Material > Dokumente > 1989 > Dezember > Protokoll der 12. Tagung des SED-Zentralkomitees, 3. Dezember 1989 (Abschrift eines Tonmitschnitts)

Protokoll der 12. Tagung des SED-Zentralkomitees, 3. Dezember 1989 (Abschrift eines Tonmitschnitts)

Protokoll der 12. (außerordentlichen) Tagung des ZK der SED Sonntag, 3. Dezember 1989

Abschrift eines Tonmitschnitts

Protokoll der 12. (außerordentlichen) Tagung des ZK der SED
Sonntag, 3. Dezember 1989


Beginn: 13.10 Uhr; Ende: 14.50 Uhr

Hans Modrow (ohne Mikrophon):
... aber es ist eine Beratung der Ersten Bezirkssekretäre noch, die Genosse Krenz leitet, [1] und damit auch hier nicht - ich habe daran nicht teilgenommen, will aber das vielleicht mit einer Bemerkung ergänzen, damit man´s nicht draußen erst hört. Ich hatte einfach die Verpflichtung, mich mit einem Fakt auseinanderzusetzen, der - ich weiß auch noch nicht, mit welchen Ergebnis - für die Regierung der DDR Auswirkungen haben kann: Gestern nachmittag ist Alexander Schalck-Golodkowski aus Verhandlungen mit der BRD zurückgekommen, denn er ist seit Jahren der Verhändler gewesen, und ich hatte auch keine Möglichkeit, dort einfach willkürlich auszusteigen und jemand anders in dieser Phase dem Seiters gegenüberzusetzen, wohlwissend, daß eine gewisse Risikosituation besteht. Und erst in der Nacht hat er sich vom Ausland, man weiß nicht von wo, bei dem Rechtsanwalt Vogel gemeldet und mitgeteilt, daß er die Republik verlassen hat. [2]

Große Unruhe; Empörung
Zurufe: Ach du Scheiß'! - Das ist ja unglaublich!


Es dürfte jedem bewußt sein, daß damit ein Zustand ist, ich habe das vorhin schon gesagt; ich weiß nicht, ob das sozusagen Brandt-Guillaume und Modrow-Schalck wird. [3] Was da noch zu retten und zu verhindern ist, weiß ich nicht. Ich persönlich habe folgendes gemacht gehabt: Der Genosse Gerhard Beil hatte von mir bereits in der vergangenen Woche den Auftrag, daß er diesen ganzen Laden auflöst, daß es zu ihm geht. [4] Und es war zugleich auch gegenüber der Ministerin für Finanzen ausgesprochen, daß sie ein Gleiches einleitet, damit dieser ganze Laden endlich verschwinden kann.

Aber ich war auch in der Situation, daß ich ja nun was übernommen habe, wo Verhandlungen laufen und der Bundeskanzler kommt zu Verhandlungen, und ich stehe sozusagen mit Leuten, die da nicht eingeführt sind, die keine Ahnung haben. Also, mein Risiko ist es, dafür muß ich gerade stehen am Ende. Aber Tatsache ist, daß sich die Geschichte mittlerweile so abgespielt hat, und ich deshalb eine Pressemeldung nun noch von Seiten der Regierung vorbereitet habe, die jetzt, hoffe ich, bei ADN laufen wird, um die Haltung der Regierung zur ganzen Sache darzustellen. [5] Denn das ist im Moment meine Situation, und ich hoffe, daß ich´s wenigstens noch so halten kann, daß die Regierung für eine bestimmte Zeit ihre Arbeit machen kann.

Zuruf: Das darf doch nicht wahr sein!

Die anderen Genossen werden kommen, es dauert praktisch, glaube ich, etwas länger.

(Pause)

Vors. Egon Krenz [6]:
Liebe Genossinnen und Genossen! Wir sind in einer außergewöhnlichen Zeit zu dieser Tagung des Zentralkomitees zusammengekommen. Die Existenz der Partei steht auf dem Spiel. Die Deutsche Demokratische Republik ist in Gefahr, und unser internationales Ansehen ist geschädigt wie nie zuvor. Man kann die Dinge nicht dramatischer darlegen, als sie sind, denn größer, als wir es empfinden, kann die Dramatik dieser Tage gar nicht sein. Deshalb hat das amtierende Politbüro den Vorschlag unterbreitet, zu einer Sondersitzung zusammenzukommen, um zur Lage der Partei und zu einigen Möglichkeiten Stellung zu nehmen, die uns aus dieser Lage herausführen können. [7] Dabei möchte ich zu Beginn dieser Tagung appellieren an alle Mitglieder und Kandidaten des Zentralkomitees, daß wir uns in Sachlichkeit, Vernunft, ja, man kann sagen, in einer Allianz der Vernunft, zu den Fragen äußern; denn es geht jetzt nicht mehr um das Schicksal dieses oder jenes Genossen, es geht um das Schicksal unserer Partei, das uns allen am Herzen liegt.

Wir haben zu dieser Beratung die amtierenden Ersten Sekretäre der Bezirksleitungen unserer Partei eingeladen. Wenn es Eure Zustimmung findet, möchte ich darüber abstimmen lassen, ob Ihr damit einverstanden seid. [8] Wer also damit einverstanden ist, daß diese Genossen teilnehmen, bitte ich um das Handzeichen. - Danke schön. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltung? - Das ist nicht der Fall.

Ich muß noch das Zentralkomitee informieren, weil Genosse Joachim Willerding nicht hier vorne Platz genommen hat: Er hat in der Nacht von Freitag zu Sonnabend in meiner Wohnung einen Brief abgegeben, der mich erst später erreicht hat, weil ich ja, wie ihr wißt, von einer Sitzung des Politbüros unmittelbar dann nach Ribnitz-Damgarten gefahren bin, um an der Kreisdelegiertenkonferenz teilzunehmen, und von dort aus gestern abend zurückgekehrt bin, so daß ich von seinem Entschluß und seinen Beweggründen auch selber aus der Presse erfahren habe. [9] Ich muß sagen, ich beziehe diese Kritik auf mich persönlich. Ich war derjenige, der ihn vorgeschlagen hatte als Kandidat des Politbüros. Und ich muß sagen, was immer uns in diesen Tagen auch bewegt, es gab keine Notwendigkeit, anderthalb Tage vor einer Tagung des Zentralkomitees, -

Zuruf: Sehr wahr!

- wo man diese Fragen hätte besprechen können, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Und ich muß sagen, ich distanziere mich von diesem Verhalten entschieden. Wir haben Sorgen schon genug und wir brauchen nicht zusätzliche Sorgen. Er hat seine Beweggründe, die ich akzeptiere, was den Inhalt der Arbeit betrifft. Aber noch, Genossinnen und Genossen, haben wir ein Statut unserer Partei, und solange das nicht außer Kraft gesetzt ist, ist zumindest der einzelne verpflichtet, nach diesem Statut zu handeln. Soweit zu den Eröffnungsworten. Das Wort zum Verlesen eines Beschlusses hat Genosse Schabowski.

Günter Schabowski:
Liebe Genossinnen und Genossen! In Anbetracht der Lage, die der Generalsekretär eben in einigen wenigen Sätzen umrissen hat, unterbreitet das Politbüro dem Zentralkomitee den Vorschlag für einen Beschluß. Er umfaßt folgende Punkte:
  1. Hans Albrecht, Erich Honecker, Werner Krolikowski, Günter Kleiber, Erich Mielke, Gerhard Müller, Alexander Schalck-Golodkowski, Horst Sindermann, Willi Stoph, Harry Tisch und Dieter Müller werden aus dem Zentralkomitee ausgeschlossen. Auf Grund der Schwere ihrer Verstöße gegen das Statut der SED und in Anbetracht zahlreicher Forderungen und Anträge von Kreisdelegiertenkonferenzen werden sie zugleich aus der SED ausgeschlossen.
  2. Joachim Böhme, Johannes Chemnitzer, Günter Ehrensperger, Werner Müller und Herbert Ziegenhahn werden aus dem Zentralkomitee ausgeschlossen. Gegen die genannten Genossen werden Parteiverfahren eingeleitet bzw. weitergeführt.
  3. Das Zentralkomitee in seiner Gesamtheit erklärt seinen Rücktritt.
  4. Das Zentralkomitee erachtet es in Wahrnehmung der ihm verbliebenen Verantwortung als notwendig, dem einberufenen außerordentlichen Parteitag Rechenschaft abzulegen. Zur Erarbeitung des Rechenschaftsberichtes über die Ursachen für die Krise in der SED und in der Gesellschaft wird eine Kommission von Mitgliedern des Zentralkomitees gebildet. Es folgen Namen: Werner Eberlein, Wolfgang Herger, Werner Jarowinsky, Siegfried Lorenz, Wolfgang Rauchfuß, Günter Schabowski, Helmut Semmelmann und Günter Sieber. [10]
Vors. Egon Krenz:
Ich möchte einen zweiten Beschlußvorschlag unterbreiten: „Beschluß des Politbüros des Zentralkomitees der SED: Das Politbüro akzeptiert die Kritik von großen Teilen der Mitgliedschaft, daß die derzeitige Führung der Partei nicht imstande war, entsprechend dem Auftrag der 9. und 10. Tagung des Zentralkomitees das ganze Ausmaß und die Schwere der Verfehlungen von Mitgliedern des ehemaligen Politbüros aufzudecken und daraus die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen.

