Anlage Nr. 2 zum Protokoll Nr. 24 vom 6. Juni 1961 der Sitzung des Politbüros des Zentralkomitees der SED
Anlage Nr. 2 zum Protokoll Nr. 24 vom 6. Juni 1961 der Sitzung des Politbüros des Zentralkomitees der SEDNicht zur Verwendung in der Öffentlichkeit!
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Niederschrift über die wichtigsten Gedanken, die Genosse Mikojan in einem Gespräch mit Genossen Leuschner in kleinstem Kreis (leitende sowjetische Genossen und die Genossen der deutschen Delegation) äußerte.
Genosse Mikojan sagte sinngemäß etwa folgendes:
Eure Fragen und Probleme sind nicht nur eine Sache der DDR, eine Sache Deutschlands, sondern es sind grundsätzliche Fragen des Kommunismus, sie haben Bedeutung im Weltmaßstab.
Er habe ein Gespräch mit Attlee gehabt. A. ist ein hochbetagter Mann. Es sei ein sehr offenes Gespräch geführt worden. A. vertrat dabei die Meinung, daß seiner tiefsten Überzeugung nach der Sozialismus, der Kommunismus etwas für unterentwickelte Länder sei, dort sei der Sieg des Sozialismus/Kommunismus gesetzmäßig. Aber für hochentwickelte Industriestaaten des Westens sei der Sozialismus/Kommunismus absurd.
Hier hat A. eine in der gesamten kapitalistischen Welt weit verbreitete Meinung ausgesprochen. Es ist also eine sehr grundsätzliche Frage für den internationalen Kommunismus, daß sich der Sozialismus/Kommunismus auch in einem hoch entwickelten Industriestaat als richtig und überlegen erweist.
Die DDR ist ein solcher Staat. Sie ist der westliche Vorposten des sozialistischen Lagers. Deshalb schauen viele, sehr viele auf die DDR. In der DDR wird sich unsere Weltanschauung, unsere marxistisch-leninistische Theorie beweisen müssen. In der DDR wird sich beweisen müssen, daß es falsch ist, was die Kapitalisten und die Renegaten sagen.
Die DDR, Deutschland, ist das Land, in dem sich entscheiden muß, daß der Marxismus-Leninismus richtig ist, daß der Kommunismus auch für Industriestaaten die höhere, bessere Gesellschaftsordnung ist. Und weil das so ist, deshalb ist die Bewährung des Sozialismus in Deutschland nicht nur Eure Sache allein. Der Nachweis für die Richtigkeit des Marxismus-Leninismus in Deutschland ist eine grundsätzliche Frage für die kommunistische Weltbewegung.
Einige Bedingungen bei Euch sind sehr kompliziert und schwierig.
Ihr habt schlechtere Ausgangsbedingungen als Westdeutschland, besonders beim Standpunkt der Verteilung der Produktivkräfte sowie der wirtschaftlichen Ressourcen überhaupt. Es gibt eine Menge anderer Faktoren, die ebenfalls von Bedeutung sind. Wir haben z.B. Reparationen bei Euch herausgeholt. Das liegt zwar etwas zurück, aber es spielt natürlich eine Rolle. Jetzt helfen wir Euch.
Zur Zeit hat Westdeutschland eine Konjunktur. Verschiedene besondere Faktoren wirken dabei mit. Westdeutschland hat verglichen zu den USA ein bedeutend höheres Entwicklungstempo. Aber es zeigen sich bereits jetzt immer stärker bestimmte Widersprüche aufgrund der Konkurrenz der einzelnen imperialistischen Gruppen, z.B. zwischen Amerika und Westdeutschland, aber auch innerhalb der NATO. Es werde auch die Zeit kommen, wo das in Westdeutschland schlechter gehen wird. Wir sollen optimistisch sein.
Die Grundfrage ist und bleibt: Einholen und überholen. Das wird nicht in einem Jahr der Fall sein. Das kann mehrere Jahre, das kann 5 oder 10 Jahre dauern. Der Marxismus ist in Deutschland geboren worden und hier, in einem hochentwickelten Industrieland, muß er seine Richtigkeit und Bewährung beweisen. Wir müssen alles tun, damit die Entwicklung bei Euch immer und stetig aufwärts geht. Ihr könnt das nicht allein lösen. Dabei muß und wird die Sowjetunion helfen. Von diesen weltpolitischen Fragen gehen wir bei der Hilfe und Unterstützung für die DDR aus.
Wie gesagt, für uns sind das große politische Fragen, die in ihrer Bedeutung weit über die DDR hinausgehen.
Wir gehen an diese Fragen als Kommunisten heran. Es ist doch so, daß wir bei uns noch einen geringeren Lebensstandard als in der DDR haben. Manche fragen sogar bei uns, warum gebt ihr den Deutschen so viel. Sie leben doch besser als wir. Man kann den Fragern nicht einmal böse sein. Erklären kann man das den Menschen nur vom Standpunkt der historischen Verantwortung, die wir gegenüber der Entwicklung des Kommunismus in der Welt haben.
Nehmen wir Korea. Hier ist die Lage ganz anders als in Deutschland. Die Situation ist hier in mehr als einer Hinsicht geradezu umgekehrt. Die Verhältnisse in Südkorea sind gräßlich. Sie sprechen eindeutig für den Kommunismus und gegen die amerikanische Herrschaft und Lebensweise. Dort hat sich der Kapitalismus selber runtergewirtschaftet, dort hat er bankrott gemacht. In Deutschland ist das anders. Da müssen wir noch tüchtig aufholen. Und gegenüber Westdeutschland können und dürfen wir uns einen Bankrott nicht leisten.
Wenn der Sozialismus in der DDR nicht siegt, wenn der Kommunismus sich nicht hier als überlegen und lebensfähig erweist, dann haben w i r nicht gesiegt. So grundsätzlich steht für uns die Frage. Deshalb können wir auch bei keinem anderen Land so herangehen. Und das ist auch der Grund, daß die DDR bei Verhandlungen oder bei Krediten an erster Stelle steht.
Eure Partei, die SED, hat deshalb eine große Verantwortung. Ihr arbeitet ordentlich und Ihr werdet die Möglichkeit haben, die Überlegenheit zu beweisen, wenn man Euch hilft.
Quelle: ZZF