Note der Regierung der UdSSR an die Regierungen Frankreichs, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten, 18. August 1961
Note der Regierung der UdSSR an die Regierungen Frankreichs, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten, 18. August 1961Im Zusammenhang mit der Note der USA-Regierung vom 17.8.1961 erachtet es die Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken für erforderlich, das Folgende zu erklären:
- Die Sowjetregierung begreift und unterstützt restlos die Schritte der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, die an der Grenze mit Westberlin eine wirksame Kontrolle eingerichtet hat, um der Wühltätigkeit von Westberlin aus gegen die DDR und andere Länder der sozialistischen Gemeinschaft den Weg zu verlegen.Bei ihren Grenzmaßnahmen hat die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik nur von dem für jeden souveränen Staat üblichen Recht auf den Schutz seiner Interessen Gebrauch gemacht. Jeder Staat errichtet an den Grenzen mit anderen Staaten das Reglement, das es für notwendig und seinen legitimen Interessen entsprechend hält. Wie bekannt, gehört das Reglement der Staatsgrenzen zu den inneren Fragen jedes Staates, und seine Regelung bedarf weder der Anerkennung noch der Zustimmung anderer Regierungen. Die Versuche der USA-Regierung, sich in die inneren Angelegenheiten der Deutschen Demokratischen Republik einzumischen, sind daher völlig unbegründet und fehl am Platze.
- Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika kennt bestimmt sehr wohl die Ursachen, die die Einführung einer Kontrolle über den Grenzverkehr zwischen der DDR und Westberlin notwendig und sogar unausbleiblich werden ließen. Sie selber hat keine geringen Anstrengungen gemacht, um diese Ursachen zu schaffen.Westberlin ist ein Zentrum der subversiven Tätigkeit, der Diversion und der Spionage, in ein Zentrum politischer und wirtschaftlicher Provokationen gegen die deutsche Demokratische Republik, die Sowjetunion und andere sozialistische Länder verwandelt worden. Ehemalige und heutige Führer des Westberliner Magistrats bezeichneten Westberlin zynisch als "Pfahl im Fleische der DDR", als "Frontstadt", als "Störenfried", als "billigste Atombombe im Zentrum eines sozialistischen Staates".Die Tore Westberlins waren für internationale Verbrecher und Provokateure aller Schattierungen weit geöffnet, nur damit die internationalen Spannungen verschärft, das Ausmaß der Provokationen und subversiven Aktionen gegen die Länder der sozialistischen Gemeinschaft erweitert werden konnten.
- Es ist gut bekannt, daß sich in Westberlin mehr als 80 subversive Diversions- und Spionage-Organisationen und -Zentren eingenistet haben und dort ungestraft ihr Unwesen treiben. In seinerzeit den Westmächten übermittelten Dokumenten wurden wiederholt genaue Adressen und Namenslisten von Personen angeführt, die eine feindselige Tätigkeit trieben, welche mit der Lage Westberlins, das sich auf dem Territorium der DDR befindet, unvereinbar ist; die Westberliner Behörden und die Besatzungsorgane der drei Mächte haben jedoch keinen Finger gerührt, um dieser verbrecherischen Tätigkeit ein Ende zu setzen.Die Ursache liegt offenbar darin, daß Westberlin zu einem Tummelplatz von Abenteurern, Hochstaplern, bezahlten Agenten, Terroristen und anderen Verbrechern geworden ist, die den Spionagediensten der ganzen imperialistischen Welt, einschließlich des zentralen Geheimdienstes der USA, des englischen Geheimdienstes, des französischen "Dienstes für auswärtige Dokumentation und Abwehr", der subversiven Spionageorgane der Bundesrepublik Deutschland mit ihren zahlreichen Filialen und Abzweigungen, dienen. Es ist so weit gekommen, daß Westberlin zur Residenz des sogenannten "Amerikanischen Komitees für Befreiung der Völker Rußlands" geworden ist.Es fragt sich, ob derartige Handlungen auch nur das geringste mit der Wahrung des Viermächtestatus gemein haben, der gleich nach der Zerschlagung Hitlerdeutschlands in Berlin errichtet worden ist und auf den man sich in der Note der USA-Regierung beruft. Man muß schon sehr viel Humor besitzen, um zu behaupten, daß die Tätigkeit in Westberlin den von allen vier Mächten eingegangenen Verpflichtungen entspreche.Die sowjetische Seite hatte sich wegen des von den amerikanischen Organen betriebenen Baus eines Tunnels in Alt-Glienicke, der aus Westberlin ins Innere der DDR zu den Fernmeldelinien der sowjetischen Truppen und der DDR geführt wurde, wiederholt an die amerikanischen Behörden gewandt. Der riesige Tunnel war mit speziellen Apparaten und Vorrichtungen zum Abhören und Aufzeichnen der Gespräche auf den erwähnten Fernmeldelinien ausgestattet.Die amerikanischen Behörden, einschließlich des State Departments, die auf frischer Tat ertappt worden sind, ließen diese Proteste sogar unbeantwortet. Ist das etwa die Einhaltung der feierlichen Verpflichtungen, die von den Vereinigten Staaten von Amerika in den vierseitig getroffenen Deutschlandabkommen der alliierten Mächte übernommen worden sind?Der Tunnel in Alt-Glienicke ist aber eine Kleinigkeit im Vergleich zu dem Stollen, den man vom Territorium Westberlins aus täglich und stündlich vortrieb, um die sozialistischen Verhältnisse in der DDR und den anderen sozialistischen Staaten zu untergraben.