Diese Feststellung muß getroffen werden, obwohl Mitglieder des jetzigen Politbüros in der damaligen Führung der Partei wesentlich dafür gewirkt haben, die personellen und politischen Entscheidungen durchzusetzen, die den Erneuerungsprozeß in der Parteiführung eingeleitet haben. Um einer weiteren Gefährdung der Existenz der Partei entgegenzuwirken sowie die politische und organisatorische Vorbereitung des Parteitages zu gewährleisten, hält es das Politbüro für erforderlich, seinen Rücktritt zu erklären." [11] Ich bitte, bevor wir weiterdiskutieren, den Genossen Wötzel um´s Wort. [12]

Roland Wötzel:
Genossinnen und Genossen! Im Namen der Ersten Sekretäre der Bezirksleitungen, die das Mandat zum außerordentlichen Parteitag haben, schlage ich vor:
  1. die Bildung eines Arbeitsausschusses der Partei zur Vorbereitung des außerordentlichen Parteitages, bestehend aus Genossen, die konsequent für eine neue SED sind;
  2. die Bildung eines Untersuchungsausschusses, der konsequent Machtmißbrauch und Privilegien aufdeckt und die betroffenen Genossen parteimäßig zur Verantwortung zieht.
Werner Eberlein:
Ich bitte das Zentralkomitee, den Antrag zu bestätigen, daß die Zentrale Parteikontrollkommission ihren Rücktritt erklärt.

Vors. Egon Krenz:
Genossinnen und Genossen! Das ist eine Situation, die es in unserer Partei noch nie gegeben hat. Ich bekenne mich dazu, daß ich bis zuletzt versucht habe, die Dinge so zu wenden, daß ich mich nicht der Verantwortung entziehe. Aber die Aussprache mit den Ersten Bezirkssekretären hat erbracht, daß das Vertrauensverhältnis fehlt, um diese Arbeit an der Spitze der Partei weiterzuführen.

Ich halte es auch für richtig, daß beide Beschlüsse voneinander getrennt werden, was die Bestrafung und den Ausschluß ehemaliger Mitglieder des Politbüros und den Rücktritt des heutigen Politbüros betrifft; denn wir haben versucht, die Erneuerung des Sozialismus einzuleiten, was uns aufgrund der Tatsache nicht gelungen ist, daß wir das ganze Ausmaß der Verfehlungen, die es gegeben hat, auch nicht kannten.

Ich schlage vor, wir machen jetzt eine Pause, damit die Genossen sich konsultieren können, von einer halben Stunde und setzen dann die Beratung fort. Wir setzen also fort zehn Minuten vor 14.00 Uhr.

(Pause)

Vors. Egon Krenz:
Genossinnen und Genossen! Jetzt ist natürlich die Möglichkeit zur Diskussion gegeben, wobei ich natürlich spüre, daß jeder das Bedürfnis hätte; manche Genossen haben mir auch gesagt, sie möchten etwas zu ihrer Rechtfertigung sagen. Ich weiß nicht, ob das noch produktiv ist angesichts der Situation. Ich könnte auch viel zu meiner Rechtfertigung sagen.

Unruhe - Zuruf: Können wir abstimmen darüber?

Die Frage, über die wir uns noch einigen müßten, ist: Wenn wir hier auseinandergehen, dann muß es eine volle Unterstützung für die Regierung geben.

(Beifall)

Sie ist selbstverständlich durch manche Dinge der alten Führung auch belastet, aber sie wird die Kraft haben, da ´rauszufinden. Ich möchte auch in diesem Zusammenhang ein persönliches Wort noch sagen, was jetzt sehr stark diskutiert wird, im Zusammenhang mit den Kommunalwahlen. Ich meinerseits habe nicht die Absicht, weiterzugehen, als ich bisher öffentlich gegangen bin. Ich möchte das auch begründen. Selbstverständlich ist mir klar und bewußt, auch aus heutiger Sicht, daß das erzielte Wahlergebnis mit der tatsächlichen politischen Situation im Lande weder damals noch heute übereingestimmt hat. Es gab aber keine andere Möglichkeit, ein anderes Wahlergebnis bekanntzugeben, weil es so entsprechend den Protokollen, die auch in den Kreisen existierten, zusammengestellt worden ist. [13]

Würden wir jetzt, wie das einige vorschlagen, diese Frage neu aufrollen, Genossinnen und Genossen, ich habe die Furcht, dann räumen wir nicht nur Positionen, die wir noch besitzen, dann können wir ganz nach Hause gehen. Ich bitte, das nicht zu Protokoll zu nehmen. [14]

Die Genossinnen und Genossen Bürgermeister, die Ratsvorsitzenden und ihre Kollektive brauchen unsere Unterstützung. Und es ist natürlich ehrenhaft, zu sagen, man kann eine Wende nicht mit einer neuen Lüge beginnen, aber es ist, glaube ich, nicht zu vertreten, Kader zu belasten, die jetzt noch das Vertrauen haben, die dann auch belastet werden würden. Und deshalb, glaube ich, kann unser gemeinsames Anliegen nur darin bestehen, und deshalb appelliere ich an alle: Dort, wo es Beispiele gab und sie durch den Staatsanwalt untersucht werden, bitte schön, muß man sie untersuchen, muß man sie an Ort und Stelle aufklären, aber nicht zu einem Gesamtergebnis mehr zusammenführen, wenn es notwendig ist. Und im übrigen glaube ich, ist das Problem, daß es solche Wahlen in der DDR nie wieder geben wird und daß es notwendig ist, ein neues Wahlgesetz auszuarbeiten, produktiver, als Stimmungen nachzugeben, die ja nicht von uns eine Korrektur unserer Fehler wollen. Ich will mich dazu noch einmal ganz eindeutig bekennen, Genossinnen und Genossen: Jedes Element der Revolution hat auch ein Element der Konterrevolution in sich. Und wenn wir das nicht bedenken -

Bernhardt Quandt:
Das geht schon seit drei Jahren so!

Vors. Egon Krenz:
Bitte?

Bernhardt Quandt:
Das geht schon seit drei Jahren! Das seid ihr zu spät gewahr geworden!

Vors. Egon Krenz:
Das ist ja richtig. Ich will ja nur folgendes sagen: So wichtig es ist, daß wir immer wieder auf die Stimme hören, die auf der Straße artikuliert wird, und so wichtig es ist, genau die Lage in der Partei zu kennen, und so notwendig es ist, keine Nachtrabpolitik zu machen, ich bekenne mich zu all dem, so notwendig ist es aber auch, verantwortungsbewußt an alles zu gehen, was wir für die Zukunft bewahren müssen, und nur deshalb spreche ich davon. Es ist nicht erst seit drei Jahren so, Genosse Bernhardt, es ist leider seit vielen Jahren so, und daran tragen wir alle die Schuld, und deshalb muß auch das Zentralkomitee als geschlossenes Kollektiv zurücktreten.

Unruhe

Bitte, Genosse Chemnitzer.

Johannes Chemnitzer:
Verehrte Genossen! Vielleicht erscheine ich jetzt als egoistisch, aber ich kann, verehrte Genossen, zutiefst nicht begreifen, warum ich als Mitglied des Zentralkomitees außerhalb der Reihe ausgeschlossen werden soll, weil von Seiten des Arbeitssekretariats der Bezirksleitung gegen mich ein Parteiverfahren vorgeschlagen wurde. Wenn ich sagen darf, nach meiner Ablösung als Erster Bezirkssekretär wurde eine Untersuchung aufgrund einiger Vorwürfe im Bezirk Neubrandenburg gegen mich durchgeführt, und es wurde vorgestern in der Presse und auch im Rundfunk veröffentlicht, daß im Ergebnis der Untersuchung dieser Kommission festgestellt wurde, daß ich zwar bei einigen Vorwürfen, daß sie sozusagen Gegenstand sind, aber sie keinen strafrechtlichen Charakter tragen und ausschließlich moralischer Natur sind. Es sind drei Vorwürfe: Erstens, daß ich mir erlaubt habe, vor zehn Jahren eine Waldarbeiterkate auszubauen auf völlig eigener finanzieller Basis, die etwas über die 40 Quadratmeter hinaus größer geworden ist; daß ich zweitens einen Gebrauchtwagen vom Zentralkomitee gekauft habe, und drittens, daß die Übertreibungen in der Jagdgesellschaft stattfanden, in der ich selbst Mitglied war, in einer ordentlichen Jagdgesellschaft, nicht in einem Staatsjagdgebiet, und daß mir bestätigt wurde, daß damit keine Tatbestände vorhanden sind, um mich in eine Reihe zu stellen mit den von der Parteiführung verursachten Dingen.

Das ist veröffentlicht. Es ist auch völlig, sehr, sehr überraschend gekommen, daß da gegen mich ein Parteiverfahren eingeleitet werden soll. Ich bitte Euch, Genossen, daß das objektiv beurteilt wird. Für mich wäre der Ausschluß aus dem ZK und die daraus folgenden sicheren Konsequenzen der politische Tod. Ich bitte, das noch mal zu prüfen.

Vors. Egon Krenz:
Genosse Hahn.

