Material > Texte der bpb > Schießplatz: Rechts und Links der Mauer

Schießplatz: Rechts und Links der Mauer

Der Geist weht, wo er will


(Auszug)


„Unser Bischof sitzt in Ost-Berlin", sagt Stefan und zuckt mit den Achseln. So sehen wir zwar nicht viel von ihm, aber für das in der Pfarrgemeinde ist das auch nicht wichtig." Stefan, 16, ist engagiert in einer katholischen Jugendgruppe in West-Berlin.

Die Bischöfe der beiden Konfessionen waren einmal für die ganze Stadt zuständig. Nach dem Mauerbau wählte der katholische Bischof von Berlin, Alfred Kardinal Bengsch, ganz bewußt den Ostteil der Stadt zu seinem Amtssitz. Im westlichen Teil ließ er sich vertreten und wirkte weiterhin von Ost-Berlin aus, in der Hoffnung auf eine Wiedervereinigung der Stadt. Daran hinderte auch eine Verfassungsänderung in der DDR 1968 nichts. Nach dieser Änderung sollten sich kirchliche Grenzen an den Grenzen der DDR orientieren.

Anders entschieden sich die evangelischen Kirchenfürsten. 1961 wurde dem damaligen Präsidenten Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), der seinen Wohnort in Ost-Berlin hatte, nach einer bewilligten Reise nach Westdeutschland die Rückreise noch Ost-Berlin nicht erlaubt. Kurt Scharf blieb im Westen und wurde 1964 Berliner Landesbischof. Nach der Verfassungsänderung durch die DDR beschlossen die evangelischen Landeskirchen, die politische Lage zu akzeptieren und für die praktische Arbeit einen „Bund der evangelischen Kirchen in der DDR" zu gründen. 1972 wurde für Ost-Berlin Albrecht Schönherr zum Landesbischof gewählt. Die Ost-Berliner Regionalsynode der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg akzeptierte die Staatsgrenze der DDR als Grenze der kirchlichen Organisation. Biischof Scharf nannte den Beschluss sinnvoll, weil dadurch eine bessere Betreuung der Christen in Ost-Berlin möglich werde.

In der katholischen Kirche änderte sich an den Organisationen nichts. Das liegt an der stärkeren Orientierung an Rom. Heute kann der Berliner Bischof, Joachim Kardinal Meissner, monatlich für zehn Tage die Pfarreien im Westen der Stadt besuchen. Was er nicht immer ausnützt. Er ist, im Unterschied zu seinem Vorgänger Bengsch, „ein Kind der DDR", war vor seiner Berufung nach Berlin Weihbischof in Erfurt. Dennoch: Der universale Anspruch der katholischen Kirche macht vor Staats- oder Landesgrenzen nicht Haft.

Ein katholischer Bischof also für ganz Berlin, zwei evangelische Bischöfe für je einen Teil der Stadt. Für die alltägliche Arbeit in den Pfarreien ist es nicht von großer Bedeutung. Im Alltag hat man links und rechts der Mauer vieles gemeinsam. Das gleiche Gesangbuch, die gleiche Gottesdienstordnung.

Manche Seelsorger glauben, von der Kirche in der DDR lernen zu können. Gerade in einer Zeit der Entkirchlichung. In Ost-Berlin müssen die Christen tagtäglich mit einem religionsfeindlichen System leben, Das schlägt sich in der praktischen Arbeit nieder, auf den Zusammenhalt untereinander. Die wichtigen Dinge werden etwa per „Türklingel" weitergegeben. Persönliche Ansprache von Haus zu Haus steht im Vordergrund. [...]

Quelle: PZ, Nr. 47 "Rechts und Links der Mauer", November 1986, S. 29.
Zum Seitenanfang