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Niederschrift der Unterredung N. S. Chruschtschows mit J. F. Kennedy in Wien, 4. Juni 1961 (Teil 2)

Niederschrift der Unterredung N. S. Chruschtschows mit J. F. Kennedy in Wien, 4. Juni 1961

Kennedy: Die Lage in Deutschland kann wirklich nicht als normal bezeichnet werden, da das Land in zwei Teile gespalten ist. Roosevelt sprach seinerzeit tatsächlich vom Auszug der Besatzungstruppen aus Deutschland, aber er sah nicht voraus, daß Deutschland gespalten wird und daß wir uns in Deutschland diesseits und jenseits der Trennungslinie gegenüber stehen werden. Sie sprechen vom Frieden. Aber Sie wollen doch die Lage in Deutschland ändern, und nicht die Vereinigten Staaten. Sie schaffen doch eine Krise in Berlin, und nicht die Vereinigten Staaten. Die Vereinigten Staaten haben schon seit langem, noch vor meinem Amtsantritt als Präsident bindende Verpflichtungen gegenüber Berlin übernommen, und jetzt wollen Sie Ende dieses Jahres in einseitiger Weise einen Friedensvertrag unterzeichnen und uns das Zutrittsrecht nach Berlin nehmen. Meinen Sie, daß dies ein Weg zum Frieden ist?

Chruschtschow: Ich kann Ihre Logik nicht begreifen. Wie kann man die Situation verschlechtern, wenn man auf die Liquidierung des Krieges hinarbeitet? Seit eh und je galt die Unterzeichnung eines Friedens als Wohltat und der Krieg als Übel.

Kennedy: Ich sage doch nicht, daß die Unterzeichnung des Friedensvertrages an und für sich eine kriegerische Aktion ist. Aber ein Friedensvertrag, demzufolge wir unserer Rechte verlustig gehen, ist ein kriegerischer Akt. Die Unterzeichnung des Friedensvertrages ist eine Angelegenheit der Sowjetunion, aber die einseitige Übertragung unserer Rechte an Ostdeutschland ist schon eine ganz andere Sache. Westberlin ist für uns von Bedeutung nicht als Aufmarschgebiet für einen Überfall. Es ist für uns von Bedeutung, weil wir ihm gegenüber bestimmte Verpflichtungen übernommen haben, wovon die ganze Welt weiß. Wenn wir jedoch dem Vorschlag der Sowjetunion zustimmen, wird die ganze Welt den Schluß ziehen, daß die USA ein Land seinen, das seine Verpflichtungen nicht ernst nimmt. Und ich versichere Ihnen, daß wir unsere Verpflichtungen, die unsere strategischen Interessen berühren, sehr ernst nehmen.

Chruschtschow: Was also tun? Ihre Ansprüche zeugen nicht von guten Absichten. Sie wollen den Kriegszustand in Westberlin aufrechterhalten, aber damit sind wir nicht einverstanden. Das werden wir der Weltöffentlichkeit erklären, und wir sind gewiß, die meisten Menschen werden verstehen, daß wir im Interesse des Friedens handeln.

Sie haben doch in Westdeutschland in einseitiger Weise alles annulliert, was in unserem Interesse war: Sie haben uns die Reparationen versagt und Westdeutschland wieder aufgerüstet. Sie haben einen separaten Friedensvertrag mit Japan unterzeichnet, wodurch wir jetzt keinen Friedensvertrag mit diesem Lande haben. Sie meinen, daß diese Handlungen Ihrerseits gerechtfertigt, unsere Absichten aber unmoralisch seien. Mit einer solchen Auslegung können wir selbstverständlich nicht einverstanden sein. Ob Sie den Friedensvertrag unterzeichnen oder nicht, das ist Ihre Sache, Herr Präsident. Wir wären sehr erfreut, unsere Unterschrift unter diesen Vertrag neben die Ihre setzen zu können. Aber auch wenn Sie sich weigern, den Friedensvertrag zu unterzeichnen, werden wir ihn trotzdem unterschreiben, und Ihr Zutritt nach Westberlin hört dann auf.