Erich Hahn:
Genossen! Ich bin auch dafür, so schnell wie möglich abzustimmen. Ich bin auch gegen eine große Diskussion heute. Ich bin für die vorgeschlagenen Beschlüsse, die vorgetragen wurden, aber ich kann nicht umhin, eine große Sorge auszusprechen. Die Sorge besteht in der Annahme des sehr kurz und knapp von Genossen Werner Eberlein vorgeschlagenen oder vollzogenen Rücktritts der Zentralen Parteikontrollkommission.

Zurufe

Ich gehe davon aus, liebe Genossen, daß - ich muß noch mal, Egon, auf die Stimmung in der Partei zu sprechen kommen. Ich bin auch der Meinung, daß man nicht allem nachgeben kann, das ist ja richtig, sofern man überhaupt noch die Wahl hat, etwas nachzugeben oder nicht. Aber ich bin der Meinung: Die tiefste Krise unserer Partei gegenwärtig ist in der Moral angesiedelt, in der Moral eindeutig. Der Vertrauensverlust gegenüber der Führung bei breiten Teilen der Mitglieder unserer Partei stützt sich in erster Linie auf diese moralischen Fragen. Die Erwartungen vieler Genossen an den Bericht der Zentralen Parteikontrollkommission heute sind sehr groß. Wenn wir so verfahren in dieser einen Frage, ich sage noch einmal, mit allen anderen Beschlüssen bin ich völlig einverstanden, wenn wir in dieser einen Frage so wie vorgeschlagen verfahren, sehe ich die große Gefahr, daß gesagt wird, daß artikuliert wird: Die ZPKK hat gearbeitet, jetzt tritt sie zurück und übergibt alles wieder an einen neuen Ausschuß. Darin sehe ich, Genossen, eine große Sorge, die in diesen Tagen noch einmal zu einem Aufwallen und zu einer nochmaligen Vertiefung der Vertrauenskrise und weiteren Mitgliederverlusten führen kann.

Ich habe mit Werner Eberlein in der Pause gesprochen. Er sagt, er kann nicht einen Bericht der ZPKK geben. Ich kann das nicht beurteilen.

Vors. Egon Krenz:
Heute? Oder wann?

Erich Hahn:
Heute, ja.

Zuruf: Das steht doch in der Tagesordnung. Das steht doch in der Zeitung!

Das kann ich nicht beurteilen, ob das möglich ist oder nicht - ich wäre auch mit einem Zwischenbericht einverstanden.

Beifall

Mir geht es nicht um sensationelle Einzelheiten, aber mir geht es um ein viel klareres Wort und Bekenntnis dieser unserer Arbeit seit der letzten Tagung des Zentralkomitees.

Oder: Ich würde vorschlagen, deutlicher zu machen, daß die von Günter Schabowski vorgeschlagenen Beschlüsse Nr. 1 und 2, die von der Parteiführung aus der Arbeit der Zentralen Parteikontrollkommission gezogenen Konsequenzen darstellen. Dann würden wir uns offenlassen, -

Wachsende Unruhe.

Darf ich bitte noch mit einer Aussage? Dann würden wir erstens sagen, sie hat gearbeitet, die ZPKK, sie ist zu diesem Resultat gekommen, und das ist ein Resultat, mit dem wir uns identifizieren und weitere Konsequenzen wären dann jederzeit zu ziehen. Ich sage noch einmal, meine Vorschläge mögen nicht durchdacht sein. Sie gehen von der großen Sorge aus, daß wir in diesem Punkt Schaden anrichten, wenn wir nicht einen Schritt weitergehen.

Beifall

Vors. Egon Krenz:
Genosse Arndt.

Otto Arndt:
Ich möchte das unterstützen, was du gesagt hast. Wenn ich an die letzte Volkskammersitzung denke, [15] ich habe mich so geschämt, ehrlich so geschämt, daß der Toeplitz dort auftritt und unsere Partei, wie man so sagt, zur Katze macht, anstatt daß wir vorher, vorher in die Offensive gehen und uns die Zentrale Parteikontrollkommission informiert, was los ist, und wir nicht - Genosse Herger! [16] - dann so ein Pamphlet vorlesen und sagen, wir sind dafür, daß das alles so ist, anstatt zu sagen: Wir haben bereits das und das untersucht, und haben die und die Schlußfolgerungen gezogen.

Zuruf: Sehr richtig!

Der Toeplitz macht dort unsere Partei zur Minna und selbst kein Wort von Götting, kein Wort zu –

Zuruf: So ist es. - Beifall. -
Zuruf: Man darf den Toeplitz nicht verurteilen für das, was er gesagt hat. Er hat das alles sehr sachlich und sehr sauber dargestellt. -
Zuruf: Das will er ja auch nicht! -
Weitere, unverständliche Zurufe. - Klingel des Vorsitzenden.

Ich spreche ja nicht gegen den Inhalt des Berichtes. Ich spreche gegen die Tatsache, daß er das machen muß in der Volkskammer, und wir nicht vorher im Zentralkomitee Bescheid wußten.

Zuruf: Sehr richtig! - Beifall.

NN:
Genossinnen und Genossen! Ich bin dafür, die Diskussion nicht ausufern zu lassen. Wir haben vor der Partei, denke ich, die Pflicht, die Beschlüsse zum Rücktritt des Zentralkomitees und des Politbüros zu akzeptieren. Das ist das, was wir für die Partei machen können. Aber was die Kontrollkommission betrifft, sie ist nicht in der Kritik, habe ich nirgendwo gehört. Das Zentralkomitee und das Politbüro.

Zuruf: Richtig! - Zuruf: Das stimmt nicht!

Aber wir nicht. Und ich würde das unterstützen, die Arbeit fortzusetzen mit dieser Parteikontrollkommission.

Unruhe

Vors. Egon Krenz:
Genosse Quandt, bitte schön!

Bernhard Quandt:
(Weinend) Liebe Genossen! Mir fällt es sehr schwer, hier und heute vor dem Zentralkomitee aufzutreten, wo gesagt worden ist, daß unsere Partei, unsere ruhmreiche Partei, in Gefahr ist, aufzulösen. Das fällt mir sehr schwer zu begreifen.

Ich bin mit - ich will keine Biographie erzählen. Aber ich bin mit 16 Jahren Mitglied des Metallarbeiterverbandes geworden, Mitglied der Sozialistischen Jugend, ein Jahr Mitglied der Sozialdemokratischen Partei und ´22 als Mitglied in die Kommunistische Partei Deutschlands in Hamburg eingetreten. Und seit dieser Zeit ehrlich gekämpft, immer als Einzelkämpfer in Mecklenburg, manches mal, wenn ich an die Fürstenabfindung denke, in weiten Kreisen einzeln gegen die ganze Bande von Konterrevolutionären aufgetreten. Und jetzt soll es mit der Partei zu Ende sein? Das darf nicht sein, Genossen! Das darf nicht sein! Das Zentralkomitee muß so stark sein, daß aus ihrer Mitte ein neues Politbüro entsteht, das mit der Verbrecherbande des alten Politbüros, entschuldigt, Genossen, nichts zu tun hat!

Ich bin dafür, Genosse Erich Honecker und Genosse Egon Krenz, wir haben im Staatsrat die Todesstrafe aufgehoben [17], ich bin dafür, daß wir sie wieder einführen und daß wir die alle standrechtlich erschießen, die unsere Partei in eine solche Schmach gebracht haben, daß die ganze Welt vor einem großen, einem solchen Skandal steht, den sie noch niemals gesehen hat. Entschuldigt, ich bin sehr aufgeregt. Ich sehe vor mir, liebe Genossen, 30.000 Menschen, die sind standrechtlich vom Volksgerichtshof, vom Blutgericht Freißler, verurteilt worden, und 30.000 Menschen sind aufrechten Ganges unter´s Fallbeil gegangen, und wir stehen als Zentralkomitee einer solchen Verbrecherbande als Gefolgschaft hintereinander. Das will mir nicht in den Kopf. Darum bin ich gestern nachmittag, nachdem ich erwacht bin, in Weinkrämpfe verfallen. Das ist nicht möglich! Ich bin ehrlich. Ich habe eine weißes Hemd in jedem Fall an. Nirgends habe ich mir etwas angeeignet. Immer habe ich für die Partei, für die Ziele der Befreiung der Arbeiterklasse gekämpft. Und alle werden sehen: Das werde ich in Zukunft auch tun, und ich denke, daß es schon soweit ist.

Mir gefällt einiges nicht. Da gibt es einige Historiker, die 1960 oder 1970 geboren sind, die fangen jetzt sogar an, die machen sich sogar an Ernst Thälmann heran. Ich habe die Geschichte miterlebt, wie er gegen Ruth Fischer, gegen Scholem, gegen Heinz Neumann, gegen Ivan Katz, vorübergehend das Parteibüro in Halle besetzt hatte, gekämpft hat. [18] Er hat sich ein Arbeiterzentralkomitee angeeignet, und das jetzt Historiker kommen und gehen bis daran, anstatt vorwärts zu gehen, der Partei neue Wege zu weisen, wie man ehrlich weiterkämpft, fangen sie an, solche Geschichten aufzurühren, bis zum Allerheiligsten. Thälmann, der elfeinhalb Jahre in Einzelhaft gesessen hat und dann meuchlings ermordet wurde.

