Erklärung der NATO-Gipfelkonferenz in London, 6. Juli 1990
Erklärung der NATO-Gipfelkonferenz in London, 6. Juli 1990Abschrift
Mit der Vereinigung Deutschlands wird auch die Teilung Europas überwunden. Das geeinte Deutschland im Atlantischen Bündnis freiheitlicher Demokratien und als Teil der wachsenden politischen und wirtschaftlichen Integration der Europäischen Gemeinschaft wird ein unentbehrlicher Stabilisator sein, den Europa in seiner Mitte braucht. Die Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft zu einer Politischen Union, einschließlich des Entstehens einer europäischen Identität im Bereich der Sicherheit, wird auch zur atlantischen Solidarität und zur Schaffung einer gerechten und dauerhaften Friedensordnung in ganz Europa beitragen.
Mit dem Abzug sowjetischer Truppen aus Mittel- und Osteuropa und der Durchführung eines Vertrages über die Begrenzung konventioneller Streitkräfte verändern sich die integrierte Streitkräftestruktur und die Strategie des Bündnisses grundlegend; sie werden dann folgende Elemente umfassen:
- Das Bündnis wird über kleinere und umstrukturierte aktive Streitkräfte verfügen. Diese Streitkräfte werden hochmobil und anpassungsfähig sein, so daß den Verantwortlichen der Allianz bei der Entscheidung über die Reaktion auf eine Krise ein Höchstmaß an Flexibilität gegeben ist. Das Bündnis wird sich zunehmend auf multinationale Korps abstützen, die sich aus nationalen Einheiten zusammensetzen.
- Das Bündnis wird den Bereitschaftsgrad seiner aktiven Einheiten herabsetzen und die Ausbildungserfordernisse sowie die Zahl der Übungen verringern.
- Das Bündnis wird sich stärker auf die Fähigkeit verlassen, umfangreiche Streitkräfte dann wieder aufzustellen, wenn sie erforderlich werden.
In diesem Zusammenhang wird das Bündnis neue Streitkräftepläne ausarbeiten, die den revolutionären Veränderungen in Europa Rechnung tragen. Die NATO wird ferner ein Forum für Bündniskonsultationen über die bevorstehenden Verhandlungen über nukleare Mittel kürzerer Reichweite schaffen.
Wir schlagen ferner vor, daß der KSZE-Gipfel in Paris beschließt, wie die KSZE institutionalisiert werden kann, um ein Forum für den breiteren politischen Dialog in einem einigeren Europa zu sein. Wir empfehlen, daß die Regierungen der KSZE-Staaten vereinbaren:
- ein Programm für regelmäßige Konsultationen, mindestens einmal im Jahr, auf Ebene der Staats- und Regierungschefs oder der Minister, wobei weitere regelmäßige Treffen von Beamten diese Konsultationen vor- und nachbereiten sollen;
- einen Zeitplan für KSZE-Folgetreffen alle zwei Jahre, um die Fortschritte in Richtung auf das eine und freie Europa zu bewerten;
- ein kleines KSZE-Sekretariat, um diese Treffen und Konferenzen zu koordinieren;
- einen KSZE-Mechanismus, um Wahlen in den KSZE-Staaten auf der Grundlage des Kopenhagener Dokuments zu beobachten;
- ein KSZE-Zentrum für Konfliktverhütung, das als Forum dienen könnte zum Austausch militärischer Informationen, zur Diskussion ungewöhnlicher militärischer Aktivitäten sowie zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen KSZE-Mitgliedstaaten;
- ein parlamentarisches KSZE-Gremium, die europäische Versammlung, auf der Grundlage der bestehenden parlamentarischen Versammlung des Europarates in Straßburg unter Einbeziehung von Vertretern aller KSZE-Mitgliedstaaten.
Quelle: Bulletin, hg. vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Nr. 90. 10.7.1990, S. 777 ff, dok. in: Deutsche Außenpolitik 1990/91. Auf dem Weg zu einer europäischen Friedensordnung, hrsg, vom Auswärtigen Amt, Bonn 1991, S.133-134.