Das erste Weihnachten an der Mauer
Kindheitserinnerungen aus dem geteilten Berlin
Heute ist der Checkpoint Charlie jährlich ein begehrtes Ziel von Millionen Touristen. Früher war er der Lebensmittelpunkt von Monika Scheffe. Zu Kriegsende war sie als Kleinkind mit ihren Eltern von Karlsbad nach Berlin geflohen. Sie wuchs in unmittelbarer Nachbarschaft zum Checkpoint Charlie in West-Berlin auf.von Patrick Weever und Felix LodermeierAm 13. August 1961 errichtete die SED-Regierung ihren „antifaschistischen Schutzwall“. Der Mauerbau sollte die Fluchtbewegungen nach West-Berlin beenden und dadurch den wirtschaftlichen Kollaps der DDR verhindern. Am Checkpoint Charlie, der von den West-Alliierten in Reaktion auf die Grenzübergangsstelle der DDR errichtet worden war, war der Grenzübertritt für die alliierten Soldaten und andere Ausländer möglich. Vor diesem Hintergrund hält das hier gezeigte Foto einige Besonderheiten der deutsch-deutschen Teilung innerhalb Berlins fest.
Die linke Seite des Bildes zeigt die erste Häuserreihe Ost-Berlins, deren Fenster nach dem Ausbau der Berliner Mauer zuerst vergittert und später zugemauert wurden, um Fluchtversuche zu unterbinden. Auf der Fassade ist der Name der Ost-CDU-Zeitung „Neue Zeit“ zu sehen, einem Presseorgan der DDR. Gegenüber der Fassade auf der Westseite befindet sich direkt an der Mauer, mittig im Bild, eine Litfaßsäule mit Werbung für Westprodukte. Neben dem Sektorenschild, das im damaligen Berliner Grenzbereich allgegenwärtig war, ist ein Hochstand auszumachen, auf dem West-Bürger über die frühe Version der Berliner Mauer hinweg in den Ostteil der Stadt blicken konnten. Rechts im Bild stehen zwei, auf Initiative des West-Berliner Senats aufgestellte, Weihnachtsbäume. Der eigentliche Checkpoint befindet sich wenige Meter rechts außerhalb des Bildes. Das Foto wurde im Dezember 1961 von Frau Scheffes Mutter vor ihrem Wohnhaus, Friedrichstraße 206, auf Gehsteigniveau mit Blick nach Osten Richtung Zimmerstraße aufgenommen.
Frau Scheffe ging auf eine provisorische Grundschule in der Wilhelmstraße, weil das alte Schulgebäude eine Bombenruine war. In ihrer Klasse befanden sich vor dem Mauerbau 50 Kinder aus Ost- und West-Berlin. Sie erlebte ihre Kindheit in einer ungeteilten Nachbarschaft in den Brachen des zerbombten Berlins, das für sie einem Spielplatz glich. Frau Scheffe empfand in ihrem Kiez zunächst kaum Unterschiede zwischen Ost und West. Für sie traten erst durch den Mauer-bau die Systemunterschiede klar zu Tage. Plötzlich war sie von ihren Ost-Bekannten getrennt und verlor den Kontakt. Einem ihrer ehemaligen Ost-Schulfreunde gelang kurze Zeit nach der Schließung der Grenzen die Flucht in den Westen. Er hatte im ersten Haus auf der linken Bildseite gewohnt.
Frau Scheffe erlebte die Ereignisse um die Panzerkonfrontation am Checkpoint Charlie am 27. Oktober 1961 aus nächster Nähe im Wohnzimmer ihrer Eltern. Die Ereignisse des Jahres 1961 waren für sie rückblickend ein Ausdruck der Machtpolitik ihrer Zeit, in der sich zwei Systeme ein jahrzehntelanges Ringen um die Vorherrschaft lieferten. Schon damals traf dies auf das Unverständnis der Menschen vor Ort. Zu Beginn konnte sich Frau Scheffe nicht vorstellen, dass die Mauer lange Bestand haben würde. Dies stellte sich mit den ersten Maueropfern als Illusion heraus. Das Foto blickt nach Osten in die Zimmerstraße, in der wenige Monate später Peter Fechter von DDR-Grenzsoldaten auf der Flucht in den Westen angeschossen wurde und verblutete. In guter Erinnerung blieben ihr hingegen die Bemühungen der alliierten Soldaten am Checkpoint. Diese schmückten nicht nur das Checkpoint-Häuschen mit kleinen Weihnachtsbäumen, sondern halfen in der Kiezgemeinschaft mit kleinen Gefälligkeiten und Tauschgeschäften aus. Damit versuchten sie, ihren Alltag und den der Anwohner zu verbessern.
Ein lebensgeschichtliches Interview mit Monika Scheffe und ihre Fotos vom Checkpoint Charlie befinden sich in der Sammlung der Stiftung Berliner Mauer. Die Fotos sind online abrufbar unter www.sammlung.stiftung-berliner-mauer.de
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