Aktennotiz von Heinrich Albertz, Chef der Senatskanzlei des Senats von Berlin, 24. November 1961
Aktennotiz von Heinrich Albertz, Chef der Senatskanzlei des Senats von Berlin, 24. November 1961Abschrift
GEHEIM
CdS/Ru
Vermerk:
Ich hatte vor und nach dem 13. August ständigen Kontakt mit den Berliner Dienststellen des Verfasungsschutzes und dem Bundesnachrichtendienst. Nachrichtendienstliche Hinweise auf die Ereignisse des 13. August und des 23. August sind mir nicht gegeben worden. Anfang September sind lediglich laufend nachrichtendienstliche Erkenntnisse über eine angebliche Störung des zivilen Luftverkehrs zwischen Berlin und der Bundesrepublik gegeben worden, die sich dann nicht bewahrheiteten.
Zur Frage, ob die Alliierten, insbesondere die Amerikaner, von dem Ereignis des 13. August vorher von der sowjetischen Seite orientiert worden waren, liegen hier keine unmittelbaren Erkenntnisse vor. Die Berliner Zeitung "Der Kurier" veröffentlichte am 16. August eine entsprechende Meldung (siehe Anlage). Diese Meldung wurde sofort von der amerikanischen Seite energisch dementiert.
Auf der anderen Seite kann ich nicht verschweigen, daß mir als dem leitenden Beamten, der am 13. August ab etwa 2.30 Uhr morgens für den Einsatz der Berliner Verwaltung und für die Übermittlung alliierter Weisungen an den Kommandeur der Schutzpolizei verantwortlich war, der Verdacht nicht unbegründet zu sein scheint, daß die alliierten Stellen sehr genau wußten, es würden bei dieser Aktion Westberliner Gebiet und alliierte Hoheitsrechte in Berlin nicht verletzt werden. Anders ist die Reaktion der Amerikaner, die zu diesem Zeitpunkt den Vorsitz in der Alliierten Kommandantur führten, in den frühen Morgenstunden des 13. August nicht erklärlich. Die Kommandanten traten erst um 9.00 Uhr morgens zu einer Besprechung zusammen, zu der erst zwei Stunden später der Herr Regierende Bürgermeister hinzugezogen wurde.
Umgekehrt haben die Alliierten bei der ersten Verletzung Berliner Hoheitsgebietes in der Nacht zum 23. August, nämlich bei der Verkündung des sogenannten 100-Meter-Streifens, sofort mit militärischen Maßnahmen reagiert. Es scheint mir aus diesen Erfahrungen nicht ausgeschlossen zu sein, daß die alliierte Seite zwar nicht über den Zeitpunkt, aber über das Vorhaben des 13. August orientiert war.
Zu der Frage, ob am 13. August und vielleicht an den darauffolgenden Tagen die bewaffneten Formationen in Ostberlin nicht mit scharfer Munition ausgerüstet waren oder diese scharfe Munition unter Verschluß lag, gab es Hinweise der Nachrichtendienste, daß diese Formationen bei einer bewaffneten Aktion der Alliierten voraussichtlich keinen Widerstand hätten leisten können. Mir ist es nicht möglich, diese Hinweise auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen.
Ganz sicher ist aber, daß in Ostberlin und in der Zone von der deutschen Bevölkerung noch bis etwa 16. August ein Eingreifen der Alliierten erwartet wurde. Nach Informationen aus kirchlichen Kreisen, die in aller Regel besonders glaubwürdig sind, ist erst gegen Ende der Woche nach dem 13. August diese Hoffnung in Resignation und stumme Verzweiflung umgeschlagen.
Berlin, den 24. November 1961
Albertz
Quelle: Landesarchiv Berlin, B Rep. 002, 12292/I.