[Angaben des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR]
Streng geheim!
[März 1989]
Auskunft zum Grenzkommando-Mitte (GK-Mitte) und der Staatsgrenze der DDR zu Westberlin
I. GK-Mitte - Struktur, Personalbestand, Ausrüstung, Grenzsicherung
Gesamtstärke: | 11.504 Angehörige der Grenztruppen (AGT) 503 Zivilbeschäftigte |
Auffüllungsstand: | 101,4 %, stabil |
Ist-Stärke: | 1 General |
(Stand: 1.2.1989) | 1.276 Offiziere 353 Fähnriche 746 Berufsunteroffiziere 1.719 Unteroffiziere auf Zeit 7.199 Soldaten 210 Reservisten |
Dem Stab des GK-Mitte, Standort Berlin-Karlshorst, sind Einheiten zur Sicherstellung der Grenzsicherung und der materiell-technischen Versorgung in einer Gesamtstärke von ca. 1.000 AGT unterstellt. Diese Einheiten befinden sich an verschiedenen Standorten in und außerhalb von Berlin.
Grenzsicherung durch 7 Grenzregimenter (GR):
In der Hauptstadt: | GR 33 (Treptow), 35 (Pankow) und 36 (Rummelsburg) |
Im Bezirk Potsdam | GR 38 (Hennigsdorf), 34 (Groß-Glienicke), 44 (Potsdam-Babelsberg), 42 (Kleinmachnow) |
Struktur der GR: | Stab Stabseinheiten 5 direkt geführte Grenzkompanien mit durchschnittlich 120 AGT, je 1 Pionier-, Nachrichten-, Transportkompanie, Granatwerfer- und Artilleriebatterie, einen Aufklärungs- und einen Flammenwerferzug sowie eine Diensthundestaffel in einer Gesamtstärke von etwa 320 AGT (außer GR 36) |
GR-36, 38 und 44 zusätzlich je eine Bootskompanie mit insgesamt 29 Grenzsicherungsbooten.
In jedem GR sind entsprechend der Anzahl der Grenzübergangsstellen Sicherungszüge bzw. -kompanien disloziert, im GR-36 sind das 3 Sicherungskompanien.
Die Grenzausbildungsregimenter 39 (Wilhelmshagen) und 40 (Oranienburg) bilden die Soldaten im Grundwehrdienst für den Grenzdienst und an der Kampftechnik aus. Seit 1.2.1989 wurde die Ausbildungszeit von sechs auf drei Monate verkürzt, um den Auffüllungsstand in den Grenzregimentern zu erhöhen. Gleichzeitig erfolgt die Einberufung vierteljährlich.
Die Grenzregimenter (außer GR-36) verfügen über je 62 SPW (Schützenpanzerwagen, d. Hg.), Typ PSH, die Grenzausbildungsregimenter über je 92 SPW. Insgesamt befinden sich im GK-Mitte 567 SPW.
Jedes GR verfügt über 6 Granatwerfer, 120 mm, und 6 Panzerabwehrkanonen 85 mm, sowie 15 Flammenwerfer (insgesamt 48 Granatwerfer, 48 Panzerabwehrkanonen und 114 Flammenwerfer). Dazu kommen 156 gepanzerte Fahrzeuge bzw. schwere Pioniertechnik, 2.295 Kraftfahrzeuge (Kräder, PKW, LKW).
Zum Bestand gehören z. Zt. 992 Hunde (11 Fährtenhunde, 371 Schutzhunde, 90 Wachhunde im Objekt, 484 Wachhunde in der Grenzsicherung).
Formen und Kräfte der Grenzsicherung:
Im GK-Mitte existiert z. Zt. noch die Regimentssicherung (je GR wird jeweils 1 Kompanie zeitweilig verstärkt eingesetzt).
In zwei GR wird gegenwärtig die Kompaniesicherung erprobt (die Kompanie sichert den ihr fest zugewiesenen Grenzabschnitt).
Pro Kalendertag werden bei normaler Grenzsicherung ca. 2.300 AGT im Handlungsraum und im grenznahen Raum eingesetzt.
Bei verstärkter Grenzsicherung (1988 an ca. 80 Tagen) kommen ca. 2.500 AGT zum Einsatz.