- Die Regierung der USA muß doch sehr wohl wissen, daß die herrschenden Kreise der Bundesrepublik Deutschland mit Unterstützung der Besatzungsmächte Westberlin in die Hauptbasis ununterbrochener Wirtschaftssabotage gegen die Deutsche Demokratische Republik verwandelt haben.Auf Kosten der Steuern, die von der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland erhoben werden, wurde in Westberlin ein spekulativer Wechselkurs für die Westmark gegen die Währung der Deutschen Demokratischen Republik willkürlich festgelegt und künstlich aufrechterhalten. In keiner einzigen Stadt der Welt hat es je eine so schamlose Währungsspekulation gegeben - und das unter den Fittichen der Besatzungsbehörden - wie in Westberlin. Der Aufkauf wertvoller Waren und Lebensmittel in der DDR und ihre Ausfuhr nach Westberlin und in die Bundesrepublik Deutschland wurde in riesigem Ausmaß organisiert, was der Bevölkerung und der Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik ungeheuren Schaden zugefügt hat. Die Werktätigen der Deutschen Demokratischen Republik waren genötigt, für die offene Grenze mit Westberlin alljährlich mindestens 3,5 Milliarden Mark zu zahlen.Westberlin führte ein ungesundes und hektisches Leben, faktisch auf Kosten der Bevölkerung der Deutschen Demokratischen Republik und jener Milliarden Subsidien, die den Steuerzahlern der Bundesrepublik Deutschland - ihren Arbeitern, Bauern und Angestellten - aus der Tasche gezogen wurden.Der Löwenanteil dieser Mittel kam Spekulanten, Wühlern und Sabotage-Organisationen zugute. Das war der Lohn für die Rolle, die die "Frontstadt" Westberlin auf Forderung des NATO-Militärblocks im kalten Krieg gegen die sozialistischen Länder spielte.Die Regierungsorgane und die Konzerne der Bundesrepublik Deutschland dirigierten von Westberlin aus eine ganze Armee von Abwerbern, die mittels Betrug, Bestechung und Erpressung einen gewissen Teil der Einwohner der DDR zur Umsiedlung nach Westdeutschland veranlaßten. Dort wurden diese Leute gezwungen, in der Bundeswehr zu dienen, in der Rüstungsproduktion zu arbeiten, und wurden in verschiedene subversive Organisationen hineingezerrt.
