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Hans-Hermann Hertle, 9. November 1989, 15.00 Uhr: Feinarbeiten an den Durchführungsbestimmungen der geplanten neuen Reiseverordnung

Hans-Hermann Hertle, 9. November 1989, 15.00 Uhr: Feinarbeiten an den Durchführungsbestimmungen der geplanten neuen Reiseverordnung

Hans-Hermann Hertle
Chronik des Mauerfalls
Die dramatischen Ereignisse um den 9. November 1989

Ch. Links Verlag, Berlin 1999

15.00 Uhr: Feinarbeiten an den Durchführungsbestimmungen



Im MfS und MdI dauerte am Nachmittag die Feinarbeit an den Durchführungsbestimmungen der neuen Reiseregelung für die nachgeordneten Dienststellen des MdI an. Mehrere Entwürfe eines Fernschreibens des Innenministers an die Chefs der BDVP, die Stellvertreter der Oberbürgermeister und die Stellvertreter der Vorsitzenden für Inneres der Räte der Bezirke pendelten zwischen dem MdI in der Mauerstraße und dem MfS in der Normannenstraße hin und her. [1]

Aus dem Reisegesetz-Entwurf hatten die Mitarbeiter des MfS und MdI den Grundgedanken übernommen, Privatreisen auch weiterhin an die Erteilung eines Visums zu binden. Dieses Verfahren sollte Lauter zufolge einen wichtigen Nebeneffekt gewährleisten: „Wir hätten also erst einmal den unmittelbaren Druck von der Grenze weggenommen und auf die Dienststellen der Volkspolizei gezogen." Zur Beantragung der Privatreisen, so stellten sich die beiden Ministerien den ordnungsgemäßen Ablauf am folgenden Tag vor, „sind vom Bürger nur zwei (sic!) Anträge und eine Zählkarte entgegenzunehmen. Das Gespräch mit den Bürgern reduziert sich auf die Prüfung der ordnungsgemäßen Ausfüllung dieser Unterlagen." Die zuvor übliche Übergabe der „Zählkarte" an das MfS sollte entfallen. Visa zur ein- oder mehrmaligen Reise könnten, hieß es in den Festlegungen, „für maximal 30 Reisetage mit einer Gültigkeit bis höchstens sechs Monate erteilt werden". Die Bearbeitungszeit sollte sich nach den Reisewünschen der Bürger richten; ausdrücklich wurde angewiesen: „Das schließt Sofortreisen ein." [2]

Die „besonderen Ausnahmefälle", in denen Versagungsgründe zur Anwendung kommen sollten, waren auf nur noch drei aus der langen Liste der Versagungsgründe in der alten Reiseverordnung vom 30. 11. 1988 beschränkt:

– § 13, Abs. 1: „Genehmigungen sind zu versagen, wenn das zum Schutz der nationalen Sicherheit oder der Landesverteidigung notwendig ist." Dieser Versagungsgrund beließ den Sicherheitsorganen nach wie vor so lange Spielraum für die Abweisung politisch unliebsamer Antragsteller, wie diese rechtsstaatlich genormter Überprüfungsverfahren beraubt waren;

– § 13, Abs. 2, eingeschränkt auf Antragsteller mit aktiver Zugehörigkeit zu bewaffneten Organen: „Genehmigungen können versagt werden, wenn der Antragsteller ... zur Zeit Dienst in den Schutz- oder Sicherheitsorganen leistet."

– § 14, Abs. 1, b: „Genehmigungen können auch versagt werden ..., wenn Prüfungen über Anzeigen gegen den Antragsteller noch nicht abgeschlossen sind, ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet wurde, er in ein Strafverfahren einbezogen ist oder Maßnahmen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit zu verwirklichen sind."

Die Anwendung des Versagungsgrundes nach § 13, Abs. 2, der RVO ausschließlich auf aktive Angehörige der „bewaffneten Organe" stimmte Gerhard Lauter für die Zollverwaltung mit dem ersten Stellvertreter des Leiters, für die DVP mit der Hauptabteilung Bereitschaften des MdI und für die NVA mit dem Leiter der Rechtsabteilung des Ministeriums für Nationale Verteidigung telefonisch ab. Alle erklärten ihr Einverständnis. [3]

Am späten Nachmittag lag das Fernschreiben versandfertig auf dem Schreibtisch von Lauter; um es herausgeben zu können, wartete man auf Nachrichten aus dem Politbüro und Ministerrat.

Quelle: Hans-Hermann Hertle, Chronik des Mauerfalls. Die dramatischen Ereignisse um den 9. November 1989, Ch. Links Verlag, Berlin 1999.
[1] Vgl. die verschiedenen Entwürfe der Durchführungsbestimmung, in: BArch / P, MdI-HA PM Nr. 54462, sowie: BStU, ZA, MfS-Arbeitsbereich Neiber 553, Bl. 20 – 25. [2] Fernschreiben, Dringlichkeitsstufe Flugzeug, an: Chefs BDVP, alle Ltr. d. VPKÄ, Stellv. des Vorsitzenden, Betreff: Privatreisen und ständige Ausreisen nach dem nichtsozialistischen Ausland, 9. 11. 1989. [3] Siehe die entsprechenden Aktenvermerke Lauters vom 9. 11. 1989, in: BArch / P, MdI 54462.
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