Verstärkte Grenzsicherung erfolgt bei besonderen Lagen (z.B. Fahndung, Erkenntnisse über geplante Provokationen), bei politischen Höhepunkten sowie bei schwierigen Witterungslagen (Nebel, Schnee).
In Einzelfällen wurde der Kräfteeinsatz um weitere 200 bis 300 AGT erhöht.
Wesentliche Unterstützung leisten die gegenwärtig vorhandenen ca. 800 Freiwilligen Helfer der Grenztruppen.
II. Grenzabschnitt des GK-Mitte
Länge des Grenzabschnitts: | 156,4 km, davon: 43,7 km in der Hauptstadt (Stadtbezirke Treptow, Friedrichshain, Mitte, Prenzlauer Berg, Pankow); 112,7 km im Bezirk Potsdam (Kreise Königs Wusterhausen, Zossen, Potsdam, Nauen, Oranienburg). |
Der Grenzabschnitt besteht aus 63,8 km bebautem, 32 km bewaldetem und 22,65 km offenem Gelände sowie aus 37,95 km Wassergrenze (Flüsse und Seen). |
Der pionier- und signal- technische Ausbau: | 41,91 km Grenzmauer 75 (Höhe 3,60 m), 58,95 km Grenzmauer in Plattenbauweise (Höhe 3,40 m), 68,42 km Streckmetallzaun (Höhe 2,90 m) als vorderes Sperrelement, 161 km Lichttrasse, 113,85 km Grenzsignalzaun, 186 Beobachtungstürme und 31 Führungsstellen. | Grenzübergangsstellen: | 25 Grenzübergangsstellen (ca. 60% aller GÜSt zur BRD/Berlin-West), 13 Straßen-, 4 Eisenbahn- und 8 Wasserstraßengrenzübergangsstellen. |
Von besonderer Bedeutung sind die GÜSt Bahnhof Friedrichstraße, Friedrich-/Zimmerstraße, Autobahn-GÜSt Drewitz, Stolpe, die Wasser-GÜSt Marschallbrücke, Osthafen, Nedlitz, Hennigsdorf, die Eisenbahn-GÜSt Drewitz, Griebnitzsee.
[...]
Über die Zahl der Toten an der Berliner Mauer und der innerdeutschen Grenze gibt es bis heute unterschiedliche, stark voneinander abweichende Zahlenangaben.
Im folgenden sind drei maßgebliche Statistiken dokumentiert, die jeweils verschiedene Kriterien anwenden und entsprechend zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. In der Zählung der Berliner Staatsanwaltschaft sind ausschließlich die Todesfälle erfasst, die nachweislich auf einen Gewaltakt der Grenzsicherungskräfte der SBZ/DDR zurückgeführt werden können. Die Zentrale Ermittlungsgruppe für Regierungs- und Vereinigungskriminalität (ZERV) dagegen hat in ihrer Statistik alle Verdachtsfälle auf Tötungen durch die bewaffneten Kräfte der DDR registriert, die ihr mitgeteilt wurden. Die Berliner Arbeitsgemeinschaft 13. August wiederum registriert in ihrer Statistik nach eigenen Angaben alle, die im Zusammenhang mit dem Grenzregime ums Leben gekommen sind, wobei zweifelhaft bleiben muss, ob sich diese Zahl tatsächlich ermitteln lässt.
