Curriculum Vitae
Ein Blick auf das Werk von Susanne Kunjappu-Jellinek
Seit 1990 bestaunen Besucher:innen aus aller Welt die East Side Gallery. Viele Bilder zeugen von der Freude über das Ende der deutschen Teilung. Aber auch die Gewalt des Grenzregimes wird in der Galerie thematisiert. Hierfür steht das Werk „Curriculum Vitae” von Susanne Kunjappu-Jellinek.von Nina Markert und Ines SchröderBei „Curriculum Vitae” handelt es sich um das 17. Bild der East Side Gallery ausgehend vom Ostbahnhof. In Form einer Zahlenreihe listet die Berliner Künstlerin Susanne Kunjappu-Jellinek die Jahre 1961 bis 1989 einzeln auf und rückt so die Zeit der Teilung in den Vordergrund. Um die Zahlen ranken insgesamt 136 Rosenblüten. Sie markieren am jeweiligen Todesjahr die bis dato bekannte Anzahl der Maueropfer. Im unteren Bereich des Graffiti verdeutlicht ein Text Kunjappu-Jellineks Sichtweise auf die Fluchtversuche vieler DDR-Bürger:innen. Flucht betrachtet sie als legitimes Mittel gegen Unterdrückung und als den Auslöser für den Mauerfall.
Was wenige Besucher:innen wissen: Wie die meisten Kunstwerke der East Side Gallery wurde „Curriculum Vitae“ 2009 erneuert. Graffiti und Witterungseinflüsse hatten die Kunstwerke der East Side Gallery stark beschädigt. Für eine Grundsanierung der Mauer und der Galerie wurden die Bilder entfernt. Zugleich rief die “S·T·E·R·N Gesellschaft der behutsamen Stadterneuerung mbH” die Künstler:innen dazu auf, ihre Originalwerke erneut zu malen. Die meisten folgten dem Aufruf, aber manche äußerten auch Kritik an der Sanierung. Im Zentrum stand das Argument, dass Kunst stets an die Zeit ihrer Entstehung gebunden sei. Der Maler Jim Avignon beispielsweise verweigerte die geplante Nachahmung seines Originals und plädierte für eine Anpassung der Bildinhalte an aktuelle Lebenswelten.
Die heutige Version von „Curriculum Vitae“ weicht deutlich vom Originalwerk ab. Als Kunjappu-Jellinek 1990 die ursprüngliche Fassung erstellte, lebte die ehemalige Ost-Berlinerin bereits seit 19 Jahren im Westen. 1972 war sie wegen “Vorbereitung zur Republikflucht” von den Staatsorganen der DDR inhaftiert und von der Bundesrepublik freigekauft worden. Einreiseverbote trennten sie von ihrer Familie in Ost-Berlin. In ihrem ursprünglichen Werk spiegelten sich die Freude über den Mauerfall und ihre optimistischen Zukunftserwartungen wider. Die Jahre 1989, 1990 und 1991 hatte Kunjappu-Jellinek darin in den Farben Schwarz, Rot und Gold gemalt.
2009 fügte sie einen dunkleren Hintergrund, den Text und die Rosen hinzu. Den Impuls für diese Umgestaltung gaben die Ergebnisse eines Forschungsprojekts zu den Todesopfern an der Berliner Mauer. Mittlerweile gehen Historiker:innen von 140 Toten an der Berliner Mauer aus. Die meisten wurden von DDR-Grenzsoldaten erschossen, manche verunglückten auf der Flucht. Daneben gehören auch Menschen ohne Fluchtabsichten sowie ostdeutsche Grenzsoldaten zu den Opfern.
Tagtäglich kommen zahlreiche Besucher:innen zur East Side Gallery und posieren vor den Kunstwerken. Die Verwendung der Mauer als Selfie-Hintergrund stößt bei Susanne Kunjappu-Jellinek auf Unverständnis. Mit „Curriculum Vitae“ ruft sie zum Gedenken an die Maueropfer auf und leistet einen kritischen Beitrag zur Debatte über die touristische Entwicklung der East Side Gallery. Seit 2018 bietet die Stiftung Berliner Mauer Führungen, Workshops und Veranstaltungen an der Open-Air-Galerie an, um das Gedenken und Lernen am historischen Ort zu fördern.
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