geboren 1971
erstickt während der Flucht mit den Eltern am 22. Januar 1973
am Grenzübergang Drewitz/Kontrollpunkt Dreilinden ("Checkpoint Bravo")
am Außenring zwischen Potsdam-Babelsberg und Berlin-Zehlendorf
Die Flucht gelingt, die Familie bleibt unentdeckt, nur noch 300 Meter Fahrt, dann werden die Kisten geöffnet. "Mein Kind!" ruft Ingrid H. sofort und hält den Helfern am westlichen Kontrollpunkt Dreilinden den reglosen kleinen Körper entgegen. Holger H. atmet nicht mehr, alle Wiederbelebungsversuche bleiben erfolglos.
Über das Leben und die Fluchtmotive von Ingrid und Klaus H. ist wenig bekannt. [1] Sie haben sich auf einer Jugendreise nach Moskau kennen gelernt. Als ihr Sohn geboren ist, beginnt ihr gemeinsames Erwachsenenleben und sie sind sich sicher, dass sie es nicht in der DDR zubringen wollen. Nach seinem ersten Fluchtversuch, den er mit 17 Jahren mit Freunden über die Ostsee unternahm, hat Klaus H. in der DDR nur sehr eingeschränkte berufliche Chancen. Er ist seither als „Republikflüchtling" gebrandmarkt. Ingrid H. quält vermutlich die DDR-typische politische Gängelung, die sie als junge Lehrerin erfährt. Für sich, aber auch für ihren Sohn unternehmen sie die Flucht: Er soll nicht aufwachsen in der Enge, in der sie Kind sein mussten – und unter der sie als junge Erwachsene leiden.
In einer Januarnacht hält der Lastwagen eines West-Berliner Bekannten auf einem Parkplatz der Transitautobahn. Das Ehepaar besteigt mit dem 15 Monate alten Sohn die Ladefläche und wird in geräumigen Kisten versteckt, die als Leergut gelten: Der 23-jährige Vater in einer, die 20-jährige Mutter und das Kind in einer anderen Kiste. Am Grenzübergang Drewitz hält der Wagen an. „Die Kontrolle in Drewitz dauerte länger als üblich", sagt der Fahrer des Lastwagens später zur West-Berliner Polizei. [2]
Die Nerven des Flüchtlingspaares sind dem Zerreißen nahe, als das Kind zu weinen beginnt. Vergeblich versucht die Mutter, ihren Sohn zu beruhigen und hält ihm in ihrer Panik den Mund zu. Der kleine Holger hat eine Mittelohrentzündung und eine Bronchitis, wahrscheinlich ist mit seinen Atemwegen auch die Nase vom Infekt befallen. Dass er nicht durch die Nase atmen kann, hat sich die Mutter nicht bewusst gemacht. Die Flucht gelingt, die Familie bleibt unentdeckt, nur noch 300 Meter Fahrt, dann werden die Kisten geöffnet. „Mein Kind!" ruft Ingrid H. sofort und hält den Helfern am westlichen Kontrollpunkt Dreilinden den reglosen kleinen Körper entgegen. Holger H. atmet nicht mehr, alle Wiederbelebungsversuche bleiben erfolglos. Der 15 Monate alte Holger H. sollte auf einem Friedhof in Berlin-Marienfelde beigesetzt werden. [3]
Text: Martin Ahrends/Udo Baron
In einer Januarnacht hält der Lastwagen eines West-Berliner Bekannten auf einem Parkplatz der Transitautobahn. Das Ehepaar besteigt mit dem 15 Monate alten Sohn die Ladefläche und wird in geräumigen Kisten versteckt, die als Leergut gelten: Der 23-jährige Vater in einer, die 20-jährige Mutter und das Kind in einer anderen Kiste. Am Grenzübergang Drewitz hält der Wagen an. „Die Kontrolle in Drewitz dauerte länger als üblich", sagt der Fahrer des Lastwagens später zur West-Berliner Polizei. [2]
Die Nerven des Flüchtlingspaares sind dem Zerreißen nahe, als das Kind zu weinen beginnt. Vergeblich versucht die Mutter, ihren Sohn zu beruhigen und hält ihm in ihrer Panik den Mund zu. Der kleine Holger hat eine Mittelohrentzündung und eine Bronchitis, wahrscheinlich ist mit seinen Atemwegen auch die Nase vom Infekt befallen. Dass er nicht durch die Nase atmen kann, hat sich die Mutter nicht bewusst gemacht. Die Flucht gelingt, die Familie bleibt unentdeckt, nur noch 300 Meter Fahrt, dann werden die Kisten geöffnet. „Mein Kind!" ruft Ingrid H. sofort und hält den Helfern am westlichen Kontrollpunkt Dreilinden den reglosen kleinen Körper entgegen. Holger H. atmet nicht mehr, alle Wiederbelebungsversuche bleiben erfolglos. Der 15 Monate alte Holger H. sollte auf einem Friedhof in Berlin-Marienfelde beigesetzt werden. [3]
Text: Martin Ahrends/Udo Baron
[1]
Vgl. zum Folgenden: „Tragisches Ende einer Flucht mit dem Lastwagen – Kind erstickte während der Kontrolle in den Armen seiner Mutter", Berliner Morgenpost, 24.1.1973; „15monatiges Kind erstickte bei Flucht der Eltern nach Berlin", Der Tagesspiegel, 24.1.1973; „Kind starb auf der Flucht in den Westen", Die Welt, 24.1.1973; „Bei der Flucht nach West-Berlin: Baby erstickte im Arm der Mutter", BZ, 24.1.1973; „Ich nehme die Flüchtlinge bei mir auf", BZ, 25.1.1973; „Wir würden das nie wieder tun", BZ, 30.1.1973.
[2]
Berliner Morgenpost, 24.1.1973.
[3]
Dies berichtete die B.Z. in ihrer Ausgabe vom 25.1.1973. Nach Angaben der Kirchhofverwaltung existiert die Grabstelle auf dem Kirchhof Marienfelde nicht (mehr).