Ergebnisse der 12. Sitzung des Runden Tisches der DDR am 12. Februar 1990
Ergebnisse der 12. Sitzung des Runden Tisches der DDR am 12. Februar 1990Ergebnisse der 12. Siztzung des Rundtischgespräches am 12. Februar 1990
1. Positionen des Runden Tisches für die Verhandlungen am 13./14- Februar 1990 in Bonn
1. Zur Lage
- Die politisch Verantwortlichen beider deutscher Staaten müssen der gemeinsamen nationalen Verantwortung jetzt nachkommen. Sie müssen in der gegenwärtig komplizierten Lage, die durch rasche Destabilisierung gekennzeichnet ist, ein Höchstmaß an politischer Vernunft an den Tag legen und dürfen sich nicht von Emotionen leiten lassen. Die politische Entwicklung muß unter Kontrolle gehalten werden und für die Bürger der beiden deutschen Staaten durchschaubar bleiben.
- Der Runde Tisch erwartet, daß die BRD als ökonomisch und politisch stärkerer Partner des Einigungsprozesses jetzt alles unternimmt, um einer weiteren Destabilisierung der Lage in der DDR entgegenzuwirken und zu ihrer Beruhigung beiträgt. Es ist offensichtlich, daß manche Kräfte in der BRD gegenwärtig Kurs auf eine bewußte Verschärfung der Probleme in der DDR nehmen.
Das liegt unseres Erachtens auch nicht im Interesse der BRD. - Gegenwärtig geht es vor allem darum, daß die DDR-Bürger im Lande bleiben.
Der Runde Tisch erwartet deshalb, daß vom Treffen der beiden Regierungschefs klare Impulse für eine Verbesserung der Lebensbedingungen in der DDR ausgehen.
- Der Runde Tisch vertritt den Standpunkt, daß wir in der DDR in erster Linie unserer eigenen Verantwortung zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft nachkommen müssen. Das erfordert eine zügige und konsequente Realisierung der Wirtschaftsreform.
Sichtbare Ergebnisse im Interesse der Menschen können aber nur erreicht werden, wenn die BRD jetzt den bereits in Dresden besprochenen Solidarbeitrag leistet. Wir betrachten einen Beitrag in Höhe von 10 bis 15 Milliarden DM für angemessen, und dies sofort, unabhängig von allen weiteren Verhandlungen.
Der Runde Tisch spricht sich für die Schaffung einer gemeinsamen deutschen Kommission aus, die umgehend Vorschläge für die Verwendung dieser Mittel erarbeitet. - Im Ergebnis seiner bisherigen Arbeit besteht der Runde Tisch darauf, daß kurzfristig eine Expertenkommission aus beiden deutschen Staaten Möglichkeiten, Bedingungen und Auswirkungen einer Währungsunion oder eines Währungsverbundes prüft und danach offenlegt.
Die Regierung wird deshalb nicht legitimiert, jetzt schon eine Währungsunion oder einen Währungsverbund zu vereinbaren, weil jede überstürzte Regelung zum Schaden beider deutscher Staaten wäre. Bevor solche Vereinbarungen geschlossen werden, müssen alle Modalitäten sowie Vor- und Nachteile in einem breiten gesellschaftlichen Rahmen gründlich beraten werden. - Einer vorschnellen Preisgabe der Finanzhoheit der DDR stimmt der Runde Tisch nicht zu.
- Der Runde Tisch fordert, alle Maßnahmen zur Lösung der anstehenden Währungs- und Wirtschaftsfragen mit einer sozialen Absicherung der Bevölkerung der DDR zu verbinden. Dazu ist die sofortige Erarbeitung einer Sozialcharta erforderlich, die die sozialen Standards für die Bürger und -innen unseres Landes sichert. Sie soll die Grundlage für die Ergänzung eines Wirtschafts- und Währungsverbundes durch einen Sozialverbund bilden.
Der Runde Tisch spricht sich weiterhin für die schnelle Inkraftsetzung eines Gewerkschaftsgesetzes, die Schaffung rechtlicher Regelungen für Betriebsräte, ein Bodengesetz und ein Genosschenschaftsgesetz aus, daß insbesondere die Eigentums- und sozialen Rechte der Bauern sichert.
- Ausgehend von den in Dresden zwischen Ministerpräsident Modrow und Bundeskanzler Kohl geführten Verhandlungen fordert der Runde Tisch, allen weiteren politischen Entscheidungen ein Konzept des stufenweisen und vertraglich geregelten Zusammenwachsens der beiden deutschen Staaten zugrundezulegen.
- Der Runde Tisch tritt für die Schaffung eines Gemeinsamen Deutschen Rates zur Regelung des Einigungsprozesses ein. Das wäre ein wichtiger Schritt zur deutschen Einheit, der bereits jetzt getan werden könnte.
- Der Runde Tisch vertritt die Auffassung, daß der Prozeß der Herstellung der deutschen Einheit in den europäischen Annäherungsprozeß eingeordnet bleiben muß und sowohl die Interessen der Vier Mächte als auch die aller europäischen Völker berücksichtigt.
Diese Wechselwirkung ist zu bewahren. Der Prozeß der deutschen Vereinigung darf nicht durch eine künstliche Überhitzung vom europäischen Prozeß getrennt werden. Er muß die Schaffung einer europäischen Friedensordnung fördern. - Der Runde Tisch bittet die Regierungen beider deutscher Staaten, sich für die Einberufung einer Konferenz der Siegermächte des 2. Weltkrieges unter gleichberechtigter Teilnahme der DDR und der BRD zum frühstmöglichen Termin einzusetzen. Diese Konferenz müßte wesentliche Vorarbeiten für die nächste KSZE-Konferenz, insbesondere in bezug auf den deutschen Einigungsprozeß, leisten.
- Der Runde Tisch hält es für geboten, das im europäischen Entspannungsprozeß bisher Erreichte zu bewahren und unterstützt die Forderung nach einem zweiten KSZE-Gipfel spätestens im September dieses Jahres, um den europäischen Prozeß zu beschleunigen.
Ein entsprechender Vorschlag sollte von beiden deutschen Regierungen gemeinsam eingebracht werden. - Der Runde Tisch unterstützt die Pläne und Vorschläge für ein Auseinanderrücken der Blöcke, für eine entmilitarisierte Zone in Mitteleuropa, für eine Truppenreduzierung der nationalen Kontingente und für den Abzug ausländischer Streitkräfte von deutschem Boden.
Der Runde Tisch wendet sich gegen jeden Versuch der direkten oder indirekten Ausdehnung der NATO auf das Gebiet der heutigen DDR.
Er tritt dafür ein, daß die Regierungen und Parlamente beider deutscher Staaten nach der Volkskammerwahl vom 18. 3. 1990 eine gemeinsame Erklärung zur Anerkennung und Sicherheit der gegenwärtig bestehenden Grenzen zu den europäischen Nachbarstaaten abgeben. - Der Runde Tisch macht darauf aufmerksam, daß die DDR wichtige außenpolitische Erfahrungen einbringen kann, die für eine Brückenfunktion zwischen Ost und West von Bedeutung sein können. Das umfangreiche Potential ökonomischer, wissenschaftlicher, kultureller Beziehungen mit den osteuropäischen Ländern sollte genutzt werden.
Quelle: ZZF/Privatarchiv.