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Brief Erich Honeckers an Leonid Breschnew, 26. November 1980

Brief von SED-Generalsekretär Erich Honecker an KPdSU-Generalsekretär Leonid Breschnew, 26. November 1980

Abschrift

Werter Genosse Leonid Iljitsch!

Wir haben im Politbüro des ZK der SED die gegenwärtige Lage in der Volksrepublik Polen erörtert und sind einmütig zum Schluß gekommen, daß es eine dringende Notwendigkeit gibt, ein Treffen der Generalsekretäre bzw. Ersten Sekretäre der Kommunistischen Parteien unserer Staatengemeinschaft durchzuführen. Wir glauben, daß man mit dem Genossen S. Kania gemeinsam die in der VR Polen entstandene Situation besprechen sollte, um kollektive Hilfemaßnahmen für die polnischen Freunde bei der Überwindung der Krise auszuarbeiten, die sich, wie Du es gut weißt, von Tag zu Tag verschärft.

Man kann wohl jetzt schon sagen, daß der Aufenthalt der polnischen Genossen in Moskau und Deine rechtzeitigen guten Ratschläge, die Du ihnen gegeben hast, leider keinen entscheidenden Einfluß auf die Lage in Polen hatten, auf welchen wir alle gerechnet haben.

Nach Angaben, die wir durch verschiedene Kanäle erhalten, greifen konterrevolutionäre Kräfte in der VR Polen ununterbrochen an, und jede Verzögerung ist dem Tod gleich - dem Tod des sozialistischen Polen. Gestern wären unsere gemeinsamen Maßnahmen vielleicht vorzeitig gewesen, heute sind sie notwendig, aber morgen können sie schon verspätet sein.

Es wäre offensichtlich zweckmäßig, daß wir uns für einen Tag in Moskau treffen gleich nach der Tagung des ZK der PVAP, deren Beschlüsse, nach unserer Vorstellung, die Entwicklung der Ereignisse in Polen nicht mehr gründlich werden ändern können.

Soweit es mir bekannt ist, äußern auch die Genossen Husák und Schiwkow den Wunsch, daß wir für die Erörterung dieser Frage dringend zusammenkommen. Es wäre gut, das in der nächsten Woche zu tun. Wir glauben, daß kollektive Ratschläge und mögliche Hilfe der Bruderländer dem Genossen Kania nur von Nutzen sein werden.

Wir bitten Dich, werter Leonid Iljitsch, unsere außerordentliche Besorgnis über die Lage in Polen zu verstehen. Wir wissen, daß Du auch diese Besorgnis teilst.

Mit kommunistischem Gruß
(Unterschrift)
E. Honecker
Generalsekretär des ZK der SED

Quelle: Anlage Nr. 2 zum Protokoll Nr. 48/80 der SED-Politbürositzung vom 28.11.1980, SAPMO-BA, DY 30, J IV 2/2/1868, Bl. 5/6, dok. in: Michael Kubina/Manfred Wilke (Hg.), „Hart und kompromisslos durchgreifen". Die SED contra Polen 1980/81. Berlin 1995, S. 122.
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