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Bericht der West-Berliner Schutzpolizei über die Lage an der Sektoren- und Zonengrenze, Vorkommnisse auf S- und Reichsbahngelände und sonstige Ereignisse von politischer Bedeutung für den Monat September 1962

Bericht der West-Berliner Schutzpolizei über die Lage an der Sektoren- und Zonengrenze, Vorkommnisse auf S- und Reichsbahngelände und sonstige Ereignisse von politischer Bedeutung für den Monat September 1962

S 1 – 1/62

Berlin, den 5. Oktober 1962
App. 2921

B e r i c h t
über die Lage an der Sektoren- und Zonengrenze, Vorkommnisse auf S- und Reichsbahngelände und sonstige Ereignisse von politischer Bedeutung
für den Monat September 1962


A) Lage an der Sektoren- und Zonengrenze

I. Allgemeines

1. Im Mittelpunkt des Geschehens an der Sektoren- und Zonengrenze stand im September die von den alliierten Schutzmächten angeordnete Durchführung der Wachablösung für das sowjetische Ehrenmal, die vorübergehend umfangreiche polizeiliche Sicherungsmaßnahmen erforderlich machte.

2. Unvermindert haben Grepo von ihren Schußwaffen Gebrauch gemacht und in

8 Fällen auf Flüchtlinge und in
31 Fällen aus unbekannter Ursache geschossen.

Dabei wurde – soweit der Polizei bekannt –

1 Flüchtling getötet.

In 3 Fällen warfen Grepo insgesamt 34 Tränengaswurfkörper auf West-Berliner Gebiet.

II. Im einzelnen

1. Erschießung eines unbekannten Flüchtlings

Am 4.9.1962, gegen 14.15 Uhr, erkletterte eine ca. 45jährige männliche Person in N 4, Bernauerstr./Bergstr., die Mauer des Friedhofs der Sophien-Kirchengemeinde, lief auf dieser entlang und versuchte, West-Berliner Gebiet zu erreichen. Als sie sich in Höhe der ca. 5 m von der Sektorengrenze entfernten Sperrmauer befand, fielen zwei Schüsse. Der Flüchtling wurde getroffen und stürzte in den innerhalb des Friedhofs gezogenen Stacheldraht. Seine Mütze fiel vor die Sperrmauer und wurde sichergestellt.

Nachdem ihn Grepo hinter einen Grabstein gelegt hatten, erschienen um 14.27 Uhr ein Offizier und ein Grepo, die Armbinden des Roten Kreuzes trugen, und transportierten den offensichtlich toten Flüchtling in einer Zeltplane zu einem Sanitätswagen.

Der Einsatz der vorsorglich alarmierten Sanitätswagen des DRK und der Alliierten war nicht erforderlich.

2. Sowjetische Wachablösung

Ab 2.9.1962 setzten die Sowjets zur Wachablösung für das sowjetische Ehrenmal schwere Schützenpanzerwagen ein. Von den alliierten Schutzmächten ist daher den Sowjets die weitere Benutzung des Sektorenüberganges Friedrichstraße untersagt worden. Ihnen wurde mitgeteilt, daß sie zu diesem Zweck ab 4.9.1962 den kürzeren Weg über Sandkrugbrücke oder Brandenburger Tor zu benutzen hätten.

Die Sowjets kamen dieser Weisung nach und führten die Wachablösung über Sandkrugbrücke durch. Am 11.9.1962 wurden die Sowjets von den alliierten Schutzmächten aufgefordert, für die Wachablösung statt der Panzerfahrzeuge ab 15.9.1962 wieder Autobusse zu benutzen.

Auch diese Bedingung wurde angenommen. Bereits seit dem 14.9.1962 erfolgt die Wachablösung mit Autobussen.

3. DRK-Einsatz

Am 18.9.1962, gegen 05.45 Uhr, versuchte ein 57jähriger stark angetrunkener West-Berliner in N 65, Grüntaler Str., den SBS zu betreten. Dabei geriet er in die ca. 15 m im SBS befindlichen Stacheldrahtsperren und blieb dort liegen.

Das von der Polizei verständigte DRK barg gegen 06.30 Uhr den leicht Verletzten und lieferte ihn in das Rudolf-Virchow-Krankenhaus ein.

