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Solidaritäts-Erklärung von 95 britischen Politikern, Schriftstellern, Publizisten und Wissenschaftlern mit der West-Berliner Bevölkerung, September 1961

Solidaritäts-Erklärung von 95 britischen Politikern, Schriftstellern, Publizisten und Wissenschaftlern mit der West-Berliner Bevölkerung, September 1961

Abschrift

1939 hat in der Hauptstadt des Nazi-Reichs ein fanatischer Diktator sein Land in einen Weltkrieg gestürzt, in dem ihm schließlich mehr als fünfzig Nationen gegenüberstanden. Als er sechs Jahre später in Berlin seinen Tod fand, hofften die Menschen der ganzen Welt, daß nun eine Ära des Friedens eintreten werde. Doch aus den Ruinen Berlins erstand kein Friede, die Stadt wurde zwischen den westlichen und östlichen Eroberern aufgeteilt, und zwei verschiedene Regime entstanden in Deutschland, das heute noch seine Wiedervereinigung ersehnt.

Die Unterzeichneten glauben, daß niemand in unseren Reihen gegenüber dem Geschick Berlins gleichgültig bleiben kann. Es geht uns alle an. Wir haben alle irgendwann unser Wort verpfändet. Es schmerzt uns, daß diese Stadt, die nichts anderes will, als ihre eigenen Angelegenheiten und ihr Geschick in Freiheit selbst zu ordnen, von neuem der Gegenstand von Drohungen und internationalen Spannungen ist.

Begreiflicherweise beunruhigt diese Tatsache nicht nur Europäer und Amerikaner, sondern die Gemeinschaft aller Nationen. Manchen mögen die vorliegenden diplomatischen und juristischen Fragen sehr kompliziert erscheinen, andere wieder werden die politische und militärische Haltung, die von den verschiedenen Mächten eingenommen wird, als strittig betrachten. In einem aber müssen alle übereinstimmen, ob sie nun innerhalb oder außerhalb der Vereinten Nationen stehen: in der leidenschaftlichen Sorge um die Zukunft der Freiheit in Berlin.

Zwei Millionen Berliner, die Bewohner der sogenannten Westsektoren, leben gegenwärtig in einer freiheitlichen Ordnung. Seit fünfzehn Jahren genießen sie die Vorzüge einer friedlichen und fortschrittlichen Lebensform. Sie haben ihre Abgeordneten und ihre Bürgermeister in freien Wahlen gewählt und alle politischen und kommunalpolitischen Fragen in den Spalten einer unabhängigen, die verschiedensten Standpunkte vertretenden Presse diskutieren können. Sie schicken ihre Kinder in Schulen ihrer Wahl und auf die Freie Universität Berlin und sind in der Ausübung ihres Glaubens unbehindert. Sie haben ein geregeltes Gemeinwesen im Schutze des Gesetzes errichtet, in dem kein Staatsbürger eine willkürliche Verhaftung zu befürchten hat und jeder Flüchtling, ob er nun politischer Verfolgung oder nur der Not zu entrinnen sucht, auf ein Asyl rechnen darf. Immer wieder haben die Berliner sich auf das entschiedenste zu dieser freien und demokratischen Lebensform bekannt und damit zu dem Prinzip der Selbstbestimmung, zu dem sich so viele politische Führer unserer Epoche - von Lenin und Woodrow Wilson bis zu Nehru und Nkrumah, ja sogar Chruschtschow - von Fall zu Fall bekannt haben.

Heute gilt unsere Sorge der Freiheit in Berlin. In diesen Tagen offenkundiger Verwirrung und Gewissenserforschung wollen wir der Bevölkerung des freien Berlin bekunden, daß wir ihre Bürgerrechte und demokratischen Einrichtungen unterstützen, ebenso wie ihr Bestreben, nicht das Opfer einer aggressiven Machtpolitik und freiheitsfeindlicher Neuordnungsversuche zu werden.

Die Freiheit in Berlin darf nicht verraten werden, wenn man nicht seine Ehre und seine Überzeugungen verleugnen und zugleich auch die gefährdete Grundlage der europäischen Sicherheit untergraben will.

Die Freiheit in Berlin muß verteidigt und aufrechterhalten werden, denn sie ist das Wahrzeichen für die Bestrebungen aller Völker, ihr eigenes Leben ohne Furcht und ohne fremde Einmischung zu leben. Das freie Berlin ist für uns alle eine Friedens- und Freiheitsgrenze. Wir drücken seinen Bürgern aus ganzem Herzen unsere Verbundenheit aus.

