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Hoffnung für das geteilte Berlin

Das erste Passierscheinabkommen von 1963

von Sonja Hugi


Am 17. Dezember 1963 wurde das erste Passierscheinabkommen zwischen der DDR-Regierung und dem West-Berliner Senat unterzeichnet. Zu diesem Zeitpunkt war es über zwei Jahre her, seit sich Mütter und Söhne, Brüder, Tanten, Nichten, Enkel, Väter und Großmütter aus Ost- und West-Berlin in die Arme schließen konnten. Nach dem Mauerbau 1961 war es sowohl Ost- wie West-Berlinerinnen und Berlinern nicht mehr möglich die jeweils andere Hälfte ihrer Stadt zu betreten. Das Abkommen ermöglichte den Menschen aus West-Berlin, zwischen dem 19. Dezember 1963 und dem 5. Januar 1964 erstmals wieder Verwandte im Ostteil der Stadt zu besuchen.

Ein hartes Ringen um die Bedingungen und die Umsetzung der Besuchsregelung war diesem Tag vorausgegangen. Die DDR-Regierung wollte das Abkommen als völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch die westdeutsche Bundesregierung verstanden wissen. Die Bundesregierung bestand dagegen darauf, dass es sich um eine rein verwaltungstechnische Vereinbarung zwischen Ost- und West-Berlin handle. Beide Seiten einigten sich schließlich darauf, die Passierscheinanträge von DDR-Postangestellten bearbeiten zu lassen. Die Post war zwar eine staatliche Institution, aber kein Hoheitsträger wie etwa die DDR-Volkspolizei.

Die politischen Dimensionen der Verhandlungen standen für die Menschen in Ost- und West-Berlin vermutlich nicht im Vordergrund. Für sie bedeutete die Unterzeichnung des Abkommens in erster Linie Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen mit ihren Angehörigen. Dass dies nur mit viel Geduld und nicht in allen Fällen möglich war, erfuhren viele schmerzlich beim Versuch, einen der begehrten Passierscheine zu erhalten.

Der Andrang auf die wenigen Passierscheinstellen, die in West-Berlin vor allem in Schulgebäuden eingerichtet wurden, war enorm. In Eiseskälte standen Familien stunden- und tagelang, teilweise sogar in Schichten Schlange vor den Ausgabestellen – um oft unverrichteter Dinge wieder abziehen zu müssen.

Für den Erfolg eines Antrages war der Grad der Verwandtschaft ausschlaggebend. Eltern und Großeltern, Kinder, Enkel, Geschwister, Tanten, Onkel, Nichten, Neffen, Schwägerinnen und Schwager durften sich besuchen, Cousins und Cousinen aber nicht, bei Halbgeschwistern wurde im Einzelfall entschieden. Antragsformulare, Kontrollmarken, blaue, grüne, rote Kontrollabschnitte, Wartenummern und Abholscheine – die bürokratischen Hürden waren beachtlich, die Organisation wirkte chaotisch. Verwirrung und Frustration bei den Antragstellenden waren groß.

Der RIAS strahlte zwischen Dezember 1963 und Januar 1964 Sondersendungen zu Passierscheinfragen aus. In der Sendung versuchte der Moderator Peter Herz, die unzähligen Fragen der West-Berliner zu beantworten und damit gleichzeitig die Ost-Berliner Seite zu informieren: Die Menschen wollten wissen, ob sie ein Pfund Butter oder doch nur ein halbes, eine Ente, eine Filmkamera, eine Flasche Cognac oder gar einen Kühlschrank rüberbringen durften. Leute, die wenige Jahre zuvor aus der DDR geflohen waren, fragten, ob sie Gefahr laufen würden, in Ost-Berlin festgehalten zu werden. Eine berufstätige Mutter, deren gesamte Verwandtschaft in Ost-Berlin wohnte, fragte verzweifelt, wie sie an einen Schein kommen kann. Das stundenlange Anstehen konnte sie sich nicht leisten, sie war auf ihre Arbeit angewiesen, um ihr kleines Kind zu versorgen. Eine ältere Dame erklärte ihre Lage, in der Hoffnung, dass ihre Leute „drüben“ zuhörten: Sie hatte Patenkinder im Ostteil der Stadt, die auf ihren Besuch warteten und nicht zu wissen schienen, dass sie als nicht-Blutsverwandte keine Chance auf einen Passierschein hatte. „Die Nabelschnur ist für die inneren Beziehungen nicht immer entscheidend“, sagte sie mit tränenerstickter Stimme, bevor sie auflegte. Moderator Herz hörte zu, beriet, beschwichtigte und vermittelte.


Das Theater-Label Rimini Protokoll hat 2001 einen Zusammenschnitt der Gespräche bei Deutschlandradio unter dem Titel „Apparat Herz – Sondersendung zu Passierscheinfragen“ veröffentlicht.


Insgesamt besuchten 730.000 Berlinerinnen und Berliner in diesen zweieinhalb Wochen zwischen Dezember 1963 und Januar 1964 Ost-Berlin. Manche kamen sogar mehrmals. So wurden insgesamt 1,2 Millionen Besuche gezählt. Auch in den folgenden Jahren 1964, 1965 und 1966 erlaubten Passierscheinabkommen West-Besuche in Ost-Berlin. Dann wollte sich die DDR-Regierung nicht mehr mit Kompromissen zufriedengeben – die Abkommen hatten auch nach drei Jahren nicht die erhoffte Anerkennung durch die Bundesrepublik erzielt. Erst das Viermächteabkommen brachte 1971 wieder Erleichterungen im Reise- und Besucherverkehr, nicht nur für die Menschen in West-Berlin. Das erste Passierscheinabkommen von 1963 gilt heute als Meilenstein in der neuen Ostpolitik und als Beginn des Konzeptes „Wandel durch Annäherung“.



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