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Nach der Wende ist vor der Besetzung

Auf den Spuren der Wagenburg „East Side“

Der Spreeuferpark an der East Side Gallery war bis zum Mauerfall ein Teil des sogenannten Todesstreifens, der einen Teil der Grenzanlage der Berliner Mauer bildete. Dieser Grenzstreifen wurde ab dem 9. November 1989 zu einem großen Brachland mitten in der Stadt. Dort entstand seit 1991 die größte Wagenburg Berlins, deren Bewohner:innen sich auf ihre ganz eigene Weise an der Mauer verewigten.von Verena Dieck und Maximilian Honig


Großaufnahme eines Teils der Berliner Mauer, die mit Graffitis besprüht ist. Mittig in die Mauer ist ein rotes Eisentor eingelassen und gibt den Blick auf zwei Wohnwagen im Hintergrund frei.
Wer mit dem Bus an der Haltestelle „East Side Gallery“ gegenüber des Mercedes-Platzes aussteigt, erblickt nicht nur die berühmten Gemälde, die diesem Mauerabschnitt seinen Namen gaben, sondern auch einen Durchgang in der Mauer, der mit einem Eisentor versperrt ist. Wie und wann dieser Weg durch die Mauer geschlagen wurde, ist bis heute nicht genau bekannt. Zeitzeug:innen-Aussagen berichten jedoch darüber, dass die Bewohner:innen der Wagenburg an der East Side Gallery den Durchgang erst in den 1990er Jahren schufen, um den Zugang von der Mühlenstraße zu ihrem Wohnort am Spreeufer zu erleichtern. Um nicht immer bis zu einem Ende des damals noch durchgängig geschlossenen 1,3 km langen Mauerstücks laufen zu müssen, schlugen die Wagenburgler:innen offenbar kurzerhand ein Loch hinein.

Wagenburgen sind autonome Wohnsiedlungen aus mobilen Fahrzeugen wie beispielsweise Bau- und Wohnwagen. Sie können große Unterschiede in Bezug auf Lage und Größe, sozialer Zusammensetzung sowie Vereinbarungen bezüglich der Stellplätze und Grundnutzung aufweisen – von illegalen Besetzungen bis hin zu Mietverträgen. Den Gruppen dahinter ging es seit den 1970er Jahren um die Schaffung von Freiräumen und die Realisierung alternativer Lebensstile abseits von staatlichen und kapitalistischen Zwängen. Autonome Räume sind bis heute immer wieder Gegenstand politischer und gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Sie gehören seit dieser Zeit ebenso zum Stadtbild wie deren Räumungen durch die Polizei.

An der East Side Gallery entstand ab 1991 solch eine autonome Wohnform. Sie bestand aus einem Konglomerat vieler kleiner Wagenburgen, in die mehr und mehr Menschen zogen. Zunehmender Platzmangel führte zu sozialen Spannungen. Der wachsende Drogenhandel sowie das Müllproblem verschärften die Lage. Innensenator Jörg Schönbohm sowie Innenstaatssekretär Kuno Böse drängten aufgrund der sich zuspitzenden Situation zur Auflösung der Wagenburg.

Als Ende März 1996 der 19-jährige Andrej Lapatin auf dem Gelände der Wagenburg erstochen wurde, führte die Polizei zahlreiche Razzien durch. Die Presse berichtete über Verdachtsfälle auf Tuberkulose. Am 17. Juli 1996 wurde die East-Side-Wagenburg schließlich von der Polizei geräumt. Dem Spreeuferpark sieht man seine Vergangenheit heute nicht mehr an. Lediglich das unscheinbare Eisentor in der Mauer erinnert heute noch an die Wagenburg an der East Side Gallery.

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