Ich kann das nicht verstehen, daß es sogar in unserer Presse erscheint. Aber die Medien sind ja so frei; jeder Redakteur kann ja schreiben, was er will.

Zuruf: Sehr richtig!

Ich möchte so fragen, liebe Genossen! Ich habe gestaunt in der Volkskammer, ich habe nicht gewagt, weil ich auf dem Sitz des Staatsrates sitze, sonst hätte ich ja wie der andere von den Medien von den Goldklumpen gesprochen hat, die in Genf in der Schweiz sein sollen, vom Platin und so weiter. [19] Ich hätte ihn gefragt: Ist das ein Gerücht, oder wissen Sie etwas Bestimmtes? Bestimmt verbreitet er Gerüchte mit bewußt! Und das sind die Konterrevolutionäre, die nicht gegen einzelne Führer, sondern die gegen die Partei der Arbeiterklasse angehen, die den Bauern- und Arbeiterstaat zerschlagen wollen. Und dagegen muß man sich wehren.

Ich bin, liebe Genossen, - habe zumindestens gedacht, wenn das Politbüro zurücktritt in seiner Gesamtheit, ich sehe auch keinen anderen Ausweg; ich habe neulich ja Werner Jarowinsky schon entgegengerufen: Du machst es dir zu leicht, du bist doch jahrelang dort gewesen. Du mußt doch das gewußt haben. Warum erzählst du uns das jetzt? Warum nicht auf dem 7., 8. und 9. Plenum? Dann wäre das anders gekommen! Dann hätten wir das Politbüro damals abgelöst. Dann wäre das Zentralkomitee sauber dagestanden. Jetzt sind wir alle mit beschmutzt. Aber dagegen wehre ich mich! Ich bin nicht beschmutzt! Ich habe mit den Verbrechern nichts gemein!

Ich bin zumindestens, liebe Genossen, bin ich noch der Meinung, daß so viel Intelligenz in unserem Zentralkomitee sitzt, die innerhalb zwei Stunden einen Aufruf an die Arbeiter und Bauern und an die Intelligenz unseres Landes verfaßt, vom letzten Zentralkomitee aus, und sich reinwäscht in allen Fragen und neu vor´s Volk hintritt und das Volk und unsere Genossen mobilisiert, die jetzt machtlos sind.

Einen Fall möchte ich erzählen, wie weit das ist; wir laufen ja der Anarchie entgegen. Ich bin, weil die Volkskammersitzung sehr lange gedauert hat, in Berlin geblieben und habe hier geschlafen. Währenddessen daß ich um halb zehn zu Bett gehe, ruft meine Schwiegermutter an. Meine Schwiegermutter ruft an: Den Chefarzt des Schweriner Bezirkskrankenhauses, den haben sie mehrmals aufgefordert, er soll sein Parteibuch hinlegen. Und er hat gesagt: Ich bin 23 Jahre Mitglied der Partei, ich bleibe es weiter. Und am Donnerstag abend hat man ihm sämtliche Fensterscheiben eingeworfen, und niemand hat sich um ihn gekümmert. Ich habe dann, - wie ich zurückgekommen bin, bin ich sofort zu ihm hingefahren, bin zum Kreispolizeiamt gefahren und habe die Kriminalpolizei mobilisiert, daß sie das in die Hände nimmt. Soweit geht´s, liebe Genossen. Heute hat man dem, morgen wirft man mir die Hände.

Und dann kriege ich einen telefonischen Anruf neben all den Dingen, ob ich zu Hause bin. - Jawohl, ich bin von Berlin zurück. - Ja, es kommt ein Genosse zu Dir, der hat einen besonderen Auftrag. - Und der Genosse, das ist ein junger Genosse, ich weiß gar nicht, wer das ist. Der sagt: Genosse Quandt, ich soll die persönliche Waffe, die Sie haben, von Ihnen abholen. [20] - Und ich habe ihm gesagt: Bestellen Sie dem Genossen Schwanitz einen schönen Gruß von mir, die persönliche Waffe kriegen sie von mir im Zentralkomitee, die persönliche Waffe, die ich bisher zur Verteidigung der Revolution benutzt habe, kriegt er von mir im Zentralkomitee persönlich ausgehändigt. Danke schön.

Vors. Egon Krenz:
(Betreten) Genosse Achim.

Hans-Joachim Böhme:
Liebe Genossen, es fällt mir nach dieser Rede vom Bernhard Quandt besonders schwer, hier Bemerkungen zu machen. Ich stimme unserem Generalsekretär völlig zu, wenn er sagt: Es geht in diesen Stunden nicht um das Schicksal des einzelnen, sondern um das Schicksal der Partei. Ich sehe das nicht anders, und ich will hier auch keine Entschuldigungsrede halten oder in irgendeiner Weise zu meiner Verantwortung sprechen, ich habe das bereits auf der 10. Tagung des Zentralkomitees getan. Ich bekenne mich zu meiner vollen politischen Verantwortung als Mitglied des alten Politbüros. Aber, liebe Genossen, ich bekenne mich nicht zu irgendwelchen kriminellen Delikten, mit denen ich nichts zu tun habe. Und darum bin ich völlig überrascht, wenn heute hier im zweiten Punkt vorgeschlagen wird, mich aus dem Zentralkomitee auszuschließen und ein Parteiverfahren gegen mich einzuleiten, ohne das bis zur Stunde mir irgend jemand Vorwürfe gemacht hat. [21]

Zuruf von Bernhardt Quandt: Das ist die Strafe! Die Strafe ruft!

Ich wurde darüber informiert, daß diese Forderung vom 1. Sekretär der Bezirksleitung Halle stamme. Ich habe mit ihm in der Pause gesprochen. Er hat mir sagen müssen, daß er keine neuen Vorgänge in irgendeiner Weise kennt. Wir hatten am Mittwoch Bezirksleitungssitzung in Halle. Dort sind mir keinerlei Vorwürfe gemacht worden, und heute soll nun dieser Beschluß angenommen werden.

Liebe Genossen, es gibt natürlich auch noch eine persönliche Ehre, die ein Kommunist hat, und die kann ich mir nicht mit einem solchen Beschluß beflecken lassen. Selbstverständlich bin ich für den kollektiven Rücktritt, da fühle ich mich einbezogen, aber gegen mich persönlich gibt es zur Stunde keine Vorwürfe irgendwelcher Art. Ich habe den Generalstaatsanwalt gefragt. Ihm ist auch nichts bekannt in der Hinsicht. Wieso soll ich also heute hier zu einem Kriminellen gestempelt werden? Das verstehe ich nicht, liebe Genossen.

Zuruf: Ich kenne den Genossen Achim Böhme seit vielen, vielen Jahren. Es hat mich auch verwundert, ich begreife so etwas nicht. Ich weiß nicht, ich kenne wirklich sein lauteres Leben. Und was das moralische Versagen betrifft, da sind wir doch alle betroffen. Dann sollten wir alle ein Verfahren an den Hals bekommen! Aber warum ausgerechnet zwei, drei Leute?

Vors. Egon Krenz:
Ja, bitte schön.

Roland Claus:
Genossen, ich will dazu etwas sagen. Es ist richtig, daß dieser Vorschlag nicht besprochen war, aber er hat sich erforderlich gemacht. Ich bin bisher davon ausgegangen, daß die Untersuchungen zur Verantwortung von Politbüromitgliedern dem jetzigen Politbüro obliegen. Ich kann hier auch sagen, daß es keine strafrechtlich relevanten Dinge gibt, die hier eine Rolle spielen. Aber ich wurde heute Mittag, als das Politbüro den Vorschlag zu diesen Veränderungen hier machte, damit konfrontiert, daß Achim Böhme in dieser Liste überhaupt nicht aufgerufen war. Und ich muß dabei sagen, da ist etwas nicht bedacht worden, nämlich die Lage in der Bezirksorganisation, wo es die massive Forderung vor allem aus den Reihen unserer Partei gibt, zur Bestrafung innerhalb unserer Partei zur Person des Genossen Achim Böhme. Und ich muß deshalb sagen, ich erachte einen solchen Schritt eigentlich mehr als einen Schutz der Person und habe diesen Vorschlag gemacht. Ich bedaure, daß ich in die Lage gekommen bin, das nicht besprechen zu können. Das hängt mit der Dramatik des heutigen Tages zusammen.

Große Unruhe im Saal. - Unverständliche Zurufe. - Zuruf von Bernhardt Quandt: Die Strafe ruft ... !

Vors. Egon Krenz:
Genossen, ich bitte wirklich die persönlichen Dinge zurückzustellen.

Empörter Zuruf: Es geht hier nicht um persönliche Dinge, es geht um die Partei!

Moment, laß´ mich mal aussprechen! Der gleiche Erste Sekretär aus Halle hat auch öffentlich verkündet, bevor er mir einen Brief geschrieben hat, daß er mir empfiehlt, nicht wieder zu kandidieren, hat er das öffentlich über die Medien bekanntgegeben. [22] Es ist aus der BRD öffentlich von Genossen bekundet worden, daß man zurücktreten muß. Hier gibt es unsaubere Dinge, und die teile ich nicht. Aber ich denke, es gibt jetzt wichtigere Dinge. Deshalb habe ich mich dazu nicht geäußert. Ich hätte eine ganze Liste von Fragen, wozu man sich äußern könnte! Aber es geht jetzt darum, daß wir den letzten Rest, den wir noch tun können für diese Partei, daß wir das tun. Und wenn wir anfangen, uns hier im ZK zu zerfleischen, Genossen, wie soll das in der Grundorganisation, wie soll das in den Kreisen und Bezirken ausgehen? Das ist ja das Schlimme, daß man sich zerfleischt und nicht zum gemeinsamen Handeln findet.