Die erstmals auf sowjetsektoralem Gebiet durchgeführte Hilfeleistung des DRK wurde durch Grepo nicht behindert.

4. Interzonen- und Sektorengrenzverkehr

a) Nach polizeilichen Unterlagen sind an der Sektoren- und Zonengrenze 55 und im Interzonenverkehr 25 Personen von den bewaffneten Organen des Sowjetzonenregimes festgenommen worden.

b) Polizeibeamte kontrollierten 2.271 CD- bzw. CC-Fahrzeuge, die in beiden Richtungen die Sektoren- oder Zonengrenze passierten.

c) Am 13.9.1962 begannen um 13.00 Uhr Zollbeamte an den Kontrollpunkten Dreilinden und Heerstraße mit der Registrierung der die Interzonenstraßen benutzenden Kfz.

d) Am 17.9.1962 berichtete ein Kraftfahrer der Polizei, daß am sowjetzonalen Kontrollpunkt Horst ein Schild mit dem Hinweis aufgestellt worden sei, auf der Bundesstraße 5 dürfe nur noch an folgenden Stellen gehalten werden:

Tankstellen Boitzenburg und Friesack,
Raststätten Ludwigslust und Quitzow.

5. Polizeiliche Maßnahmen

Angehörige der Bereitschaftspolizei errichteten am 4.9.1962 auf Anordnung der britischen Schutzmacht am Sektorengrenzübergang Sandkrugbrücke eine Balkensperre mit verschließbarem Durchlaß.

Die Sperre ist im allgemeinen offen und wird nur bei besonderen Anlässen geschlossen.

6. Sonstiges

a) Arbeiten an den Grenzsperren

Im September wurden wieder verstärkt Arbeiten an den Grenzsperren beobachtet.

Arbeitskommandos errichteten u.a. an mehreren Stellen der Zonengrenze von Klein-Machnow Panzersperren, begannen in Henningsdorf mit Abrißarbeiten an der Eisenbahnbrücke über den Hohenzollernkanal, rissen am Teltowkanal in der Nähe der Späthbrücke zahlreiche Siedlungshäuser ein und verstärkten besonders an der Sektorengrenze der Bezirke Tiergarten und Kreuzberg die Grenzsperren durch weiteren Stacheldraht.

Anzahl der an der Sektoren- und Zonengrenze festgestellten
baulichen Anlagen mit Schießscharten: = 170
Beobachtungstürme: = 117
Lautsprecher: = 218

b) Flüchtlinge

Im September flüchteten nach polizeilichen Feststellungen 119 Personen, davon 7 Angehörige der bewaffneten Organe des Sowjetzonenregimes (u.a. der Regiments-Kommandeur von Stahnsdorf), nach West-Berlin.

c) Kommunistische Propagandatätigkeit

aa) Lautsprecherpropaganda

Die kommunistische Lautsprecherpropaganda nahm im September wieder zu. U.a. wurden Gegenmaßnahmen angedroht, wenn das "Studio am Stacheldraht" weiterhin eingesetzt wird.

bb) Entfernung von SED-Kranzschleifen

Am 5.9.1962, gegen 17.10 Uhr, legten Mitglieder der SED-Kreisleitung Kreuzberg am Hause Riemannstr. 4 einen Kranz mit einer roten Schleife nieder, die die Aufschrift trug:

"Unserem Freund und antifaschistischen Widerstandskämpfer Hermann Wulf – SED-Kreisleitung Kreuzberg"

Gegen 17.50 Uhr wurde ein weiterer Kranz von unbekannten Personen in SO 36, vor dem Hause Görlitzer Str. 63, zum Gedenken an Kurt Gersing niedergelegt. Die Kranzschleife war mit "SED-Kreisleitung Kreuzberg" beschriftet.

In den Vormittagsstunden des 7.9.1962 legten unbekannte Personen am Küter-Denkmal im Volkspark Mariendorf zwei Kränze nieder. Die Kranzschleifen trugen die Aufschriften:

"Dem Kämpfer für Frieden und Sozialismus – SED-Kreisleitung Tempelhof" und "Dem antifaschistischem Kämpfer Friedrich Küter – VVN-Kreisverband Tempelhof".

In allen Fällen entfernten Schutzpolizeikräfte die Kranzschleifen wegen Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung.

[...]

Quelle: Polizeihistorische Sammlung des Polizeipräsidenten in Berlin
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