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von Plato, Alexander: Die Vereinigung Deutschlands – ein weltpolitisches Machtspiel

(Auszug)

von Plato, Alexander: Die Vereinigung Deutschlands – ein weltpolitisches Machtspiel
Natürlich war der Mauerfall für fast alle befragten internationalen und nationalen Politiker ein weltpolitisches Ereignis, das jedoch unterschiedlich überraschte. Alle erinnern sich, wo sie an diesem Tage waren. Viele waren beeindruckt von der bei Deutschen nicht vermuteten Lockerheit, der Gewaltlosigkeit, den tanzenden Menschen auf der Mauer und der allgemeinen Jubelstimmung. Manche hatten es vorhergeahnt. Besonders bei der „Germanistenfraktion" im ZK der KPdSU war diese Ahnung zugleich eine Befürchtung, denn der Mauerfall und die Zustimmung der SED-Führung zur Öffnung der Grenzen gerade in Berlin berührten bekanntlich nicht nur Interessen der Sowjetunion, sondern die Weltgrenze zwischen den Blöcken des Kalten Krieges und in Berlin zudem den Viermächtestatus.

Portugalow: Die Großdemo in Leipzig war für unsere Begriffe der Anfang der Revolution, der ersten und einzigen gelungenen deutschen Revolution. Und wenn Sie die moderne europäische Geschichte Revue passieren lassen, so finden Sie nur einen einzigen Slogan, der es ohne weiteres mit Liberté, Fraternité, Egalité aufnehmen kann, das ist: „Wir sind das Volk". Aber dass sich diese edlen Worte ziemlich schnell, höchstens in ein paar Wochen, ein bisschen abändern und ein bisschen anders klingen und deshalb zur großen Politik gehören würden – das hätte man doch vorausahnen müssen. Die (Germanisten – AvP) haben das vorausgeahnt. Gorbi hat eigentlich keine Vorstellung davon gehabt. Wir sind nicht nur das Volk, wir sind ein Volk, und damit begann die Geschichte der Wiedervereinigung. Damit wurde die Mauer per se morsch. Ich will damit nicht sagen, dass wir voraussehen konnten, wann sie fällt, sie könnte morgen fallen. Und die unglücklichste, ich will sagen: die glücklichste Fehlformulierung von Herrn Schabowski hätte daran nichts geändert.

[...]

Plötzlich wurde die Wiedervereinigung – jahrzehntelang eine Chimäre – eine reale Möglichkeit. Das war vielleicht die wichtigste, eventuell sogar die erschreckende Botschaft des Mauerfalls für westliche Staatsführer mit Ausnahme Bushs und natürlich Kohls. Statt der NATO-Sonntagsreden war eine konkrete Politik zu dieser nun möglichen Vereinigung gefragt, mit den notwendigen Schritten unter Klärung der internationalen Voraussetzungen und Bedingungen. Die meisten europäischen Regierungen waren gegen diese sich nun konkret andeutende Vereinigung, nicht nur wegen der potentiellen Machtverschiebung in Mitteleuropa zugunsten Deutschlands, sondern vor allem wegen der zu erwartenden allgemeinen Destabilisierung der Nachkriegsordnung zwischen Ost und West. An dieser Stelle gab es durchaus Ähnlichkeiten in den Befürchtungen der sowjetischen Führung und denen der westeuropäischen Regierungen.

Quelle: Die Vereinigung Deutschlands – ein weltpolitisches Machtspiel, 2., durchgesehene Auflage, Bonn 2003, S. 92ff.
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