geboren am 3. März 1933
erschossen am 26. Juli 1966
am Außenring zwischen Mahlow (Kreis Zossen) und Berlin-Tempelhof
Drei völlig unterschiedliche Welten treffen aufeinander, als an einem Sommerabend im Juli 1966 im Süden von Berlin ein Fluchtversuch im Kugelhagel tödlich endet: Eduard Wroblewski, 33 Jahre alt, Familienvater aus der Nähe der Lutherstadt Wittenberg, sucht von Sorgen und Nöten geplagt einen Weg, der DDR zu entfliehen. Fünf Grenzsoldaten im Alter von 18 bis 22 Jahren eröffnen mit ihren Maschinenpistolen das Feuer, um seinen Fluchtversuch zu verhindern.Anwohner im angrenzenden West-Berliner Ortsteil Lichtenrade wiederum, die eben noch in ihren Gärten gesessen oder im Fernsehen das Halbfinalspiel der Fußball-Weltmeisterschaft zwischen England und Portugal verfolgt haben, werden zu unfreiwilligen Zeugen einer der heftigsten Schießereien, die es an der Berliner Mauer gegeben hat. Innerhalb kürzester Zeit feuern die Grenzposten nicht weniger als 274 Kugeln ab. [1] Zwölf Schüsse treffen Eduard Wroblewski von hinten. Er bricht zusammen und stirbt noch an Ort und Stelle. Die Anwohner auf der West-Berliner Mauerseite beobachten, wie sein lebloser Körper eilends fortgeschafft wird und beschimpfen die Grenzposten lauthals als „Mörder" und „Schweine". Der Protest ist heftig, weil auch auf West-Berliner Gebiet zahlreiche Geschosseinschläge an Häusern, Dächern, Fenstern und sogar in Wohnzimmerwänden zu finden sind. [2] Einhellig verurteilen Innensenator Albertz und der amerikanische Stadtkommandant Franklin den brutalen und rücksichtslosen Schusswaffengebrauch. [3] Der West-Berliner Senat stellt im Rahmen seiner Aktion „Studio am Stacheldraht" ein Plakat auf mit dem Appell: „Soldat, das war Mord! Hast Du an seine Mutter gedacht?"
Wenig später gehen bei den bundesdeutschen Behörden erste Hinweise ein, wer der Tote war. Ein Bruder von Eduard Wroblewski, der in Hamburg lebt, hat von Angehörigen aus der DDR von dessen Tod erfahren und glaubt, dass er an diesem Juliabend an der Mauer erschossen worden ist. [4] Bis zu diesem Tag habe sein Bruder in Zahna gelebt, einer kleinen Stadt im Kreis Wittenberg, auf halber Strecke zwischen Berlin und Halle.
Geboren 1933 in Wutschdorf im ehemals preußischen Landkreis Züllichau-Schwiebus, stammt er aus einer kinderreichen Familie, die sich noch vor Beginn des Zweiten Weltkriegs im Fläming niedergelassen hat. Mit 14 Jahren geht Eduard Wroblewski von der Schule ab und findet Arbeit bei einem Bauern. Ein überzeugter Anhänger des Sozialismus ist er offenbar weder als Jugendlicher noch als Erwachsener. Dazu mag auch beitragen, dass der ältere Bruder Anfang der 1950er Jahre in die Mühlen der Justizwillkür gerät und, wegen angeblicher Spionage verurteilt, zur Verbüßung der Haftstrafe in die Sowjetunion verbracht wird. Eduard Wroblewski selbst tritt 1952 als 19-Jähriger die Flucht nach Westdeutschland an. Doch wie so viele ostdeutsche Jugendliche, die damals ohne Berufsausbildung oder Unterstützung von Verwandten ihr Glück im Westen versuchen, kann er dort nicht Fuß fassen. [5] Es bleibt daher bei einem kurzen Zwischenspiel, von dem er nach neun Monaten wieder in die DDR zurückkehrt.