- Bei der Durchführung ihres der Sache des Friedens feindlichen, aggressiven und militaristischen Kurses verwandelten die herrschenden Kreise der Bundesrepublik Deutschland Westberlin in eine Arena unverhüllter revanchistischer Treffen und Hetzkundgebungen, gerichtet gegen die benachbarten friedliebenden sozialistischen Staaten.Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland hat ihre Bemühungen nicht verhehlt, die Einwohnerschaft Westberlins in ihre militärischen Vorbereitungen einzubeziehen. Auf dem Territorium der Stadt betätigen sich Anwerbeinstitutionen der Bundesrepublik Deutschland, die Söldner für die Bundeswehr rekrutieren. Es ist bekannt, daß zur Zeit in der westdeutschen Armee 20 000 Einwohner Westberlins dienen. Die Anwerbung von Soldaten aus der Einwohnerschaft Westberlins spielt offenbar nicht die letzte Rolle bei den Bonner Plänen hinsichtlich dieses Teils der Stadt.Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland war bestrebt, ihren militärischen Plänen auch die Wirtschaft Westberlins anzupassen. Sie verkündete zynisch die Ausdehnung des Wirkungsbereiches von Gesetzen auf Westberlin, die Betriebe der Stadt verpflichten, Rüstungsaufträge der Bundeswehr auszuführen.Von Westberlin aus wurde und wird systematisch eine der Sowjetunion, der DDR und den anderen sozialistischen Ländern feindliche, verleumderische Hetzpropaganda durch Rundfunk und Fernsehen betrieben. Der Rundfunk und das Fernsehen sind in Westberlin völlig in den Dienst der einzigen Aufgabe gestellt - Feindschaft zwischen den Völkern zu säen, eine Kriegspsychose zu entfachen, die Organisierung von Unruhen zu versuchen, den Agenturen der westlichen Spionagedienste chiffrierte Anweisungen zu übermitteln.Die Regierungen der USA, Englands und Frankreichs haben selber zugegeben, daß Westberlin kein Teil der Bundesrepublik Deutschland ist und nicht von deren Organen verwaltet werden kann. Die Sowjetregierung hat wiederholt die Aufmerksamkeit der Regierung der USA auf die unzulässigen Handlungen der Behörden der Bundesrepublik Deutschland in Westberlin gerichtet, die sowohl mit dem jetzigen Status dieser Stadt als auch mit den Interessen der Ruhe in Europa unvereinbar sind.Nichtsdestoweniger betätigen sich gegenwärtig in Westberlin mehr als 50 staatliche Institutionen der Bundesrepublik Deutschland, die sich ungeniert in alle Angelegenheiten der Stadt einmischen, und Organe des Bundestages und des Bundesrats verkünden ihre rechtswidrigen Ansprüche auf diesen Teil der Stadt.Weshalb geschieht all dies? Dies erklärt sich durch die Duldung und die direkte Begünstigung seitens der westlichen Besatzungsbehörden, die seit langem ihre Verpflichtungen aus dem Viermächteabkommen, auf die sie sich berufen, gegen Dienste eingetauscht haben, die von Westdeutschland als Teilnehmer am aggressiven NATO-Militärblock geleistet werden.Deshalb haben sie kein einziges mal auch nur auf eine einzige gerechte Forderung der Sowjetunion und der Regierung der DDR reagiert, Maßnahmen zur Unterbindung der internationalen Provokationen zu treffen, die von den militaristischen und revanchistischen Kräften der Bundesrepublik Deutschland von Westberlin aus organisiert werden.
- Die Deutsche Demokratische Republik hat seit vielen Jahren große Geduld gegenüber dieser zutiefst empörenden und völlig unzulässigen Lage geübt. Bei der Durchführung ihrer konsequent friedensdienlichen und demokratischen Politik hat sie riesige Opfer gebracht, um eine Übereinkunft zwischen den beiden deutschen Staaten in den Fragen der Friedensregelung und der Wiedervereinigung Deutschlands auf friedlicher und demokratischer Grundlage zu erleichtern.Trotzdem hat, besonders in der letzten Zeit, seit der Unterbreitung der Vorschläge auf den unverzüglichen Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland und eine Normalisierung der Lage in Westberlin auf dessen Grundlage, die Wühltätigkeit von Westberlin aus gegen die DDR und andere sozialistische Länder noch größere Ausmaße angenommen. Die Feinde des Friedens und der Ruhe in diesem Raum haben dabei keine einzige Gelegenheit versäumt, um die Pläne des sozialistischen Aufbaus in der DDR zu stören, der Hebung des Wohlstandes ihrer Bevölkerung Hindernisse in den Weg zu legen, mit allen Mitteln auf das skrupelloseste die Lage in der Republik zu erschweren.Es ist deshalb durchaus verständlich, daß die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, bestrebt, keine Komplikationen in der jetzigen internationalen Lage zuzulassen, und in Übereinstimmung mit dem Appell der sozialistischen Teilnehmerstaaten am Warschauer Vertrag, entsprechende Maßnahmen zum Schutze ihrer staatlichen Interessen und der Interessen der Sicherheit der anderen sozialistischen Länder getroffen hat.