Nachweisliche Todesfälle an der SBZ/DDR-Grenze - einschließlich Berlin - infolge Gewaltakts (Staatsanwaltschaft Berlin)
| bis 1960 | ab 1961 | gesamt |
Schußwaffe/sonstiger Gewaltakt durch Grenzsicherungskräfte | 101 | 136 | 237 |
davon |
Grenzkdo. Mitte (Berlin) | 23 | 86 | 109 |
Grenzkdo. Nord | 45 | 26 | 71 |
Grenzkdo. Süd | 33 | 24 | 57 |
Minendetonation (Erdminen/SM-70) | - | 33 | 33 |
davon |
davon Grenzkdo. Nord | - | 18 | 18 |
Grenzkdo. Süd | - | 15 | 15 |
Gesamtzahl | 101 | 169 | 270 |
Quelle: Staatsanwaltschaft Berlin, Stand: 9. Juni 2000
Erläuterung der Staatsanwaltschaft Berlin:
Die Staatsanwaltschaft erfasst in ihrer Datei alle dienstlich bekanntwerdenden Vorfälle, bei denen Flüchtlinge oder sonstige so genannte „Grenzverletzer" an der ehemaligen Demarkationslinie/Staatsgrenze der SBZ/DDR zu Tode gekommen sein sollen (einschließlich Fälle des Auffindens von Wasserleichen) und überprüft, ob im Einzelfall ein Anfangs-Verdacht für ein strafrechtlich relevantes Verhalten Dritter besteht; entsprechend der spezifischen Aufgabenstellung der Behörde strafrechtliche Ermittlungen nur auf dieser Basis und nur in diesem Rahmen.
In der speziellen „Liste der Grenztoten" gezählt werden hier daher nur solche Todesfälle an der innerdeutschen Grenze einschließlich Berlin, die nachweislich auf einem Gewaltakt seitens der DDR-Grenzsicherungskräfte beruhen (primär Tötung durch Schusswaffengebrauch oder durch Minenexplosion), diese Gesamtzahl der nachweislichen Opfer von Gewaltakten ist daher wesentlich geringer als die Gesamtzahl der erfassten Verdachtsfälle von Tötung.
Statistische Erfassung aller Grenz- und Mauertoten (ZERV)
| bis 1960 | ab 1961 | gesamt |
Innerstädtische Grenze Berlin | 11 | 79 | 90 |
Ring um Berlin | 19 | 43 | 62 |
Innerdeutsche Grenze | 116 | 132 | 248 |
Ostsee | 8 | - | 8 |
Sonstige Grenze (CSSR/Polen) | 5 | 8 | 13 |
Gesamt | 159 | 262 | 421 |
Quelle: Zentrale Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität (ZERV), Stand: 2000
Todesopfer bei der Flucht aus der DDR (Arbeitsgemeinschaft 13. August)
| vor 13.08.1961 | ab 13.08.1961 | gesamt |
Berliner Grenze/Mauer | 16 | 238 | 254 |
innerdeutsche Landgrenze | 105 | 267 | 372 |
Ostsee | 15 | 174 | 189 |
Grenze von Bulgarien, CSSR, Polen, Ungarn (nur DDR-Bürger) | 4 | 43 | 47 |
Sonstige Fluchtwege (Flugzeugentführung, Warenexport, Transitwege) | 0 | 7 | 7 |
Angehörige des DDR-Grenzdienstes bei der Fluchtabwehr | 11 | 16 | 27 |
Sowjetische Fahnenflüchtige | 11 | 10 | 21 |
Flugzeugabschüsse im Grenzgebiet | 18 | 3 | 21 |
Sonstige | 12 | 7 | 19 |
Gesamt | 192 | 765 | 957 |
Quelle: Arbeitsgemeinschaft 13. August, Bilanz der Todesopfer des DDR-Grenzregimes, Stand: 2000
Mindestens 140 Menschen wurden zwischen 1961 und 1989 an der Berliner Mauer getötet oder kamen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem DDR-Grenzregime ums Leben. Darüber hinaus verstarben mindestens 251 Reisende aus Ost und West vor, während oder nach Kontrollen an Berliner Grenzübergängen. In diesen Angaben nicht erfasst ist die unbekannte Anzahl von Menschen, die aus Kummer und Verzweiflung über die Auswirkungen des Mauerbaus auf ihre individuellen Lebensverhältnisse starben.
Dies ist der aktuelle Stand des gemeinsamen Projekts der Gedenkstätte Berliner Mauer und des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam, das vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) gefördert wird. Das Vorhaben erfasst alle verfügbaren Angaben zu Todes- und Verdachtsfällen. Grundlage sind zum einen amtliche und publizierte Todesopfer-Listen. Zum anderen stützt sich die Untersuchung auf eigene, umfassende Quellenrecherchen und Zeitzeugengespräche. Insgesamt wurden 576 Fälle erfasst und geprüft.