Sie sprechen von Ihrem Prestige, aber Sie müssen auch unserem Prestige Rechnung tragen. Sie meinen, daß die USA auch nach Unterzeichnung des Friedensvertrages in Westberlin irgendwelche Rechte weiter behalten müßten, die sich aus der Besetzung Deutschlands ergeben haben. Niemand in der Welt wird jedoch diese Ihre Politik verstehen und rechtfertigen können. Was ist das für eine Politik, die auf dem Grundsatz beruht: "Was ich will, das mach ich eben"? Den Versuch, Ihre Rechte hinsichtlich Westberlins auch nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages aufrechtzuerhalten, werden wir als eine Verletzung der Souveränität der Deutschen Demokratischen Republik, als eine Verletzung des Friedens und der Ordnung in Deutschland betrachten. Wir werden uns damit nicht abfinden, und die Verantwortung möge auf den fallen, der den Frieden verletzt.

Kennedy: Wir sind überzeugt, daß unsere Anwesenheit in Berlin von der Bevölkerung Westberlins unterstützt wird, der gegenüber wir bestimmte Verpflichtungen übernommen haben. Sie sagen, wir wollten den Kriegszustand in Berlin aufrechterhalten, aber dort gibt es keinen Krieg und Berlin hat, wie Sie selbst sagten, keinerlei militärische Bedeutung.

Ich denke, es wäre gut, wenn West- und Ostdeutschland einen Weg zur Normalisierung ihrer Beziehungen finden würden und wenn die UdSSR und die USA ihre Beziehungen in einer positiven Richtung entwickeln könnten. Ohne Zweifel wird sich die Lage in diesem Raum allmählich ändern, aber Sie wollen innerhalb von irgendwelchen 6 Monaten buchstäblich alles ändern. Unsere Zustimmung zu Ihrem Vorschlag könnte, wie ich bereits sagte, lediglich zur Isolierung der USA und zum Verlust aller ihrer Verbindungen in Westeuropa führen. Das wollen wir nicht. Ich selbst bin nicht darum bemüht, daß die Sowjetunion die Verbindungen einbüßt, die sie in Europa hat. Sie haben mich seinerzeit als jungen Mann bezeichnet. Aber ich bin nicht deshalb Präsident geworden, um im Gegensatz zu den Interessen der USA zu handeln. Ich bin bereit, beliebige Fragen mit Ihnen zu erörtern, um eine Verständigung zu erreichen. Aber Sie wollen unsere Position nicht verstehen und wollen in kurzer Zeit radikale Veränderungen in Berlin herbeiführen.

Chruschtschow: Dann wollen wir doch ein provisorisches Abkommen über Deutschland unterzeichnen. Sie verstehen dabei natürlich, daß es gegenwärtig keine Wiedervereinigung geben kann. Deshalb betrachte ich diesen unseren Vorschlag, um offen zu sprechen, als ein rein formales Moment, das den Anschein erwecken soll, daß die Großmächte den Deutschen selbst die Verantwortung übertragen. Wenn Sie einverstanden sind, dann wollen wir diesen Weg beschreiten. Einen anderen Ausweg gibt es nicht: entweder wir verewigen den Kriegszustand, oder wir unterzeichnen einen Friedensvertrag. Wir haben in dieser Frage verschiedene Auffassungen, und wir können Sie natürlich nicht zur Unterzeichnung eines Friedensvertrages zwingen, aber auch Sie können uns nicht zwingen, das zu tun, was im Interesse unserer Sicherheit erforderlich ist. Und alle Ihre Ansprüche hinsichtlich Westberlins entbehren jeder juristischen Grundlage.

Kennedy: Wir haben keinerlei Ansprüche. Wir verteidigen die Rechte, die uns gehören.

Chruschtschow: Wir können Ihnen eine Denkschrift mit der Darlegung unserer Position in der deutschen Frage überreichen, damit Sie unsere Auffassungen besser prüfen können, falls wir zur Erörterung dieser Frage zurückkehren sollten. (Die Denkschrift wird Kennedy im Anschluß an die Unterredung übereicht).

