Material > Dokumente > 1961 > Oktober > Tätigkeitsbericht der West-Berliner Schutzpolizei für den Monat Oktober 1961

Tätigkeitsbericht der West-Berliner Schutzpolizei für den Monat Oktober 1961

Tätigkeitsbericht der West-Berliner Schutzpolizei für den Monat Oktober 1961

S 1-1/61
Berlin, den 7. November 1961
App. 2924

Vertraulich!
Verschlossen!

An den
Herrn Polizeipräsidenten in Berlin


Betr.: Tätigkeitsbericht des S für den Monat O k t o b e r 1961

I. Sicherheits- und Ordnungsdienst der Schutzpolizei

1. Zusammenfassung der Entwicklung an der Sektor- und Zonengrenze bzw. in West-Berlin

a) Die Grenzsperren im SBS und in der SBZ wurden durch Errichten zusätzlicher Sperrmauern und Stacheldrahtzäune sowie Ausheben von Gräben weiterhin verstärkt.

Seit dem 24.10.1961 wurden entlang der Zonengrenze zu den Bezirken Nk, Te, Kb, St, Sp und Wd Erdsprengungen zum Bau von Laufgräben der Vopo durchgeführt.

b) Bei Fluchtversuchen kam es zu folgenden schweren Zwischenfällen:

Am 4.10.1961, gegen 20.00 Uhr, versuchten 2 männl. Personen über die Dächer der Häuser Bernauer Str. 43 und 44 nach West-Berlin zu flüchten.

Der 22jähr. Bernd Lünser, O 112, Samariterstr. 6 wohnhaft gewesen, sprang nach einem Hand¬gemenge mit einem Vopo vom Dach auf die Bernauer Str., verfehlte jedoch das von der Feuer¬wehr aufgespannte Sprungtuch und verunglückte tödlich.

Die andere männl. Person wurde durch Vopo festgenommen.

Während dieser Vorgänge wurden von den auf dem Dach befindlichen Vopo-Angehörigen 10 bis 15 Karabinerschüsse abgegeben, die auf Gehweg und Fahrbahn der Bernauer Str., wo sich außer den Feuerwehr- und Polizeibeamten zahlreiche Schaulustige befanden, einschlugen. Da hierdurch eine unmittelbare Gefahr für Menschenleben bestand, gaben Polizeibeamte aus ihren Dienstpistolen 28 Schüsse auf die Vopo-Angehörigen ab. Es wurde beobachtet, daß 1 Vopo, offensichtlich verletzt, durch eine Dachluke in das Haus gezogen wurde. Die Art der Verletzung konnte nicht festgestellt werden.

Am 5.10.1961, gegen 23.40 Uhr, versuchten in SO 36 zwei männl. Personen in Höhe der Bevernstr. durch die Spree zu schwimmen und West-Berliner Gebiet zu erreichen. Der Versuch wurde von der Vopo entdeckt, die sofort nach Aufhellung des Gebietes durch Leuchtmunition das Feuer auf die Flüchtenden von der Oberbaumbrücke her eröffnete. Außerdem wurden die Personen von zwei herangekommenen Vopo-Booten beschossen.

Während ein Flüchtling nach Erreichen der Flußmitte, von einer MG-Garbe getroffen, unterging, ertrank der andere kurz vor der West-Berliner Uferböschung.

Das gesamte Flußbett der Spree gehört hier zum SBS.

Die vor dem West-Berliner Ufer ertrunkene Person wurde durch die West-Berliner Feuerwehr geborgen und in das Urban-Krankenhaus überführt. Der Tod erfolgte vermutlich durch Ertrinken, da Schuß- oder andere Verletzungen nicht festgestellt werden konnten. Eine Identifizierung war nicht möglich.

Am 12.10.1961, gegen 03.00 Uhr, betraten am S-Bhf. Wilhelmsruh 10 Vopo West-Berliner Gebiet, um das bewohnte Bahnwärterhaus Nr. 8 nach einem im Laufe der Nacht geflüchteten Vopo zu durchsuchen. Durch Hilferufe der Mieter alarmierte Schutzpolizeikräfte wiesen die Vopo energisch zurück, die sich nach anfänglicher Behauptung, daß das betreffende Gebiet zum SBS gehöre, auf ihren Ausgangspunkt zurückgezogen.