Zuruf: Jawohl!

Bitte schön.

Herbert Richter:
Ich hatte am Freitag die Delegiertenkonferenz in unserem Betrieb. Es war eine sehr heftige Delegiertenkonferenz, in der große Diskussionen waren, die von der selben Sorge getragen waren wie hier. Aber am Ende stand ein Punkt: Es ist noch nicht alles verloren. Wir sind noch da, um zu kämpfen. Ich muß deshalb um eins bitten. Ich glaube, daß es mit großer Verantwortung richtig ist, vorzuschlagen, daß wir uns prinzipiell abgrenzen - aber prinzipiell - zu denen, die verbrecherische Handlungen in unserer Partei begangen haben. Ich würde dem ersten Punkt des heutigen Vorschlags voll zustimmen, mit aller Konsequenz.

Genossen, ich bin zweitens dafür, daß wir in Vorbereitung auf den Parteitag auch sagen müssen, daß dieses Zentralkomitee nichts mehr wesentlich verändern kann in der Vorbereitung. Ich bin für den Rücktritt. Drittens: Ich bin dafür, daß die Parteikontrollkommission so lange weiterarbeitet,

Zuruf: Jawohl!

- so lange es gegen einen Genossen Vorwürfe gibt, bis auf dem Parteitag etwas Neues entschieden ist. Viertens, Genossen: Ich bin für das Vorbereitungskomitee für den Parteitag und möchte aber erklären, daß mit ehrlichem Gewissen jeder Genosse, der in dieses Vorbereitungskomitee geht, auch sagen muß, daß er keine moralischen Gewissenskonflikte hat. Wir brauchen ihn als Kommunisten. Wenn einer zwanzig Jahre irgendwo gearbeitet hat, findet der Klassengegner einen Fehler. Suchen wir Genossen, die dieses Vorbereitungskomitee echt leiten können. Wir müssen nach vorn gehen. Darauf warten die verbliebenen achtzig Prozent der Kommunisten.

Und letztens, Genossen,: Ich bin dafür, alles zu tun, unsere Regierung zu unterstützen. Genosse Modrow hat in den letzten Wochen echte Schritte gemacht, mit denen ein Großteil unserer Menschen mitgeht. [23] Ich bin dafür, das voll zu tun. Wir brauchen nicht jeden Tag einen neuen Skandal aus der Partei. Wir brauchen Schritte, wie sie Genosse Modrow eingeleitet hat, die dem Volke zeigen, wo es sich hinentwickelt. Dafür bin ich für eine volle Unterstützung. Genossen, wir können hier lange diskutieren. Ich bin dafür, wir sollten uns zu den ersten Beschlüssen eindeutig erklären.

Ich habe die Bitte an Genossen Eberlein, zu überlegen, ob er die Untersuchungen nicht zu Ende führt, damit man nicht Einzelfragen hier ausdiskutiert. Das muß die Parteikontrollkommission machen! Und so vorzugehen!

Beifall

Vors. Egon Krenz:
Genosse Beil!

Gerhard Beil:
Ich möchte mal vorgehen ...

Vors. Egon Krenz:
... ja ...

Erich Postler:
... zur Geschäftsordnung, Genosse Krenz!

Vors. Egon Krenz:
Ja.

Erich Postler:
Ich muß hier informieren, es gibt Meldungen, die Lage ist ernst. Wir müssen uns entscheiden, wir dürfen nicht allzuviel Zeit verlieren. Die Berliner sammeln sich zur Demonstration, sie marschieren auf das Haus zu. [24] Es gibt keine Entscheidungen von uns. Wenn wir lange diskutieren, können wir in eine ganz schwierige Lage kommen. Ich bin ja dafür, daß hier noch Genossen ihre Meinung sagen, aber wir müssen zu Beschlüssen kommen.

Zuruf: Jawohl. – Zuruf: Sehr richtig!

Vors. Egon Krenz:
Jawohl. Also als letzter Redner der Genosse Beil, ja, und dann kommen wir zur Abstimmung. Ich bräuchte dann bloß noch mal die exakte Formulierung, weil da ja noch die Frage der Parteikontrollkommission aufgenommen werden sollte. Günter, sei mal so nett, versuch´ das mal zu formulieren. Und dann brauche ich, - müßten wir den Beschluß der Initiativgruppe haben, ja.

Gerhard Beil:
Ich möchte es ganz kurz machen. Ich möchte das, was Genosse Richter hier im einzelnen gesagt hat, vollständig unterstützen. Ich möchte einen zweiten Punkt hinzufügen. Genossen, ob wir wollen oder nicht, wir befinden uns bereits im Wahlkampf. Andere haben uns dazu gezwungen. Wenn wir die Volkskammersitzung vom vergangenen Freitag sehen - ich habe die gleiche Meinung zum Bericht des Herrn Toeplitz, ich halte ihn für einen ausgewogenen Bericht - , dann muß ich sagen, daß die Vorbereitung unserer Fraktion auf diese Volkskammersitzung, wo keine Fragen von unserer Fraktion an andere gestellt wurden, ich muß euch sagen, einer der schlimmsten Fehler und Situationen war, die wir erlebt haben. Wenn wir so in Wahlkämpfe, wenn wir so in politische Auseinandersetzungen gehen, ohne Vorbereitung, ob wir im Zentralkomitee zusammensitzen oder sonst als Genossen, liebe Genossen, dann werden wir auseinanderdividiert! Und das ist eine, - für uns die komplizierteste Sache. Das ist die erste. Die zweite Sache: Man zieht gegen uns die Handschuhe aus, und man zielt nicht nur auf´s Herz, sondern unterhalb der Gürtellinie. Liebe Genossen! Ich bin gegen einen - entschuldigt ein offenes Wort - schweinisch geführten Wahlkampf. Aber wer uns zwingt zu Dingen, dann sollten wir auch zumindestens denjenigen sagen, daß wir in der Lage sind, auch etwas zu sagen!

Starker Beifall.

Und da gibt es genug Stoff! Und wenn das nicht bekannt ist, dann möchte ich diejenigen, die das wissen, bitten, das bekanntzumachen, damit wir auch diesen Kampf führen können.

Beifall

Vors. Egon Krenz:
So, Genossinnen und Genossen, das Wort hat Genosse Schabowski zum Verlesen des Beschlusses.

Günter Schabowski:
Also der Vorschlag oder der Beschluß könnte jetzt folgendermaßen aussehen: Auf Vorschlag des Politbüros und im Ergebnis der bisherigen Untersuchungen der Zentralen Parteikontrollkommission beschließt das Zentralkomitee: Hans Albrecht, Erich Honecker, Werner Krolikowski, -

Zuruf: Langsamer!

Gut, langsamer. Ich wiederhole noch mal: Hans Albrecht, Erich Honecker, Werner Krolikowski, Günter Kleiber, Erich Mielke, Gerhard Müller, Alexander Schalck-Golodkowski, Horst Sindermann, Willi Stoph, Harry Tisch, Herbert Ziegenhahn und Dieter Müller werden aus dem Zentralkomitee ausgeschlossen. Auf Grund der Schwere ihrer Verstöße gegen das Statut der SED und in Anbetracht zahlreicher Forderungen und Anträge von Kreisdelegiertenkonferenzen werden sie zugleich aus der SED ausgeschlossen.

Der vormalige Punkt 2, in dem also beispielsweise Hans-Joachim Böhme und Johannes Chemnitzer erwähnt werden als Auszuschließende aus dem Zentralkomitee und daß gegen sie ein Parteiverfahren eingeleitet wird, diesen Punkt, würde ich vorschlagen, jetzt zu streichen, weil mit der Formulierung „der bisherigen Untersuchungen" eigentlich angedeutet ist, daß die ZPKK ihre Untersuchungen fortsetzt. Und das impliziert alles, was sonst noch da zu untersuchen und aufzudecken ist.

Also, an diesen ersten Punkt würde sich als zweiter Punkt anschließen: Das Zentralkomitee erklärt seinen Rücktritt. Und dann der dritte, schon nicht mehr so wichtige Punkt, obwohl also wir als Zentralkomitee ja diese Verantwortung empfinden, daß wir mit Genossen aus unserer Mitte, die nicht mehr als Mitglieder des Zentralkomitees bezeichnet werden, denn wenn der Beschluß gefaßt ist, sind sie nicht mehr Mitglieder des Zentralkomitees, - es ist ja dann zurückgetreten -, aber das eine Reihe von Genossen dem außerordentlichen Parteitag einen Rechenschaftsbericht vorlegt über die letzte Phase der Arbeit der Partei vor dem außerordentlichen Parteitag. Die große Analyse bliebe dann einem ordentlichen Parteitag vorbehalten. Das wäre der Vorschlag.

Zuruf: Lies´ den dritten Punkt noch einmal vor!

