlenen PKW zur innerdeutschen Grenze fahren, um dort mit einer Waffe den Grenzübertritt zu erzwingen. Noch bevor er den Plan realisieren kann, wird er laut Meldung der Volkspolizei wegen "Vorbereitung zum illegalen Verlassen der DDR zur Verantwortung gezogen." [3] Aus den Stasi-Akten geht nicht hervor, ob dieses Vorhaben strafrechtlich verfolgt wird und ob es im Zusammenhang mit seiner Inhaftierung in der Strafvollzugsanstalt Berlin I steht, die im gleichen Jahr erfolgt. [4]
In der dortigen Jugendzelle erzählen Häftlinge von abenteuerlichen Fluchtmöglichkeiten. Bernd Lehmann schmiedet sogleich neue Fluchtpläne. Er beabsichtigt, ein Flugzeug auf einem bei Falkenrehde im Havelland gelegenen Flugplatz der "Gesellschaft für Sport und Technik" zu entwenden. Von einem Mithäftling weiß er, dass der Flugplatz dicht am Wald gelegen ist und nur von einem Wachmann beaufsichtigt wird. Noch während der Haft beauftragt er einen Mithäftling, ihm nach der Entlassung eine Waffe zu besorgen. [5] Diesen Bekannten trifft Bernd Lehmann jedoch erst im Februar 1968 wieder. Von nun an sind zunächst die Volkspolizei und später auch das MfS über die Fluchtvorbereitungen von Bernd Lehmann bestens informiert. Als Stasi-Spitzel leitet der angebliche Freund alle Informationen, die er bei seinen Treffen mit Bernd Lehmann gewinnen kann, an die entsprechenden Stellen weiter. [6]
Bernd Lehmann ist zu diesem Zeitpunkt noch fest entschlossen zu fliehen. Seit seiner letzten Haft wegen eines Einbruchdiebstahls, aus der er im Dezember 1967 entlassen wird, ist er mit seiner Arbeitssituation sehr unzufrieden. Der 18-Jährige, der im VEB Elektroapparatewerk Treptow als Dreher arbeitet, hat keine Freude an seiner Arbeit. Er muss noch Schadensersatzzahlungen leisten, so dass ihm nur wenig von dem niedrigen Verdienst bleibt. Seinen Arbeitsplatz darf Bernd Lehmann nicht wechseln. Mitarbeiter der Abteilung Inneres ermahnen ihn, "sich dem fürsorgerischen Bemühen der staatlichen Organe würdig zu erweisen und sein Teil dazu beizutragen, um zu einem geordneten Leben zu kommen". [7]
Der junge Mann träumt jedoch von einer Zukunft als Sportlehrer. Um dieses Ziel zu erreichen, hat er vor, in der Volkshochschule die Qualifikation eines 10-Klassen-Schülers zu erwerben. Als Vorbild dient ihm seine Mutter, die in Ost-Berlin als Schwimmlehrerin arbeitet. [8] In der DDR sieht er offensichtlich keine Möglichkeiten, diese Zukunftspläne zu verwirklichen. Hier fällt es ihm schwer, aus den Strukturen herauszukommen, die ihn immer wieder in Konflikte mit den DDR-Gesetzen führen.
Im Mai 1968 weiß der Stasi-Spitzel über Bernd Lehmann zu berichten, dass er mittlerweile von dem Fluchtvorhaben mit einem Flugzeug Abstand genommen habe und diese Möglichkeit nur im Ausnahmefall wahrzunehmen gedenke. Auch eine Flucht über die Grenzanlagen nach West-Berlin erscheine ihm zu gefährlich, da diese zu stark gesichert seien. Stattdessen schätze er die Erfolgschancen an der innerdeutschen Grenze als größer ein, dort müsse man nur die Minenfelder kennen und unbemerkt in die 5-Kilometer-Zone kommen. [9]
Dass Bernd Lehmann sich schließlich doch entscheidet, über die Grenze zu West-Berlin zu fliehen, ist möglicherweise eine unbedachte Spontanhandlung. Am Abend vor der Flucht kommt es zu einem Familienstreit. Der Sohn gesteht seiner Mutter, dass er seit mehreren Tagen nicht zur Arbeit gegangen ist und künftig als Kellner arbeiten möchte. Die Mutter befürchtet, dass er wieder straffällig wird, wenn er mit größeren Mengen Geld umgehen muss, und erklärt ihm ihr Unbehagen. Sie droht, die Arbeitsbummelei der Abteilung Inneres zu melden. Der Sohn versucht, seine Mutter umzustimmen, was ihm aber nicht gelingt.
Spät in der Nacht verlässt Bernd Lehmann die Wohnung. Offensichtlich hält ihn nun nichts mehr in Ost-Berlin. Kurz entschlossen steigt er in die Spree und schwimmt aus Richtung Treptower Park kommend zum Osthafen, wo er vermutlich in Höhe des Flutgrabens die Grenze nach West-Berlin überwinden möchte. Jedoch ahnt er nicht, dass im Wasser Stacheldraht gespannt ist. [10] Er verfängt sich etwa 20 Meter vor dem Flutgraben im Osthafenbecken in den Unterwassersperranlagen und ertrinkt qualvoll.
Text: Lydia Dollmann
[1]
Vgl. Protokoll des PdVP Berlin/Abteilung K/Dez. III, 3.6.1968, in: BStU, MfS, AOP 8027/68, Bl. 53.
[2]
Bericht der VP-Inspektion Berlin-Friedrichshain/Kommissariat I über den Verdacht der Vorbereitung der Republikflucht, 22.3.1968, in: BStU, MfS, AOP 8027/68, Bl. 34.
[3]
Ebd., Bl. 34.
[4]
Vgl. Bericht [des MfS]/KD Friedrichshain, 5.3.1968, in: BStU, MfS, AOP 8027/68, Bl. 37.
[5]
Vgl. den Bericht der VP-Inspektion Friedrichshain/Kommissariat I über die nochmalige Befragung des IM "Heinz Schmidt", 5.3.1968, in: BStU, MfS, AOP 8027/68, Bl. 23-24.
[6]
Vgl. Eröffnungsbericht der VP-Inspektion Friedrichshain/Kommissariat I zur KA "Flugzeug", 3.3.1968, in: BStU, MfS, AOP 8027/68, Bl. 16-17; Information der VP-Inspektion Friedrichshain/Kommissariat I vom 1.3.1968, in: BStU, MfS, AOP 8027/68, Bl. 20-21.
[7]
Bericht der VPI Friedrichshain/Kommissariat VII über eine Aussprache mit dem Haftentlassenen Bernd Lehmann, 28.12.1967, in: BStU, MfS, AOP 8027/68, Bl. 43-44.
[8]
Vgl. ebd., sowie Kontrollbericht der VP-Inspektion Friedrichshain/VPR 83/Abteilung K über Bernd Lehmann, 31.1.1968, in: BStU, MfS, AOP 8027/68, Bl. 45-46.
[9]
Vgl. Aktenvermerk [des MfS]/KD Friedrichshain, 18.5.1968, in: BStU, MfS, AOP 8027/68, Bl. 48.
[10]
Vgl. hierzu und zum Folgenden: Schlussbericht [des MfS]/KD Friedrichshain, 5.7.1968, in: BStU, MfS, AOP 8027/68, Bl. 58-59.