Dort ist er eine zeitlang Gleisbauarbeiter bei der Reichsbahn, später arbeitet er in der Landwirtschaft und auf dem Bau. Seine erste Ehe, 1956 geschlossen, scheitert. 1962 heiratet er seine zweite Frau, mit der er einen Sohn und eine Tochter bekommt. [6] Doch bald häufen sich die Konflikte mit Vorgesetzten und Behörden und belasten das Verhältnis der Eheleute. [7] Im Juli 1966 steht ihm die nächste Kündigung bevor. Dennoch glaubt seine Frau, als er am Morgen des 26. Juli 1966 das Haus verlässt, er würde zur Arbeit im Zahnaer Mosaikplattenwerk gehen. Stattdessen macht er sich, ohne seiner Familie eine Erklärung zu hinterlassen, auf den Weg nach Mahlow, einen Vorort im Süden von Berlin. Er muss sich Mut angetrunken haben, bevor er am frühen Abend an den stillgelegten S-Bahn-Gleisen, die einst von Mahlow nach Lichtenrade führten, das Grenzgebiet betritt. Ohne entdeckt zu werden, nähert er sich dem letzten dreireihigen Stacheldrahtzaun bis auf 100 Meter. Als dann ohne Vorwarnung die ersten Schüsse fallen, rennt er los und kann noch die ersten beiden Zaunreihen überwinden, bis er hinterrücks getroffen im Stacheldraht zusammenbricht.
Zu den Maßnahmen, die Grenztruppenführung und Stasi unverzüglich einleiten, gehört neben Nachforschungen über das Opfer und seine Angehörigen die Überwachung der beteiligten Grenzposten. [8] Gleichzeitig erfahren die Grenzer die üblichen Auszeichnungen, dafür dass sie „entschlossen" und „taktisch richtig" gehandelt und auf diese Weise „die Unantastbarkeit unserer Staatsgrenze" gewährleistet hätten. [9] Geringe Treffsicherheit und hoher Munitionsverbrauch werden zwar moniert, aber nicht hinterfragt. [10] Tatsächlich haben keineswegs alle Schützen getroffen oder auch nur gezielt geschossen, wie die strafrechtlichen Ermittlungen ergeben, die sich nach dem Ende der DDR gegen die damaligen Täter richten. Einmal mehr zeigt sich, dass es unter den Grenzsoldaten durchaus unterschiedliche Einstellungen und Verhaltensweisen gab. So sieht es das Landgericht Potsdam als erwiesen an, dass von den insgesamt sechs Wehrpflichtigen, die seinerzeit beteiligt waren, einer gar nicht geschossen hat und ein weiterer bewusst daneben zielte, während zwei der Schützen zielten, ohne Eduard Wroblewski zu treffen. Zwei ehemalige Grenzsoldaten müssen sich indes die tödlichen Schüsse zurechnen lassen. Sie werden im August 1996 wegen Totschlags zu Bewährungsstrafen von 18 Monaten verurteilt. [11]
Während die Schützen zu DDR-Zeiten unbehelligt bleiben, wird Eduard Wroblewski nach seinem Tod öffentlich bloß gestellt. So wird in der „Berliner Zeitung" vom 29. Juli 1966 behauptet, man habe an der „Staatsgrenze" einen „Asozialen gestellt", der Fremdenlegionär gewesen sei und wegen schwerer Verbrechen im Bezirk Halle gesucht werde. Dass er ein Verbrechen begangen haben soll, ist ein haltloses Gerücht; ob er als Jugendlicher während seines kurzen Aufenthalts im Westen tatsächlich bei der Fremdenlegion war, ist durch nichts belegt. Dennoch wirkt die üble Nachrede noch jahrelang nach, wie sich der Sohn von Eduard Wroblewski erinnert. [12] Während es im Ort ein offenes Geheimnis ist, wie sein Vater starb, sind die Umstände und Hintergründe seines Todes innerhalb der Familie aus Scham und aus Angst vor Repressionen ein Tabu. Der Sohn erfährt erst davon, als ihm ein Mitschüler eines Tages entgegen hält, sein Vater sei „ein Verbrecher" gewesen, der an der Grenze erschossen worden sei. Auch in anderer Hinsicht begleitete ihn dieser „Makel", wie er später feststellen musste, auf Schritt und Tritt. So geht aus Stasi-Unterlagen hervor, dass dem Sohn noch im Jahr 1982, als er seinen Wehrdienst ableistete, die Ausbildung zum Funker verwehrt wurde, weil sein Vater als so genannter „Grenzverletzer" aktenkundig war.
Text: Christine Brecht
Wenig später gehen bei den bundesdeutschen Behörden erste Hinweise ein, wer der Tote war. Ein Bruder von Eduard Wroblewski, der in Hamburg lebt, hat von Angehörigen aus der DDR von dessen Tod erfahren und glaubt, dass er an diesem Juliabend an der Mauer erschossen worden ist. [4] Bis zu diesem Tag habe sein Bruder in Zahna gelebt, einer kleinen Stadt im Kreis Wittenberg, auf halber Strecke zwischen Berlin und Halle.