Also, der dritte Punkt würde lauten: Das Zentralkomitee erachtet es in Wahrnehmung der ihm verbliebenen Verantwortung als notwendig, dem einberufenen außerordentlichen Parteitag Rechenschaft abzulegen. Zur Erarbeitung des Rechenschaftsberichtes über die Ursachen für die Krise in der SED und in der Gesellschaft wird eine Kommission gebildet. Ihr gehören an: Werner Eberlein, Wolfgang Herger, Werner Jarowinsky, Siegfried Lorenz, Wolfgang Rauchfuß, Günter Schabowski, Helmut Semmelmann und Günter Sieber. [25]

Vors. Egon Krenz:
Bitte.

Manfred Ewald:
Ich bin einverstanden. Ich habe nur die Frage, vielleicht habe ich es überhört oder es wird indirekt gesagt und ich habe es nicht verstanden: Ist irgendein Wort im Hinblick auf die Zukunft gesagt? Es wird nur Rechenschaft gelegt. Ich weiß nicht, wenn man sagt, wir lösen die Partei auf: Was ist dann?

Günter Schabowski:
Genossen, ich meine...

Vors. Egon Krenz:
Es bleibt ja noch ein Beschluß, den wir zu fassen haben, über die Bildung des Initiativ- oder Arbeitsausschusses. Die Genossen kriegen noch das Wort.

Günter Schabowski:
Dem Arbeitsausschuß obliegt ja die weitere Vorbereitung des Parteitages. Also, wir können nur noch für das Verantwortung ausdrücken, was zurückliegt, bis zu dem Zeitpunkt der Auflösung des Zentralkomitees. Dann beginnt dieser Arbeitsausschuß seine Arbeit, und der kann auf alle und muß auf alle Genossen zurückgreifen können, die bei der weiteren politischen und organisatorischen Vorbereitung des Parteitages auskunftsfähig sind und arbeitsfähig sein können.

Vors. Egon Krenz:
Deshalb würde ich vorschlagen, die Abstimmung über diesen Punkt erst zu machen, wenn wir gehört haben das, was der Arbeitsausschuß oder Initiativausschuß gesagt hat, damit man wenigstens dann noch eine Empfehlung geben kann.

Günter Schabowski:
Ich muß, Egon, ach so, Entschuldigung, darf ich zur Geschäftsordnung bitte noch eine Bemerkung machen. Einen Beschluß in dieser Kargheit hatten wir ja nicht vorbereitet, sondern wir hatten einen Beschluß mit einer politischen Aussage vorbereitet. Wir hatten uns zuvor mit den Ersten Sekretären der Bezirksleitungen zusammengesetzt, auch in Hinblick auf den aus ihrer Mitte zu bildenden, vornehmlich aus ihrer Mitte zu bildenden Arbeitsausschuß. [26] Man muß ja mit den Genossen beraten, die nach uns die Arbeit weiterführen, fairerweise, und die Genossen hatten uns empfohlen, daß alles, was einen besonderen einschätzenden oder nach vorn weisenden Charakter hat, in diesem Beschluß unterbleiben sollte, weil alles dieser Art dann von dem Vorbereitungsausschuß für den Parteitag kommen muß. Ich glaube, das ist eine richtige Position.

Vors. Egon Krenz:
Man muß folgendes dazu sagen - gleich, Genosse Stechbarth -: Der Genosse Schabowski, der Genosse Lorenz und der Genosse Herger haben den Beschluß ausgearbeitet und haben ihn vor den Ersten Bezirkssekretären vorgelesen. Da wurde dieser einschätzende Charakter als nicht notwendig erachtet. Aber wenn jetzt die Frage erneut aufgeworfen worden ist, es geht ja hier um das Zentralkomitee, dann würde ich doch bitten, da mir der Text vorliegt, den Text, der ausgearbeitet war, hier vorzulesen:

„Beschluß der 12. Tagung des Zentralkomitees: Das Zentralkomitee der SED stellt fest, daß der Prozeß der radikalen Erneuerung der Partei von der Basis her rasch voranschreitet. Davon legen in eindrucksvoller Weise die Kreisdelegiertenkonferenzen in Vorbereitung des außerordentlichen Parteitages Zeugnis ab. [27] Alle Konferenzen gestalteten sich zu Foren prinzipieller und sachlicher Auseinandersetzung mit den Hemmnissen und Erfordernissen des Prozesses der Erneuerung der Partei und des Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik. Die Diskussion im Zusammenhang mit der Wahl der Delegierten zum Parteitag war bestimmt von vielen Ideen, Vorschlägen und Initiativen, wie sich die Partei unter den Bedingungen der tiefen Krise neu formieren müsse, um die Kraft zu gewinnen, ohne die eine sozialistische Gesellschaft mit menschlichem Antlitz in der DDR nicht zu gestalten ist.

Untrennbar damit verbunden ist die rückhaltlose Auseinandersetzung über den Amts- und Machtmißbrauch ehemaliger Mitglieder der Partei- und Staatsführung. Einhellig brachten die Delegiertenkonferenzen ihre Empörung und Verurteilung der kriminellen Handlungen und Vergehen zum Ausdruck, durch die unserer Partei und der Deutschen Demokratischen Republik schwerer Schaden zugefügt wurde. Scharf kritisierten die Delegierten, daß das Politbüro des ZK der SED und die Zentrale Parteikontrollkommission den ihnen übertragenen Auftrag, mutmaßliche Gesetzesverletzungen und ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Privilegien, das ganze Ausmaß von Korruption und angemaßter Bevorrechtung rückhaltlos aufzuklären, nur unvollkommen erfüllt haben. Die dazu zu leistende Arbeit ist von Inkonsequenz und Halbherzigkeit geprägt. Das Politbüro erkennt die Berechtigung dieser Kritik uneingeschränkt an. Auf Vorschlag usw. -“ und dann würde das kommen, was Genosse Schabowski vorgelesen hatte.

Unruhe

Manfred Ewald:
Egon, ich kann jetzt nicht ´rausgehen. Die Genossen fragen uns alle draußen: Wie geht es mit der Partei weiter? Irgendwie muß das deutlich werden, daß es weitergeht.

Unruhe. – Zuruf: In 14 Tagen ist Parteitag!

Vors. Egon Krenz:
Genosse Stechbarth.

Horst Stechbarth:
Ich weiß nicht, ob es richtig ist, Genossen, wenn ein Ausschuß hier berufen wird, der den Sonderparteitag vorbereitet, wenn wir darin wieder nur Mitglieder des Politbüros oder des Zentralkomitees hier haben. Das nimmt uns doch draußen keiner mehr ab.

Unruhe

Vors. Egon Krenz:
Nein, Moment, da muß es ein Mißverständnis geben. Darüber wird jetzt der Ausschuß berichten. Es wird niemand mehr, soweit ich das empfinde, aus dem alten Politbüro in diesem Ausschuß sein. Ich bitte vielleicht Genossen Kroker, das Wort dazu zu nehmen, ja, damit wir das im Komplex hier behandeln und nicht unnötigerweise Fragen auftreten.

Unruhe. – Gemurmel. – Im Hintergrund Egon Krenz leise: Du, Hans, Hans, wieso sollen wir nicht ... – Ebenfalls im Hintergrund Manfred Ewald: Wie soll das jetzt weitergehen? – Anhaltendes Gemurmel. – Klingel des Vorsitzenden.

So, Genossen, der Genosse Kroker ist Erster Sekretär der SED-Bezirksleitung Erfurt, von der Volkskammer ausgeschlossen, weil er vor Jahren gegen die Politik Erich Honeckers und Günter Mittags aufgetreten ist. Vor Jahren schon!

Herbert Kroker:
Liebe Genossinnen und Genossen! Ich kann den Zorn, die Bitternis und die ganze Schwere des Augenblicks für viele Genossen hier persönlich verstehen. Es ist nicht die Zeit, viele Worte zu machen; denn die Lage diktiert das Geschehen, und es geht um die Rettung unserer sozialistischen Sache.

Und ich möchte nicht, daß der Arbeitsausschuß seine Arbeit mit einem Fehler beginnt. Ich kann hier nur sagen: Der Arbeitsausschuß wird sich 16.00 Uhr konstituieren, weil noch Genossen herangeholt werden, die im Arbeitsausschuß mitwirken sollen. Die Liste liegt hier, und erst, wenn wir die Genossen da haben, können wir uns zusammensetzen und können wir das Papier erarbeiten, welches wir heute noch der Presse übergeben. Es geht ja nicht anders, sonst würden wir wieder als Erste Sekretäre ohne die anderen Mitglieder etwas hier vortragen. Und wir müssen das ja erst mal im Arbeitsausschuß diskutieren, beraten und dann werden wir uns heute der Presse stellen. [28] Ich bitte darum um Verständnis. Denn sonst würden wir schon wieder einen Fehler machen in der Demokratie.

Zuruf: Sehr richtig!

Vors. Egon Krenz:
Was schlägst Du jetzt vor konkret?

Herbert Kroker:
Jetzt schlage ich vor, daß der Genosse Heinz Albrecht oder die Genossen des Politbüros hinausgehen vor die Genossen und dort erklären, daß das Zentralkomitee den Rücktritt erklärt hat. [29]

Zuruf: Erst mal abstimmen!

