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Horst Körner: geboren am 12. Juli 1947, erschossen am 15. November 1968 bei einem Fluchtversuch am Schlosspark Potsdam-Babelsberg (Aufnahme ca. 1963)
Horst Körner: Erinnerungsstele an der Lankestraße am Fuß der Brücke nach Klein Glienicke über den Teltowkanal

Horst Körner

geboren am 12. Juli 1947
erschossen am 15. November 1968


am Schlosspark Babelsberg
am Außenring zwischen Klein Glienicke (Kreis Potsdam-Stadt) und Berlin-Zehlendorf
Horst Körner stirbt noch am Tatort. In einer seiner Uniformtaschen finden die Grenzer einen Briefumschlag, auf den er Abschiedsworte an seine Eltern geschrieben hat: "Ehe ich mich fassen lasse, werde ich sterben." Aber mit Rolf Henniger hat er ausgerechnet einen Grenzsoldaten mit in den Tod gerissen, der offenbar selbst Fluchtgedanken hegte.Horst Körner, geboren am 12. Juli 1947 in Wolfen, besucht nach der mittleren Reife eine Berufsschule mit Abiturklasse im VEB Filmfabrik Wolfen. Im Sommer 1967 hat er den Berufsabschluss als Mechaniker und sein Abitur in der Tasche. Statt Wehrdienst abzuleisten – vielleicht will er diesem ausweichen –, tritt er als VP-Anwärter in die Abteilung Kriminalpolizei des Volkspolizei-Kreisamtes Bitterfeld ein. [1] Noch im selben Jahr wird er zum Unter-Wachtmeister befördert. Zu seinen Aufgaben zählt insbesondere die Bearbeitung von Eigentumsdelikten. Weil ihn diese Tätigkeit nicht befriedigt, beantragt er Anfang März 1968 seine Entlassung aus dem Polizeidienst. Zeitgleich bewirbt er sich um einen Studienplatz an der Fachhochschule für Veterinärmedizin in Beichlingen. Ein Wechsel von der Verfolgung strafverdächtiger Menschen zur Behandlung von Tieren? Seine Polizei-Vorgesetzten werden ihn von der Aussichtslosigkeit dieser ohne ihre Zustimmung erfolgten Bewerbung überzeugt haben; unter ihrem Druck jedenfalls zieht er seinen Entlassungsantrag zurück und stimmt stattdessen einem „Entwicklungsplan" zum Offizier der Kriminalpolizei zu.
Horst Körner, erschossen an der Berliner Mauer: Tod am Schlosspark Babelsberg (Aufnahme DDR-Grenztruppen)
Mit 20 Jahren ist er ein hoffnungsvoller Polizeikader, obendrein SED-Mitglied, seine Vorgesetzten sind nun mit ihm zufrieden. Anfang September 1968 wird er zu einem Assistenten-Lehrgang auf die Schule für kriminalistische Grundausbildung und Weiterbildung des DDR-Innenministeriums nach Potsdam delegiert. Nach außen hin scheint er sich mit den Verhältnissen arrangiert zu haben. Aus seinem Abschiedsbrief an seine Eltern, den er bei seiner Flucht bei sich trägt, geht jedoch hervor, dass sich der 21-Jährige mit seiner beruflichen Situation in keiner Weise abgefunden hat: „Es sind vielleicht die letzten Grüße an Euch. Ich bin ein Stück weiter vor der Grenze. [...] Ich bereite Euch viel Kummer, doch glaubt mir, ich hab schon lange nicht mehr gelebt." [2]

Am 15. November 1968 muss Horst Körner zwischen 21.00 und 23.00 Uhr als Wachposten der Potsdamer Kripo-Schule für einen Kameraden einspringen. Ein Zerwürfnis mit der Freundin wenige Tage zuvor, von dem er Stubenkameraden berichtet, mag den letzten Ausschlag zu einem Entschluss gegeben haben, für dessen Verwirklichung sich ihm nun unverhofft eine Gelegenheit zu eröffnen scheint. [3] Auf seinen Wunsch hin wird er als Außenposten eingeteilt. Es gelingt ihm, bewaffnet seinen Posten zu verlassen und zu den nahen Gleisanlagen der Deutschen Reichsbahn vorzudringen. Dort lässt er seinen Stahlhelm, eine Magazintasche und ein leeres Magazin zurück. Dann läuft er auf den Bahngleisen über die Havelbrücke zum Bahnhof Potsdam-Stadt, von dort vermutlich über Alt-Nowawes durch den Babelsberger Park Richtung Klein Glienicke. An dieser Stelle, gegenüber der berühmten Glienicker Brücke, nimmt die Grenze einen besonders vertrackten Verlauf. Um von hier aus auch nur in die Nähe des Todesstreifens zu gelangen, muss Horst Körner die gut bewachte Brücke, die über den Teltowkanal in die Enklave Klein Glienicke führt, passieren – oder in das um diese Jahreszeit sehr kalte Wasser des Kanals bzw. der Havel steigen. Entweder hofft Horst Körner, durch spezielle polizeiinterne Ortskenntnisse hier einen Vorteil für seine Flucht zu haben – oder aber ihm ist das hiesige Grenzgebiet überhaupt nicht vertraut.