Geboren 1933 in Wutschdorf im ehemals preußischen Landkreis Züllichau-Schwiebus, stammt er aus einer kinderreichen Familie, die sich noch vor Beginn des Zweiten Weltkriegs im Fläming niedergelassen hat. Mit 14 Jahren geht Eduard Wroblewski von der Schule ab und findet Arbeit bei einem Bauern. Ein überzeugter Anhänger des Sozialismus ist er offenbar weder als Jugendlicher noch als Erwachsener. Dazu mag auch beitragen, dass der ältere Bruder Anfang der 1950er Jahre in die Mühlen der Justizwillkür gerät und, wegen angeblicher Spionage verurteilt, zur Verbüßung der Haftstrafe in die Sowjetunion verbracht wird. Eduard Wroblewski selbst tritt 1952 als 19-Jähriger die Flucht nach Westdeutschland an. Doch wie so viele ostdeutsche Jugendliche, die damals ohne Berufsausbildung oder Unterstützung von Verwandten ihr Glück im Westen versuchen, kann er dort nicht Fuß fassen. [5] Es bleibt daher bei einem kurzen Zwischenspiel, von dem er nach neun Monaten wieder in die DDR zurückkehrt.
Dort ist er eine zeitlang Gleisbauarbeiter bei der Reichsbahn, später arbeitet er in der Landwirtschaft und auf dem Bau. Seine erste Ehe, 1956 geschlossen, scheitert. 1962 heiratet er seine zweite Frau, mit der er einen Sohn und eine Tochter bekommt. [6] Doch bald häufen sich die Konflikte mit Vorgesetzten und Behörden und belasten das Verhältnis der Eheleute. [7] Im Juli 1966 steht ihm die nächste Kündigung bevor. Dennoch glaubt seine Frau, als er am Morgen des 26. Juli 1966 das Haus verlässt, er würde zur Arbeit im Zahnaer Mosaikplattenwerk gehen. Stattdessen macht er sich, ohne seiner Familie eine Erklärung zu hinterlassen, auf den Weg nach Mahlow, einen Vorort im Süden von Berlin. Er muss sich Mut angetrunken haben, bevor er am frühen Abend an den stillgelegten S-Bahn-Gleisen, die einst von Mahlow nach Lichtenrade führten, das Grenzgebiet betritt. Ohne entdeckt zu werden, nähert er sich dem letzten dreireihigen Stacheldrahtzaun bis auf 100 Meter. Als dann ohne Vorwarnung die ersten Schüsse fallen, rennt er los und kann noch die ersten beiden Zaunreihen überwinden, bis er hinterrücks getroffen im Stacheldraht zusammenbricht.
Zu den Maßnahmen, die Grenztruppenführung und Stasi unverzüglich einleiten, gehört neben Nachforschungen über das Opfer und seine Angehörigen die Überwachung der beteiligten Grenzposten. [8] Gleichzeitig erfahren die Grenzer die üblichen Auszeichnungen, dafür dass sie „entschlossen" und „taktisch richtig" gehandelt und auf diese Weise „die Unantastbarkeit unserer Staatsgrenze" gewährleistet hätten. [9] Geringe Treffsicherheit und hoher Munitionsverbrauch werden zwar moniert, aber nicht hinterfragt. [10] Tatsächlich haben keineswegs alle Schützen getroffen oder auch nur gezielt geschossen, wie die strafrechtlichen Ermittlungen ergeben, die sich nach dem Ende der DDR gegen die damaligen Täter richten. Einmal mehr zeigt sich, dass es unter den Grenzsoldaten durchaus unterschiedliche Einstellungen und Verhaltensweisen gab. So sieht es das Landgericht Potsdam als erwiesen an, dass von den insgesamt sechs Wehrpflichtigen, die seinerzeit beteiligt waren, einer gar nicht geschossen hat und ein weiterer bewusst daneben zielte, während zwei der Schützen zielten, ohne Eduard Wroblewski zu treffen. Zwei ehemalige Grenzsoldaten müssen sich indes die tödlichen Schüsse zurechnen lassen. Sie werden im August 1996 wegen Totschlags zu Bewährungsstrafen von 18 Monaten verurteilt. [11]
Während die Schützen zu DDR-Zeiten unbehelligt bleiben, wird Eduard Wroblewski nach seinem Tod öffentlich bloß gestellt. So wird in der „Berliner Zeitung" vom 29. Juli 1966 behauptet, man habe an der „Staatsgrenze" einen „Asozialen gestellt", der Fremdenlegionär gewesen sei und wegen schwerer Verbrechen im Bezirk Halle gesucht werde. Dass er ein Verbrechen begangen haben soll, ist ein haltloses Gerücht; ob er als Jugendlicher während seines kurzen Aufenthalts im Westen tatsächlich bei der Fremdenlegion war, ist durch nichts belegt. Dennoch wirkt die üble Nachrede noch jahrelang nach, wie sich der Sohn von Eduard Wroblewski erinnert. [12] Während es im Ort ein offenes Geheimnis ist, wie sein Vater starb, sind die Umstände und Hintergründe seines Todes innerhalb der Familie aus Scham und aus Angst vor Repressionen ein Tabu. Der Sohn erfährt erst davon, als ihm ein Mitschüler eines Tages entgegen hält, sein Vater sei „ein Verbrecher" gewesen, der an der Grenze erschossen worden sei. Auch in anderer Hinsicht begleitete ihn dieser „Makel", wie er später feststellen musste, auf Schritt und Tritt. So geht aus Stasi-Unterlagen hervor, dass dem Sohn noch im Jahr 1982, als er seinen Wehrdienst ableistete, die Ausbildung zum Funker verwehrt wurde, weil sein Vater als so genannter „Grenzverletzer" aktenkundig war.