Damit wird die Unterredung abgebrochen und N.S. Chruschtschow bittet J. Kennedy zum Frühstück.

[...]

N i e d e r s c h r i f t
der Unterredung N.S.Chruschtschows mit John F. Kennedy
in der Sowjetischen Botschaft vom 4.Juni 1961

Nach dem Frühstück, als der Entwurf der Mitteilung für die Presse vorbereitet wurde, äußerte Kennedy den Wunsch, sich mit N.S. Chruschtschow unter vier Augen unterhalten zu können.

Nachstehend folgt die Niederschrift dieser Unterredung.

Kennedy: Man muß konstatieren, Herr Vorsitzender, daß wir in der Berlinfrage verschiedene Auffassungen haben. Diese Frage ist jedoch von so großer Bedeutung für uns beide, daß ich hoffe, Sie werden im Interesse der Verbesserung der Beziehungen zwischen unseren Ländern keine Aktionen unternehmen, durch die ich zutiefst in die sich vollziehenden Ereignisse hineingezogen werde und durch die unsere Länder vor einen unmittelbaren Zusammenstoß gestellt werden. Ich trage natürlich der Tatsache Rechnung, daß Sie ausgehend von Ihren Interessen handeln werden. Ich bitte Sie jedoch, eine Grenze zu ziehen zwischen dem Abschluß eines Friedensvertrages und der Frage unseres Zugangs und unserer Rechte in Westberlin. Ich hoffe, daß sich mit der Zeit Möglichkeiten für die Ausarbeitung von Maßnahmen ergeben werden, die auf die Gewährleistung einer befriedigenderen Lage in Berlin abzielen. Am meisten bin ich darüber besorgt, es zu keinem direkten Zusammenstoß zwischen uns in einer so wichtigen Frage wie Berlin kommen zu lassen.

Chruschtschow: Ich schätze Ihre Offenheit, Herr Präsident, muß aber meinerseits folgendes erklären. Wenn Sie nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages auf Ihrem Zugangsrecht nach Berlin beharren, so wird selbst ein direkter Zusammenstoß zwischen uns diese Frage nicht zu Ihren Gunsten entscheiden. Wir werden uns gegen eine Aggression verteidigen, falls Ihre Truppen die Grenzen der DDR überschreiten.

Ich habe Ihre Position aufmerksam zur Kenntnis genommen. Sie entbehrt jedoch jeder rechtlichen Grundlage. Sie wollen unseren Staat erniedrigen, und das werden wir nicht gestatten.

Wählen Sie selbst, Herr Präsident, wir werden dem Schicksal nicht ausweichen. Ich werde in dieser Frage so handeln, wie mich meine Stellung als Vorsitzender des Ministerrates verpflichtet. Ich wäre erfreut, wenn Sie unseren Vorschlag der Zwischenlösung annehmen und ein provisorisches Abkommen über Deutschland und Westberlin unterschreiben würden, damit in der Folge ein Friedensvertrag ohne Nachteil für unser Prestige unterzeichnet werden kann.

Kennedy: Dieses provisorische Abkommen würde die Anwesenheit unserer Truppen in Berlin vorsehen?

Chruschtschow: Ja, für die Geltungsdauer dieses Abkommens.

Kennedy: Aber dann würde der Zutritt zu dieser Stadt unterbunden?

Chruschtschow: Ja. Aber zur Wahrung Ihres Prestiges wären wir auch bereit, daß Ihre Truppen gemeinsam mit Truppenkontingenten Englands, Frankreichs und natürlich der Sowjetunion weiterhin in Westberlin bleiben auf der Grundlage eines Abkommens, das in der UNO fixiert wird. Aber der Zutritt zu Westberlin wird dann selbstverständlich mit Genehmigung der Regierung der DDR erfolgen. Das ist eine Prärogative der Regierung der DDR.