Bislang existierten mehrere Listen mit deutlich von einander abweichenden Zahlen: Je nach Art der Berechnung bewegen sich die Angaben zwischen 86 (Staatsanwaltschaft Berlin), mindestens 92 (Der Polizeipräsident von Berlin), 78 (Zentrale Erfassungsstelle Salzgitter), 122 (Zentrale Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität) und weit mehr als 200 Todesopfern (Arbeitsgemeinschaft 13. August).
Ziel des Forschungsprojektes war es, dieses Defizit zu beheben und die Zahl der Todesopfer an der Mauer zu ermitteln, die Lebensgeschichten und Todesumstände aller Mauertoten durch solide Quellen zu dokumentieren. Auf diese Weise sind Portraits zu 140 Todesopfern entstanden (Stand: 9. August 2017), die an dieser Stelle zu finden sind.
Dem Projekt liegt eine doppelte Definition des Begriffs "Todesopfer an der Berliner Mauer" zugrunde: entweder ist ein Fluchthintergrund offensichtlich oder ein enger kausaler Zusammenhang mit dem Grenzregime sowohl zeitlich als auch räumlich gegeben.
Daraus resultierend lassen sich fünf Fallgruppen bilden:
- Flüchtlinge, die beim Versuch, die Berliner Mauer zu überwinden, von Angehörigen der bewaffneten Organe der DDR erschossen wurden bzw. an den Folgen der dabei erlittenen Verletzungen gestorben sind;
- Flüchtlinge, die beim Versuch, die Berliner Mauer zu überwinden, tödlich verunglückten oder sich angesichts des Scheiterns ihres Fluchtvorhabens das Leben nahmen bzw. an den Folgen der dabei erlittenen Verletzungen gestorben sind;
- Menschen aus Ost und West, die an der Berliner Mauer von Angehörigen der bewaffneten Organe der DDR erschossen wurden bzw. an den Folgen der dabei erlittenen Verletzungen gestorben sind;
- Menschen aus Ost und West, die an der Berliner Mauer durch Handeln oder Unterlassen der bewaffneten Organe der DDR verunglückten bzw. an den Folgen der dabei erlittenen Verletzungen gestorben sind;
- Angehörige der DDR-Grenztruppen, die während ihres Dienstes an der Berliner Mauer getötet wurden bzw. an den Folgen der dabei erlittenen Verletzungen gestorben sind.
Entscheidend ist in jedem Falle die nachweisbare kausale und räumliche Verbindung des Todesfalles mit einer Fluchtaktion oder einem direkten oder mittelbaren Verursachen bzw. Unterlassen durch die Grenzorgane am Handlungsort Grenzgebiet.
Todesopfer an der Berliner Mauer 1961 bis 1989 |
Jahr | Gesamt | davon |
Flüchtlinge | Menschen ohne Fluchtabsichten Ost | Menschen ohne Fluchtabsichten West | Grenzsoldaten |
1961 | 12 | 11 | | 1 | - |
1962 | 22 | 15 | 1 | 2 | 4 |
1963 | 10 | 8 | 1 | | 1 |
1964 | 10 | 8 | | 1 | 1 |
1965 | 12 | 8 | 1 | 3 | |
1966 | 12 | 9 | | 3 | |
1967 | 2 | 2 | | | |
1968 | 7 | 4 | 1 | 1 | 1 |
1969 | 3 | 3 | | | |
1970 | 9 | 5 | 2 | 2 | |
1971 | 4 | 1 | | 3 | |
1972 | 4 | 3 | | 1 | |
1973 | 5 | 4 | | 1 | |
1974 | 4 | 2 | 1 | 1 | |
1975 | 4 | 2 | 1 | 1 | |
1977 | 2 | 2 | | | |
1979 | 1 | | 1* | | |
1980 | 2 | 1 | | | 1 |
1981 | 4 | 3 | | 1 | |
1982 | 1 | - | | 1 | |
1983 | 1 | 1 | | | |
1984 | 1 | 1 | | | |
1986 | 4 | 4 | | | |
1987 | 1 | 1 | | | |
1989 | 3 | 3 | | | |
Gesamt | 140 | 101 | 9 | 22 | 8 |
*) sowjetischer Soldat