- Als die UdSSR, die USA, England und Frankreich Ende des zweiten Weltkrieges und nach der Zerschlagung Hitler-Deutschlands ihre historischen Abkommen schlossen, legten sie ein gemeinsames Programm zur Erneuerung des Lebens Deutschlands auf demokratischen, friedlichen Grundlagen fest. Dieses Programm ist auf dem Territorium der Deutschen Demokratischen Republik verwirklicht worden.Bedauerlicherweise hat die Entwicklung in Westdeutschland, worauf die Regierung der UdSSR wiederholt aufmerksam gemacht hat, den Weg des Wiedererstehens des Militarismus genommen, und jetzt gedeihen aufs neue die den Frieden gefährdenden chauvinistischen und revanchistischen Kräfte, die Inspiratoren und Organisationen der Hitleraggression waren.Die Westmächte haben dies selber gefördert und alle Grundlagen der vierseitigen Nachkriegsabkommen gröblich verletzt. In ihrer Note vom 17. August d.J. versucht die Regierung der USA, sich auf die eben von den USA selbst verletzten vierseitigen Deutschlandabkommen zu berufen. Kann man denn aber, nachdem man das Ganze zerstört hat, irgendeinen für sich vorteilhaften Teil des Abkommens aufrechterhalten? Und haben sich denn die Regierung der USA und ihre Organe in Westberlin in der Praxis von den Prinzipien der vierseitigen Abkommen leiten lassen, an die sie jetzt appellieren?Hat denn die separate Währungsreform, die von Westdeutschland aus auf Westberlin ausgedehnt wurde, den vierseitigen Prinzipien entsprochen? Oder hat die Schaffung der Bizone und des separaten Magistrats in Westberlin diesen Prinzipien entsprochen?Oder lassen sich etwa nach Meinung der Regierung der USA der separate dreiseitige Besatzungsstatus für Westberlin und die Pariser Abkommen über eine Wiederaufrüstung der Bundesrepublik Deutschland und deren Einbeziehung in die NATO mit diesen vierseitigen Prinzipien vereinbaren? Oder entsprechen vielleicht die oben angeführten subversiven Akte von Berlin aus gegen die UdSSR, die DDR und andere Länder gleichfalls den Prinzipien der vierseitigen Zusammenarbeit?Es genügt, diese Fragen zu stellen, um die ganze Haltlosigkeit und Absurdität der Hinweise der USA-Regierung auf die genannten Abkommen zu begreifen.
- Die Hinweise der Westmächte auf die alliierten Abkommen sind auch deshalb haltlos, weil diese Abkommen für die Periode der Besetzung Deutschlands und für die Ziele der Besetzung geschlossen worden sind. In den verflossenen sechzehneinhalb Jahren hat sich viel gewandelt, hat sich auch das Antlitz Deutschlands selbst verändert. Auf seinem Territorium sind zwei selbständige Staaten mit eigenen Hauptstädten und Grenzen entstanden - die sozialistische, friedliebende Deutsche Demokratische Republik und die kapitalistische, militaristische Bundesrepublik Deutschland.Sich in die Angelegenheiten dieser beiden deutschen Staaten einzumischen, soweit sie zu Fragen ihrer inneren Kompetenz gehören, ist niemand berechtigt. Man kann diese realen Tatsachen anerkennen oder nicht - sie hören deshalb nicht auf zu bestehen.Die Regierung der USA sucht in ihrer Note das Streben nach einer Verewigung der Besetzung Westberlins (und dies 16 Jahre nach Kriegsende!) als Sorge für die Deutschen und geradezu als einen konkreten Ausdruck des Selbstbestimmungsrechtes hinzustellen. Solche Versuche können natürlich nicht ernst genommen werden.Und wenn die Ergreifung der Schutzmaßnahmen an der Grenze der DDR mit Westberlin gewisse zeitweilige Unbequemlichkeiten für die Bevölkerung der Stadt schafft, so muß die Schuld daran voll und ganz den Besatzungsbehörden und der Regierung der Bundesrepublik Deutschland zugeschrieben werden, die alles getan haben, um eine Gesundung der Lage in diesem Gebiet, unter Berücksichtigung der rechtmäßigen Interessen aller Staaten, nicht zuzulassen. In Anbetracht dessen entbehrt der in der Note der USA-Regierung erhobene Protest aller Grundlagen und wird von der Sowjetregierung kategorisch zurückgewiesen.
- Wie bereits erklärt worden ist, sind die von der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik getroffenen Maßnahmen zeitweilig. Die Sowjetregierung hat wiederholt betont, daß der Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland und die Normalisierung der Lage in Westberlin auf seiner Grundlage die Interessen keiner der Seiten schmälern und für den Frieden und die Sicherheit aller Völker von Nutzen sein werden. Dazu fordern sie denn auch die Regierung der USA auf.
Quelle: Dokumente zur Deutschlandpolitik IV/7 (1961), S. 133-38