Am 13.10.1961, gegen 05.06 Uhr, versuchten 9 Personen mit einem Lkw an der Zonengrenze Machnower Str., Nähe Schützenhaus, den zweifachen Stacheldrahtzaun zu durchbrechen. Der Lkw blieb jedoch im ersten Stacheldrahtzaun stecken. Die Insassen erreichten mit geringfügigen Verletzungen (keine Schußverletzungen) zu Fuß West-Berliner Gebiet.

Die Vopo gab ca. 200 bis 250 Schüsse aus MP und Schnellfeuergewehren in Richtung West-Berlin ab. Soweit beobachtet werden konnte, wurde in die Baumkronen geschossen.

c) Am 22.10.1961, gegen 19.15 Uhr, wurde dem stellv. Chef der US-Mission, Mr. Lightner, und seiner Ehefrau die Einfahrt in den SBS am Grenzübergang Friedrichstr. durch Vopo verweigert, weil sie es ablehnten, sich auszuweisen.

Da sich diese Zwischenfälle auf Grund des Verhaltens der Vopo häuften, fuhren ab 26.10.1961 vorübergehend amerik. Truppeneinheiten mit Panzern in der Friedrichstr. am Grenzübergang auf und sicherten wiederholt Versuche amerik. Zivilpersonen, die zum Teil unter militärischer Begleitung unkontrolliert den Grenzübergang erzwangen. Durch diese amerik. Demonstrationen veranlaßt, fuhren erstmals am 27.10.1961sowjetische Panzer am Grenzübergang Friedrichstr. auf, so daß sich in der Nacht vom 27. zum 28.10.61 amerikanische und sowjetische Panzer gegenüberstanden.

Im Laufe des 28.10.1961 wurden die Panzer auf beiden Seiten zurückgezogen. Hierdurch ist ge¬genwärtig im Raum Friedrichstr. eine Beruhigung der Lage eingetreten.

Zur Unterstützung der Maßnahmen der amerik. Truppen gingen am 27. und 28.10.1961 brit. Truppeneinheiten am Hindenburgplatz, an der Sandkrugbrücke, in der Friedensallee und in der Straße des 17. Juni in Stellung.

Am 30.10.1961, gegen 05.00 Uhr, wurde auf Anweisung der brit. Schutzmacht der Hindenburgplatz im Verlaufe der Sektorgrenze auf West-Berliner Seite durch Einsatzkräfte der BerPol mit S-Rollen verdrahtet.

In den Vormittagsstunden des 24.10.1961 wurde auf dem Hertha-Sportplatz am Bhf. Gesundbrunnen gegenüber dem von Vopo besetzten Wasserturm von franz. Streitkräften ein MG-Stand auf dem sogenannten Zauberberg eingebaut. d) Seit dem 23.10.1961 sind die Grenzposten und –streifen der Schutz- und BerPol mit MP und Tränengaswurfkörpern ausgerüstet.

e) Der Interzonenverkehr verlief unbehindert.

[...]

7. Protestaktionen

Am 24.10.1961, gegen 18.50 Uhr, sammelten sich vor dem Bhf. Zoo (Hardenbergplatz) etwa 150 Personen – darunter viele Jugendliche und Heranwachsende – an, um wegen der ihrer Meinung nach unzulänglichen Maßnahmen der Westmächte gegen die östlichen Absperrungen zu protestieren.

Transparente mit der Aufschrift "Westmächte, tut Eure Pflicht, verhindert den Stacheldraht" wurden gezeigt. Gegen 20.55 Uhr hatte sich die Ansammlung aufgelöst. Etwa 30-40 Personen begaben sich in einzelnen Gruppen zur Kongreßhalle und verteilten dort an die Teilnehmer einer anläßlich des "Tages der Vereinten Nationen" durchgeführten Vortragsveranstaltung beim Verlassen der Kongreßhalle Handzettel.

Am 31.10.1961, gegen 18.30 Uhr, wurden auf dem Hardenbergplatz vor dem Bhf. Zoo 8 männl. und 2 weibl. Personen (Studenten) wegen Verteilens von Handzetteln und Tragens von Plakaten, deren Inhalt gegen die Schutzmächte wegen ihres Verhaltens nach dem 13.8.1961 gerichtet war, von Schutzpolizeikräften festgenommen und 500 Handzettel sowie 4 Plakate sichergestellt. Abt. I übernahm weitere Bearbeitung.

[...]

Quelle: Polizeihistorische Sammlung des Polizeipräsidenten in Berlin
Zum Seitenanfang