Die Erklärung wurde dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, Brandt, überreicht und trug folgende Unterschriften:

Lord Altrincham; Lord Attlee, früherer Premierminister; W. H. Auden, Dichter; Alice Bacon, MP; Honor Balfour, Journalist; Max Beloff, Professor, Oxford University; William Blyton, MP; Mark Bonham Carter, Verleger; Lady Violet Bonham Carter; Jennifer Bourdillon, Schriftstellerin; Bessie Braddock, MP; D. W. Brogan, Professor, Cambridge University; George Brown, MP, stellvertretender Leiter der Labour Party; Alastair Buchan, Direktor des Institute for Strategic Studies; G. R. Chetwynd, MP; Randolph Churchill, Schriftsteller; Colin Clark, Direktor des Institute for Research in Agricultural Economics, Oxford; Cyrol Connolly, Literaturkritiker, Sunday Times; Robert Conquest, Dichter und Schriftsteller; Edward Crankshaw, Schriftsteller, The Observer; Aidan Crawley, Schriftsteller, Fernseh-Kommentator; C. A. R. Hosland, MP; Brian Crozier, Schriftsteller, The Economist; Alan Day, Professor, London School of Economics; Geoffrey de Freitas, MP; Sefton Delmer, Journalist; Desmond Donelly, MP; Charles Fenby, Verleger, Westminster Press; Constantine Fitzgibbon, Schriftsteller; Dingle Foot, MP, Q. C. (Queen's Council); Lindley Frazer, BBC-Kommentator; T. R. Fyvel, Schriftsteller, Journalist; Sir John Gielgud, Schauspieler; Jan Gilmour, Verleger, The Spectator; Jo Grimond, MP, Leiter der Liberal Party; Sebastian Haffner, Journalist; Rt. Hon. Viscount Hall; Michael Hamburger, Schriftsteller und Kritiker; Iain Hamilton, Verleger; Anthony Hartley, Journalist; Sir William Hayter, Dekan des New College, Oxford, und ehemaliger Botschafter in Moskau; May Hayward, Oxford University; Lord Henderson, ehemaliger Staatssekretär; Rayner Heppenstall, Schriftsteller; Douglas Houghton, MP; Michael Howard, King's College, London University; G. F. Hudson, St. Anthony's College, Oxford University; Gledwyn Gughes, MP; Sir Julian Huxley, Wissenschaftler und ehemaliger Generalsekretär der UNESCO; John Hynd, MP, früherer Minister für die britische Zone in Deutschland und Österreich; Brian Inglis, Chefredakteur, The Spectator; A. J. Irvine, MP, Q. C. (Queen's Council); Barbara Ward Jackson, Schriftstellerin; John Lehmann, Literaturkritiker und Redakteur; C. S. Lewis, Professor, Cambridge University; Lord Listowel; Richard Löwenthal, Journalist und Professor an der Freien Universität Berlin; Lord Longford (früher Lord Pakenham), ehemaliger Minister für Deutschlandfragen der Labour Regierung; Roderick Mac Farquar, Chefredakteur, The China Quarterly; E. L. Mallalieu, MP, Q. C. (Queen's Council); John Mander, Schriftsteller, New Statesman; Roy Mason, MP; Christopher Mayhew, MP; James Morris, Schriftsteller und Journalist; Lord Morrison, früherer Außenminister; Malcolm Muggeridge, Journalist und Fernseh-Kommentator; Sir Harold Nicolson, Schriftsteller und Literaturkritiker, The Observer; William Plomer, Dichter; Michael Polanyi, Professor, Oxford University; Laurens van der Post, Schriftsteller; R. E. Prentice, MP; John Douglas Pringle, stellvertretender Chefredakteur, The Observer; Terence Prettie, Bonner Korrespondent, The Guardian; Goronwy Rees, Schriftsteller; G. W. Reynolds, MP; Alan Ross, Chefredakteur, London Magazine; Leonard Shapiro, Professor, London School of Economics; Hugh Seton-Watson, Professor, University of London; Denis Mack Smith, Professor für Geschichte, Cambridge University; Stephan Spender, Chefredakteur, Encounter; Lord Stonham; Rt. Hon. John Strachey, MP, ehemaliger Verteidigungsminister; Jeremy Thorpe, MP; Hugh Trevor-Roper, Regius, Professor für Geschichte, Oxford University; John Wain, Schriftsteller und Kritiker; Sam Watson; C. V. Wedgwood, Professor für Geschichte; Rebecca West, Schriftstellerin und Kritikerin; Angus Wilson, Schriftsteller; Guy Wint, St. Antony's College, Oxford University; Peregrine Worsthorne, stellvertretender Chefredakteur, Sunday Telegraph; Woodrow Wyatt, MP; Michael Young, Soziologe, Cambridge University.

Quelle: Pressedienst des Landes Berlin Nr. 200, 13. September 1961; dok. in: Dokumente zur Deutschlandpolitik, IV. Reihe, Band 7, Erster Halbband, 12. August – 30. September 1961, hg. v. Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, Frankfurt/Main 1976, S. 427

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