Bitte?

Zuruf: Laß´ erst mal abstimmen!

Ja, selbstverständlich abstimmen, und dann hinausgehen und die Beschlüsse erläutern und sagen, daß ein Arbeitsausschuß sich bildet.

Zuruf von Moritz Mebel: Einen Augenblick mal!

Und er wird 16.00 Uhr oder 16.30 Uhr sich der Presse stellen.

Moritz Mebel:
So geht das Zentralkomitee unserer Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands nicht auseinander!

Unverständlicher, lauter Zuruf.

Einen Augenblick! Wir sind noch nicht zurückgetreten, und es ist das Recht dieses Zentralkomitees, das die volle Verantwortung trägt, darüber eine politische Rechenschaft abzugeben. Das ist nicht nur unser Recht, sondern das ist unsere Pflicht. Und das würde auch euch, liebe Genossen, die Ihr die Vorbereitung des außerordentlichen Parteitages auf euch nehmt, die Arbeit erleichtern. Bitte glaubt doch nicht, daß wir - auf dem 9. Plenum habe ich das gesagt: Die politische Verantwortung tragen wir. Wir treten zurück, aber wir haben dazu etwas zu sagen. Und ich glaube, das, was hier vorgelesen wurde, ist voll zu unterstützen.

Vereinzelt Beifall. - Zurufe: Abstimmen!

Vors. Egon Krenz:
Wünscht jemand das Wort?

Zahlreiche Zurufe: Abstimmen!

Erich Postler:
Genosse Krenz, ich muß noch einmal zur Geschäftsordnung um´s Wort bitten. Vor dem Haus des Zentralkomitees versammeln sich Massen von Genossinnen und Genossen, Parteimitglieder - nicht irgendwelche Leute -, Parteimitglieder, die fordern, daß sie bis 15.00 Uhr eine Antwort erhalten.

Zurufe: Mein Gott! - Zurufe: Abstimmen!

Vors. Egon Krenz:
Also -

NN:
Aber, Genosse Krenz, sie fordern sie im Sinne dessen, daß wirklich ein solcher Arbeitsausschuß gewählt wird. Das ist die Forderung der Mehrzahl auch unserer Kreisdelegiertenkonferenz gestern, und dem können wir uns nicht wieder entgegenstellen.

Vors. Egon Krenz:
Ich schlage vor, daß wir jetzt den Beschluß fassen. Bitte, was ist?

Werner Eberlein:
Ich muß noch etwas dazu sagen. Es tut mir leid, die Zeit zu klauen, aber ich muß es sagen. Es geht um die ZPKK. Diese ZPKK wird angegriffen für Halbherzigkeiten, Halbheiten, zu Recht angegriffen wird sie. Darum hat diese ZPKK gemeinsam, nicht von meiner Seite aus, sondern gemeinsam, beschlossen zurückzutreten. Erste Frage.

Zweite Frage: Es gibt einen Bericht der ZPKK, der vorbereitet wurde. [30] Aber dieser Bericht spricht nur Halbheiten aus, da auf den gestrigen Kreisdelegiertenkonferenzen ganz andere Töne zur Sprache gekommen sind, ganz andere Anwürfe gemacht worden sind. Darum hat dieser Bericht heute keinen Bestand mehr. Erstens.

Zweitens: Wenn jetzt im Beschluß gesagt wird: Auf Beschluß der ZPKK werden die und die ausgeschlossen -, kann die ZPKK dem nicht zustimmen, da das statutenwidrig ist. Das ist das Problem, vor dem wir stehen. Wir haben mit den Genossen nicht gesprochen. Ich kann jetzt hier aufzählen, mit wem ich gesprochen habe, aber keiner hat sich zu Gesetzwidrigkeiten bekannt. Wir haben Beschlüsse gefaßt, aber ich kann jetzt hier nicht Dingen zustimmen, die gesetzes-, die statutenwidrig sind.

Darum bitte ich, die ZPKK herauszulassen. Wenn das Plenum das beschließt - als Mitglied stimme ich dem zu, aber als ZPKK kann ich dem nicht zustimmen.

NN:
Wenn gesagt wird: „Im Ergebnis der Arbeit der ZPKK", dann ist das nicht ein Beschluß der ZPKK!

Zuruf: Jawohl!

Vors. Egon Krenz:
Es beschließt das Zentralkomitee. Und, Genossinnen und Genossen, nun möchte ich auch mal sagen: Wir sollen auf dem Boden bleiben. Wenn ein Staat bis an den Ruin geführt wird, dann ist das Verbrechen.

Zuruf: Ein großes Verbrechen!

Ich glaube, ein größeres kann es nicht geben.

Zuruf: Das ist eine Sauerei!

Und darüber müssen wir uns hier eindeutig Klarheit verschaffen, unabhängig davon, wer welche Schuld daran trägt. Und deshalb stelle ich jetzt, weil es im Antrag gestellt worden ist, die Beschlußpunkte, die Genosse Schabowski vorgetragen hat, einschließlich der Präambel -

Zurufe: Nein! – Gleichzeitig Zurufe: Ja!

einschließlich der Präambel -

Zurufe: Ja! Gleichzeitig Zurufe: Nein!

Wer sich zur Präambel und den Beschlüssen, vorgetragen vom Genossen Schabowski, bekennt, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke schön. Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit sind die Beschlüsse gefaßt. Es gibt keinen Grund zum Beifall. So, der nächste Beschluß war der Beschluß des Politbüros. Soll ich ihn noch einmal vortragen? [31]

Zurufe: Nein!

Also, wird auch akzeptiert.

Zuruf: Braucht ja nicht!

Wer für diesen Beschluß, - das ist ja ein der Beschluß des Politbüros, daß wir zurücktreten. Der braucht ja nicht im Zentralkomitee noch einmal bestätigt zu werden.

Drittens: Ich schlage vor, daß Genosse Schabowski diese beiden Beschlüsse jetzt der Presse erläutert und mitteilt, daß sich gegenwärtig ein Arbeitsausschuß zur Vorbereitung des nächsten Parteitages, des außerordentlichen Parteitages konstituiert. Ist das richtig so?

Zurufe: Ja!

Genosse Kroker, habe ich Dich so verstanden?

Zuruf: Ja!

Kann man so machen? Zuruf von Herbert Kroker: Ja!

Gut, bitte schön!

NN:
Ich frage trotzdem, ob es gut ist, daß dort das Kollektiv genannt wird, das den Rechenschaftsbericht ausarbeiten soll -

Unruhe. – Zuruf: Das sind doch zwei getrennte Dinge!

Vors. Egon Krenz:
Ich schlage vor: Die Leute, die für die Ausarbeitung des Rechenschaftsberichts genannt sind, sind eine parteiinterne Angelegenheit und haben für die Presse nichts zu tun. Einverstanden?

Zuruf: Kann man den Genossen Kroker schon als denjenigen, der diesen Bericht ... .-
Andere Zurufe: Nein! Nein!


So, jetzt müssen wir uns trotzdem verständigen, Genossen. Jetzt stehe ich auch vor einer Frage, auf die ich keine Antwort habe. Das ZK hat sich aufgelöst. Die Beschlüsse sind gefaßt. Jetzt müßte der Arbeitsausschuß tätig sein. Und wir können die Tagung beenden. Oder wie ist das?

Zurufe: Ja. – Unruhe. – Zuruf: Man sollte vielleicht der Presse sagen, daß keine ehemaligen Mitglieder des Politbüros in diesem Arbeitsausschuß sitzen!

Nein. Aber ich würde den Genossen Albrecht bitten - wo ist er?

Zuruf: Hier!

Wärst Du bereit, jetzt rauszugehen, Deinen Genossen die Beschlüsse zu erklären?

Zuruf: ... der Arbeitsausschuß sich 16.00 Uhr konstituieren und dann einen Standpunkt veröffentlichen wird.[32]

Jawohl. Einverstanden so? - Genossinnen und Genossen! Die Tagung ist beendet.