Wenn Sie diesem Vorschlag nicht zustimmen und Ereignisse ins Rollen bringen wollen, die sich als die schlimmsten in der Geschichte der Menschheit erweisen können, so machen Sie sich dazu bereit. Wir werden uns unsererseits ebenfalls bereit machen, wenn Sie diese Frage mit Gewalt lösen wollen. Aber das wollen wir nicht. Wir wollen diese Frage auf der Grundlage der Vernunft lösen.

Kennedy: Herr Vorsitzender, entweder Sie glauben nicht, daß es uns ernst ist und wir bereit sind, unsere juristischen Verpflichtungen in dieser Frage zu erfüllen, oder Sie fühlen, daß trotz der großen Erfolge auf wirtschaftlichem und anderem Gebiet, in der Eroberung des Weltraums, die Lage Ihres Landes so unbefriedigend ist, daß Sie das Risiko eines offenen Zusammenstoßes zwischen den USA und der UdSSR einzugehen bereit sind, um die Lage in Westberlin zu ändern, die schon 16 Jahre besteht. Ich glaube jedenfalls nicht, daß irgend jemand in Ihrem Lande wirklich an Aktionen interessiert wäre, die in 6 Monaten zu verhängnisvollen Folgen für die Menschheit führen könnten. Ich befinde mich auch deshalb noch in einer schwierigen Lage, weil ich in London mit Premierminister Macmillan konferieren werde, der sich zweifellos für den Inhalt unserer Unterredungen interessiert. Ich werde sagen müssen, daß in sechs Monaten die Ereignisse eintreten, von denen Sie sprechen. Das werden Ereignisse sein, die ich am allermeisten verhütet wissen wollte. Wir werden uns von Angesicht zu Angesicht gegenüber stehen, gebunden durch völlig gegensätzliche Verpflichtungen, was zu verhängnisvollen Folgen führen muß. Ich bedaure, daß ich bei einer solchen Lage der Dinge aus Wien abreisen muß.

Chruschtschow: Wir wollen Frieden.

Kennedy: Wenn ich den Frieden nicht wollte, wäre ich nicht hierher gekommen. Es ist leicht, einen Krieg zu entfesseln, Herr Vorsitzender, aber es ist schwer, den Frieden zu sichern.

Chruschtschow: Ich habe drei Kriege erlebt, Herr Präsident, und ich weiß, was er dem Volk bringt. Nicht ich bin es, der mit Krieg droht, sondern Sie. Ich nehme lediglich Ihre Herausforderung an, denn wenn Sie den Krieg beginnen, werden wir antworten müssen.

Kennedy: Sie wollen also die bestehende Lage ändern.

Chruschtschow: Ich will Frieden und einen Friedensvertrag mit Deutschland. Wenn ich Grenzen ändern oder andere Völker erobern wollte, dann wären Sie tatsächlich verpflichtet, sich zu verteidigen. Wir wollen jedoch nur den Frieden.

Drohungen von Ihrer Seite werden uns nicht aufhalten. Wir wollen keinen Krieg, wenn Sie ihn uns aber aufzwingen sollten, wird es einen geben. Das können Sie also Macmillan, de Gaulle und Adenauer sagen. Beachten Sie also, Herr Präsident, daß dies unser unumstößlicher Entschluß ist und wir den Friedensvertrag im Dezember dieses Jahres unterzeichnen werden.

Kennedy: Ja, es scheint einen kalten Winter zu geben in diesem Jahr.

Chruschtschow: Wir werden von unserem Entschluß nicht abgehen, aber ich glaube, daß trotzdem Frieden sein wird und daß sich nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages unsere Beziehungen auf dem Wege der Freundschaft und der Zusammenarbeit entwickeln werden.

Kennedy: Wir konnten mit Ihnen leider keine gemeinsame Auffassung in den erörterten Fragen erzielen, aber ich danke Ihnen aufrichtig, Herr Vorsitzender, für Ihre Gastfreundschaft sowie für den liebenswürdigen und höflichen Ton, in dem Sie die Unterredungen mit mir geführt haben.

Damit waren die Unterredungen zwischen N.S. Chruschtschow und John F. Kennedy vom 3. und 4.Juni 1961 in Wien abgeschlossen.

Quelle: SAPMO-BArch, DY 30/3663
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