Text: Christine Brecht
[1]
Vgl. Bericht der NVA/4.GB/Der Kommandeur betr. Bericht über verhinderten Grenzdurchbruch unter Anwendung der Schußwaffe im Abschnitt 2. GK/GR 44, 26.7.1966, in: BArch, VA-07/17895, Bl. 47-50, hier Bl. 49, sowie Bericht des [MfS]/HA I/Abwehr (B)/Unterabteilung 4. Brigade, 26.7.1966, in: BStU, Ast. Potsdam, AP 1115/76, Bl. 64-68.
[2]
Vgl. Bericht der Polizeiinspektion Tempelhof vom 26.7.1966, in: PHS, Bestand Grenzvorkommnisse, o.Pag., sowie Bericht des Bundesfinanzministers an den Bundesminister des Innern, 28.7.1966, in: Politisches Archiv des AA, B 38, Nr. 166, Bl. 302.
[3]
Vgl. Der Kurier, 27.7.1966; Die Welt, 27. und 28.7.1966; Telegraf, 28.7.1966; Berliner Morgenpost, 28.7.1966; Der Tagesspiegel, 28.7.1966.
[4]
Vgl. Schreiben des Bruders von Eduard Wroblewski an den Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen, 23.10.1966, in: StA Berlin, Az. 26 Js 13/96, Bd. 3, Bl. 115, sowie Niederschrift der Zeugen-Vernehmung des Bruders von Eduard Wroblewski durch die Hamburger Polizei, 8.11.1966, in: Ebd., Bl. 125-128.
[5]
Vgl. Volker Ackermann, Der „echte" Flüchtling. Deutsche Vertriebene und Flüchtlinge aus der DDR 1945-1961, Osnabrück 1995.
[6]
Vgl. Gespräch von Christine Brecht mit R. Wroblewski, dem Sohn von Eduard Wroblewski, 27.10.2006.
[7]
Vgl. Bericht [der BVfS Potsdam], 2.8.1966, in: BStU, Ast. Potsdam, AP 1115/76, Bl. 32-33.
[8]
Vgl. Bericht der NVA/4.GB/Der Kommandeur betr. Bericht über verhinderten Grenzdurchbruch unter Anwendung der Schußwaffe im Abschnitt 2. GK/GR 44, 26.7.1966, in: BArch, VA-07/17895, Bl. 50; Bericht der HA I/Abwehr (B)/UA 4. Brigade über den versuchten Grenzdurchbruch im Bereich des GR 44, 2. Kp am 26.7.1966, 26.7.1966, in: BStU, Ast. Potsdam, AP 1115/76, Bl. 68.
[9]
Bericht der NVA/Stadtkommandant Poppe an das SED-Politbüromitglied Kurt Hager betr. verhinderter Grenzdurchbruch im Abschnitt des GR-44 am 26.7.1966, 27.7.1966, in: BArch, VA-07/8373, Bl. 119-120, Zitat Bl. 120.
[10]
Vgl. Teileinschätzung der NVA/4.GB/Der Kommandeur für das Ausbildungsjahr 1965/66 zur Militärratsvorlage, 15.9.1966, in: BArch, VA-07/6050, Bl. 161-183, hier Bl. 163.
[11]
Vgl. Urteil des Landgerichts Potsdam vom 21.8.1996, in: StA Neuruppin, Az. 61 Js 2/95 [zuvor StA Berlin Az. 27 Js 231/91], Bd. 5, Bl. 975-1015.
[12]
Vgl. Gespräch von Christine Brecht mit R. Wroblewski, dem Sohn von Eduard Wroblewski, 27.10.2006.