Quelle: SAPMO-BARch, Ton Y1/TD 740, erstmals dok. in: Hans-Hermann Hertle/Gerd-Rüdiger Stephan (Hg.), Das Ende der SED. Die letzten Tage des Zentralkomitees, 4. Auflage, Berlin 1999, S. 461-481.
[1] Da sich der eigentliche Beginn der ZK-Tagung verzögerte, nutzte Modrow die Zeit, um das ZK über die Flucht des ZK-Mitglieds Schalck zu informieren. Zunächst war am Morgen des 3. Dezember 1989 das Politbüro zusammengekommen. Das Beschlußprotokoll dieser letzten Sitzung des SED-Politbüros ist dok. in: Stephan, „Vorwärts immer, rückwärts nimmer!“, S. 268. Danach traf sich das noch amtierende Politbüro mit den 1. SED- Bezirkssekretären (vgl. dazu Edwin Schwertner, Zur Bildung des SED-Arbeitsausschusses, in: Lothar Bisky u.a. (Hg.), Die PDS - Herkunft und Selbstverständnis, Berlin 1996, S. 160-162). Die für 13.00 Uhr anberaumte ZK-Tagung begann wegen dieses Treffens mit leichter Verspätung. [2] Zur Flucht von Alexander Schalcks vgl. Neues Deutschland, 4. Dezember 1989; Berliner Morgenpost, Extrablatt vom 4. Dezember 1989; Die Welt vom 4. April 1990 (Interview mit A. Schalck); „Ich habe mich korrekt abgemeldet“. Ein „Zeit“-Gespräch mit Alexander Schalck-Golokowski, in: Die Zeit, Nr. 3, 11. Januar 1990, S. 9 ff. [3] Der Vergleich mit der Guillaume-Affäre, die 1974 zum Rücktritt von Bundeskanzler Williy Brandt führte, erwies sich für Modrow als unzutreffend. [4] Vgl. Modrow: Aufbruch und Ende, S. 57 ff. [5] Die ADN-Meldung siehe in: Neues Deutschland, 4. Dezember 1989. [6] Den Wortlaut der unkorrigierten stenographischen Niederschrift der 12. Tagung des ZK der SED vgl. in: Stephan, „Vorwärts immer, rückwärts nimmer!“, S. 268 ff. Die Stenographen konnten den chaotischen Ablauf der Tagung nicht immer wortgetreu erfassen. [7] Die 12. Tagung des ZK war vom Politbüro am 1.12.1989 ursprünglich mit der Erwartung einberufen worden, „die Vorbereitung des Parteitages (zu) intensivieren und weitere Maßnahmen zur Beschleunigung des Erneuerungsprozesses der Partei (zu) treffen“ (vgl. Protokoll Nr. 57 der Sitzung des Politbüros des ZK der SED vom 1.12.1989 sowie das auf dieser Sitzung beschlossene Fernschreiben von Egon Krenz an die 1. Sekretäre der Bezirks- und Kreisleitungen der SED, in : SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2 A/ 3264). [8] Im November waren alle 1. SED-Bezirkssekretäre ausgetauscht worden. Ihre Nachfolger wurden zwar zur ZK-Tagung zugelassen, erhielten aber kein Stimmrecht. [9] Hans-Joachim Willerding hatte am 2. Dezember 1989 gegenüber ADN seinen Rücktritt von allen Funktionen mitgeteilt. Zur Begründung gab Willerding an, daß die Parteiführung die SED in die Selbstauflösung treibe. Das Politbüro werde „den Anforderungen einer revolutionären Erneuerung in unserem Lande und in der Partei nicht gerecht“ (vgl. Neues Deutschland, 4. Dezember 1989). [10] Den Bericht dieser Kommission „Zu Ursachen für die Krise in der SED und in der Gesellschaft“ vgl. in: Hertle u.a., Der Honecker muß weg, Berlin 1990, sowie in: Schabowski, Das Politbüro, S. 179 ff. [11] Dieser von Krenz verlesene Text war in der morgendlichen Sitzung des Politbüros von 8.30-10.30 Uhr beschlossen worden (siehe: SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2/2367). Vgl. auch Neues Deutschland, 4. Dezember 1989. [12] Roland Wötzel, seit dem 5. November 1989 1. SED-Bezirkssekretär in Leipzig, bezieht sich im Folgenden auf Ergebnisse der Beratung des SED-Politbüros mit allen SED-Bezirkssekretären unmittelbar vor der ZK-Tagung. [13] Egon Krenz hatte als Leiter der Wahlkommission für die DDR-Kommunalwahlen vom 7. Mai 1989 fungiert. Zu den Hintergründen der Krenz-Bemerkungen vgl. Hertle, Der Fall der Mauer, S. 122. [14] Dieser Absatz wurde von den Stenographen wunschgemäß nicht protokolliert. [15] Vgl. Volkskammer der DDR, 9. Wahlperiode, 13. Tagung, Freitag, den 1. Dezember 1989, Stenographische Niederschrift, S. 343-353. Auf dieser Tagung hatte der am 18. November 1989 berufene „Zeitweilige Ausschuß zur Überprüfung von Fällen des Amtsmißbrauchs, der Korruption, der persönlichen Bereicherung und anderer Handlungen, bei denen der Verdacht auf Gesetzesverletzungen besteht“, durch seinen Vorsitzenden Heinrich Toeplitz (CDU) einen spektakulären Zwischenbericht erstattet, der in der Öffentlichkeit große Erregung verursachte. [16] Im Anschluß an den Bericht von Heinrich Toeplitz verlas Wolfgang Herger im Namen der Fraktion der SED eine Erklärung, in der „tiefe Empörung“ über den Amtsmißbrauch und die persönliche Bereicherung ehemaliger Mitglieder der Führung der SED geäußert sowie deren schonungslose und konsequente Aufklärung gefordert wurde (vgl. ebd., S. 346). [17] Die Aufhebung der Todesstrafe im Staatsrat ging zurück auf einen Beschluss des Politbüros vom 14. Juli 1987. Vgl. dazu: SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2A/3039-3040, sowie DY 30/J IV 2/2/2230. [18] Vgl. insbesondere die Beiträge in: Neues Deutschland, 25./26. November 1989 und 2./3. Dezember 1989. [19] Bernhardt Quandt bezieht sich hier auf einen Redebeitrag des Abgeordneten Prof. Dr. Staegemann (NDPD) in der Volkskammersitzung vom 1. Dezember 1989, der das Gerücht wiedergegeben hatte, „daß 100 Milliarden Mark in der Schweiz auf Nummernkonten nicht nur als Valuta, sondern auch in Form von Gold- und Silberbarren und Platin gehortet werden“ und Auskunft über diese „leider sehr, sehr betrüblichen Sachen“ gefordert hatte (vgl. Volkskammer der DDR, 9. Wahlperiode, 13. Tagung, Freitag, den 1. Dezember 1989, Stenographische Niederschrift, S. 348). [20] „Infolge der Verschärfung des Klassenkampfs“ waren seit 1955 Waffen an Funktionäre im Partei- und Staatsapparat ausgegeben worden (vgl. erstmals SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3A/457, und zuletzt: 3A/2128). Nachdem in der Volkskammerdebatte am 1. Dezember 1989 erstmals öffentlich bekannt geworden war, daß leitende Funktionäre der SED, der Blockparteien und des Staates mit Revolvern bewaffnet waren, wurden die Schußwaffen einige Tage später vom Ministerium des Innern eingezogen. [21] Hans-Joachim Böhme, ehemals 1. Bezirkssekretär der SED in Halle, war am 8. November 1989 wieder in das SED-Politbüro gewählt worden, wurde aber bereits am 9. November auf Druck der Parteibasis zum Rücktritt gezwungen. [22] Roland Claus war am 12. November 1989 zum 1. SED-Sekretär der SED-Bezirksleitung Halle gewählt worden. Zweifel an der weiteren Ausübung der Funktion des Generalsekretärs durch Egon Krenz waren Ende November vor allem durch ein „Stern“-Interview Wolfgang Berghofers genährt worden, der eine Gegenkandidatur zu Krenz nicht ausschloß. [23] Zu den Aktivitäten der Modrow-Regierung ab Mitte November 1989 vgl. Modrow, Aufbruch und Ende, S. 27 ff. Die Protokolle der ersten Ministerratssitzungen unter Modrow siehe in: BArch (Berlin), DC-20, I/3-2870 ff. [24] Die Demonstration vor dem ZK-Gebäude setzte sich aus zwei Strömungen zusammen: Eine Protestkundgebung von Berliner SED-Mitgliedern verschmolz vor dem ZK-Gebäude mit den Teilnehmern eines Protestmarsches, der sich spontan vom Friedrichstadtpalast ausgehend formiert hatte. Die Organisatoren der Berliner Demonstranten vom 4. November 1989 veranstalteten dort seit 10.00 Uhr eine Debatte zum Thema „Was nun?“ Die Formierung eines Protestzuges zum ZK-Gebäude erfolgte als spontane Reaktion auf die Nachricht über die Flucht Alexander Schalcks sowie Informationen, überall im Lande würden die Archive verbrannt. Zur Demonstration Berliner Parteimitglieder siehe: ND vom 4. Dezember 1989; Gregor Gysi/Thomas Falkner, Sturm aufs Große Haus. Der Untergang der SED, Berlin 1990, S. 66 ff. [25] Die veröffentlichte Beschlußfassung siehe in Neues Deutschland, 4. Dezember 1989. [26] Zur Bildung des zeitweiligen Arbeitsausschusses siehe Neues Deutschland, 4. Dezember 1989. [27] Zur Wahl der Delegierten für den Sonderparteitag hatten entsprechend des Beschlusses der 11. ZK-Tagung bis zum 3. Dezember 1989 im gesamten Land SED-Kreisdelegiertenkonferenzen stattgefunden. [28] Vgl. Neues Deutschland, 4. Dezember 1989. [29] Die Beschlüsse der ZK-Sitzung wurden den Demonstranten vor dem ZK-Gebäude vom Mitglied des zeitweiligen Arbeitsausschusses Hans Albrecht, seit 14. November 1989 auch 1. SED-Bezirkssekretär von Berlin, bekanntgegeben. [30] Der von dem Toeplitz-Bericht in der Volkskammer überholte, für das 12. Plenum vorbereitete, aber nicht vorgetragene Bericht der ZPKK ist als Entwurf überliefert in: SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/1/716, Bl. 1-10. [31] Vgl. Neues Deutschland, 4. Dezember 1989.
Zum Seitenanfang