Bei der Wachablösung gegen 23.00 Uhr wird sein Verschwinden entdeckt und eine Suchaktion auf dem Gelände der Kripo-Schule eingeleitet. Man erwägt, dass er einen jener Militärzüge der Alliierten bestiegen haben könnte, die in unmittelbarer Nähe der Schule oft vor einem Signal halten.

Zur selben Zeit wird Horst Körner im Grenzgebiet von Klein Glienicke zufällig von zwei Grenzern entdeckt, die mit einem Trabant Kübel auf einer Kontrollfahrt unterwegs sind. Sie haben ihn in seiner VP-Uniform hinter einem Baum stehen sehen und zunächst für den zuständigen Abschnittsbevollmächtigten der Volkspolizei gehalten. Als die Grenzsoldaten zurücksetzen und Horst Körner sich entdeckt sieht, eröffnet er den Untersuchungsergebnissen der Staatssicherheit zufolge das Feuer auf das Armeefahrzeug. [4] Durch die Frontscheibe nimmt er den Fahrer, den Gefreiten Rolf Henniger, mit Dauerfeuer unter Beschuss. Dieser bricht, von mehreren Schüssen in Brust und Kopf getroffen, hinter dem Lenkrad zusammen. Währenddessen hat der Beifahrer das Fahrzeug verlassen und Horst Körner mit mehreren Salven aus seiner Maschinenpistole niedergestreckt. Er stirbt noch am Tatort. In einer seiner Uniformtaschen finden die Grenzer einen Briefumschlag, auf den er Abschiedsworte an seine Eltern geschrieben hat: „Ehe ich mich fassen lasse, werde ich sterben." [5] – Mit Rolf Henniger hat er ausgerechnet einen Grenzsoldaten mit in den Tod gerissen, der offenbar selbst Fluchtgedanken hegte. [6]

Am Tag darauf durchsucht die Staatssicherheit die Wohnung von Horst Körners Eltern. Dabei wird ihnen mitgeteilt, dass ihr Sohn an der Grenze bei einem Fluchtversuch erschossen worden sei, nachdem er selbst einen Grenzsoldaten getötet habe. [7] Der Leichnam von Horst Körner wird auf Anordnung der Staatssicherheit eingeäschert. Die Beisetzung findet im Kreise der Familie auf dem Friedhof in Greppin bei Bitterfeld statt.

Gegenüber der Öffentlichkeit halten die DDR-Behörden die Identität des Volkspolizisten geheim; in den SED-Medien ist lediglich von einem „bewaffneten Provokateur" und "Mörder" die Rede, Genaueres erfährt man nicht. [8] Der von ihm getötete Gefreite Rolf Henniger wird zum Helden erhoben und mit großem propagandistischem Aufwand in seiner thüringischen Heimatstadt Saalfeld beerdigt. [9] Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Schütz, spricht von zwei Opfern der Unmenschlichkeit, die deutlich machten, „dass nicht vergessen werden dürfe, wie widernatürlich Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl für Deutschland seien". [10]

Ein 1992 eingeleitetes Ermittlungsverfahren der Berliner Staatsanwaltschaft gegen den Todesschützen von Horst Körner wird Anfang 1994 eingestellt, da der Gebrauch der Schusswaffe durch Notwehr gerechtfertigt gewesen sei. [11]

Text: Martin Ahrends/Udo Baron/Hans-Hermann Hertle

[1] Vgl. hierzu und zum Folgenden: MfS/KD Potsdam/Abt. VII, Versuchter Grenzdurchbruch unter Anwendung der Schusswaffe mit Todesfolge, in: BStU, MfS, AS 34/70, Bl. 34-38, hier Bl. 34/35; vgl. auch: Information des MfS/Hauptabteilung IX/9, 17.11.1968, in: BStU, MfS, AS 34/70, Bl. 28-33, hier Bl. 29. [2] Abschrift des Abschiedsbriefes, in: BStU, MfS, AS 34/70, Bl. 37. [3] Information des MfS/HA IX/9, 17.11.1968, in: BStU, MfS, AS 34/70, Bl. 28-33, hier Bl. 30. [4] Schreiben des NVA-Stadtkommandanten an Erich Honecker, 16.11.1968, in: BArch, VA-07/8374, Bl. 60-64, hier Bl. 61. [5] Abschrift des Abschiedsbriefes in: BStU, MfS, AS 34/70, Bl. 37. [6] So die Aussage von Verwandten Rolf Hennigers gegenüber der Neuburger Kriminalpolizei, 16.1.1969 und 28.8.1969, in: StA Berlin, Az. 27/2 Js 131/91, Bd. 1, Bl. 26 und 44. [7] Vgl. Schreiben der Polizeistation Wolfen an die ZERV vom 12.11.1992, in: StA Berlin, Az. 27/2 Js 131/91, Bd. 1, Bl. 165-166. [8] Vgl. Neues Deutschland, 17.11.1968. [9] Vgl. Neues Deutschland, 22.11.1968. [10] Vgl. Berliner Morgenpost, 17.11.1968; Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.11.1968. [11] Vgl. Vermerk der Staatsanwaltschaft Berlin bei dem Kammergericht, 25.1.1994, in: StA Berlin, Az. 27/2 Js 131/91, Bd. 3, Bl. 114-117.
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